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Wie die Nationalsozialisten 1933 missliebige Beamte loswurden: Die Zurruhesetzung des Oberregierungsrats im badischen Kultusministerium Georg Schmitt

Schutzhäftlinge_Engehausen

Die Ankunft der Schutzhäftlinge (Hermann Stenz, vierter von links) im Konzentrationslager Kislau (aus: Stadtarchiv Karlsruhe) | Klicken zum Vergrößern

Der die Verwaltung im „Dritten Reich“ generell prägende Dualismus von Normen- und Maßnahmenstaatlichkeit schlug sich auch im Vollzug der personellen „Gleichschaltung“ innerhalb der Ministerialbürokratie in den ersten Monaten nach der nationalsozialistischen Machtübernahme nieder. Wo die Anwendung der teilweise erst ad hoc neu geschaffenen Normen aufhörte und Willkürmaßnahmen begannen, ist dabei nicht immer klar auszumachen. Dies verdeutlicht das Beispiel der Zurruhesetzung eines Beamten aus dem badischen Ministerium des Kultus und Unterrichts, der zwar vom Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 nicht direkt betroffen war, aber dennoch zu den Opfern der politischen „Säuberungen“ des öffentlichen Dienstes zu zählen ist.

Neben den Beamten „nicht arischer Abstammung“, die in den Ruhestand versetzt wurden, sofern sie nicht unter die Ausnahmeregelungen für Altbeamte und Weltkriegsteilnehmer fielen, betraf das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zwei Personengruppen: zum einen Beamte, die nach dem politischen Systemwechsel von 1918/19 ohne ausreichende fachliche Qualifikation aus politischen Gründen auf ihre Posten gelangt waren und nun ohne Versorgungsansprüche entlassen wurden, zum anderen Beamte, „die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“ – ihnen standen bei Entlassung drei Viertel des Ruhegehalts und eine entsprechende Hinterbliebenenversorgung zu. In die erste Kategorie fiel von den Beamten der badischen Ministerien zum Beispiel Hermann Stenz, der von 1919 bis 1931 als Sekretär des sozialdemokratischen Ministers Adam Remmele verschiedene Positionen im Innen- und im Kultusministerium bekleidet hatte und nach Remmeles Ausscheiden als Regierungsrat in der Ministerialbürokratie verblieben war. Stenz, der nicht nur wegen seiner Nähe zu Remmele, sondern auch wegen seiner für seine Stellung als unzulänglich erachteten beruflichen Ausbildung zum Handwerker als lupenreiner sozialdemokratischer Parteibuchbeamter galt, wurde Ende April entlassen und anschließend für knapp ein Jahr als „Schutzhäftling“ im Konzentrationslager Kislau interniert.

Anders gelagert war der Fall eines zweiten sozialdemokratischen Beamten, des Oberregierungsrats Georg Schmitt, der seit Mai 1930 als Referent in der Volksschulabteilung des Karlsruher Kultusministeriums tätig war. Im Gegensatz zu Stenz war Schmitt, der zuvor als Volksschullehrer und Rektor in Tauberbischofsheim, Mannheim und Heidelberg tätig gewesen war, auf einem unverdächtigen Weg in die Ministerialbürokratie gelangt; zumindest war es nicht ungewöhnlich, dass bewährte Schulpraktiker ins Kultusministerium berufen wurden. Gleichwohl gefährdete das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums auch Schmitts Stellung: Als früheres sozialdemokratisches Mitglied des Heidelberger Bürgerausschusses stand er für die Nationalsozialisten im Verdacht, keine ausreichende Gewähr für ein rückhaltloses Eintreten für den nationalen Staat zu bieten; ihm drohte also die Entlassung nach Paragraph 4 des Gesetzes vom 7. April.

Wie sich Schmitts persönliche Stellung im Kultusministerium veränderte, als dort der Nationalsozialist Otto Wacker zunächst als Staatskommissar die Leitung übernahm, lässt sich aus seiner recht schmalen, im Generallandesarchiv Karlsruhe überlieferten Personalakte nicht im Detail erschließen. Allerdings fällt es bei Lektüre der wenigen Dokumente aus diesen Wochen und Monaten nicht schwer zu erahnen, wie prekär seine Situation gewesen sein muss: Die Personalakte enthält eine an Wacker gerichtete Erklärung vom 13. April, in der Schmitt Auskunft über seine vergangenen und aktuellen politischen Einstellungen gab. Ob diese Erklärung aus eigenem Antrieb entstand oder auf Aufforderung Wackers beziehungsweise eines der politischen Vertrauensmänner des Staatskommissars, die unterdessen in verschiedene Abteilungen des Ministeriums eingerückt waren, ist unklar. In der Erklärung machte Schmitt einen Bruch in seiner politischen Biographie geltend: Er sei zwar Sozialdemokrat gewesen, aber nie Marxist und wurde auch von niemandem, „der mich näher kannte, dafür gehalten. Nationalismus war für mich als Deutscher und mehr noch als deutscher Lehrer von je her eine Selbstverständlichkeit. Das in den letzten Jahren immer deutlicher in Erscheinung tretende Versagen der Demokratie im allgemeinen und der Sozialdemokratie im besonderen lockerte mehr und mehr meine innere politische Bindung“. Der inneren Lösung sei dann nach dem „Sieg der nationalen Regierung“ auch die äußerliche gefolgt, womit Schmitt seinen Austritt aus der SPD nach der Reichstagwahl vom 5. März meinte. Deren Bedeutung unterstrich er in seiner Erklärung: „Das deutsche Volk hat in freier Abstimmung den nationalen Parteien die alleinige Führung im ganzen Reich anvertraut. Daraus leite ich als Diener des deutschen Staates für mich die selbstverständliche Pflicht ab, dieser nationalen Regierung und diesem nationalen Staat vorbehaltlos zu dienen“. Dies wiederholte Schmitt am Schluss seiner Erklärung mit der Beteuerung, „daß ich nicht nur äußerlich sondern vor allem auch innerlich ehrlich bereit bin zur uneingeschränkten Mitarbeit an und in dem neuen deutschen Staat“.

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Georg Schmitts Erklärung vom 13. April 1933 (GLA 235/20276) | Klicken zum Vergrößern

Die von Schmitt mutmaßlich unter äußerst bedrückenden Umständen verfasste politische Wohlverhaltenserklärung erfüllte ihren Zweck, denn ein Entscheid des Staatskommissars Wacker vom gleichen Tag sah „bis auf weiteres von der Anwendung des § 4 des Reichsgesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ ab. Die Begründung des Entscheids verwies auf die von Schmitt abgegebene Erklärung sowie auf die Feststellungen, die der kommissarische Leiter der Volksschulabteilung Karl Gärtner, ein Offenburger Parteifreund, der von Wacker ins Kultusministerium gebracht worden war, in der dienstlichen Zusammenarbeit der Vorwochen gemacht hatte. Über die Motivation des Entscheids lässt sich nach derzeitiger Quellenlage nur spekulieren: Eine echte Bewährungschance scheint Schmitt nicht gewährt worden zu sein; vermutlich wurde er nur vorübergehend auf seinem Posten geduldet, weil aktuell kein politisch erwünschter Ersatzkandidat zur Verfügung stand. Darauf deutet jedenfalls ein Schreiben Gärtners an Schmitt vom 2. August hin, in dem er ihm die Notwendigkeit eröffnete, aus dem Dienst zu scheiden. In diesem Schreiben, das Schmitt in seinem Urlaub im Schwarzwald erreichte, war von dienstlichen Verfehlungen oder enttäuschten politischen Erwartungen nicht die Rede; vielmehr teilte Gärtner nur nüchtern mit, dass der Volksschullehrer und um die Partei verdiente SS-Standartenführer Georg Heitz die stellvertretende Leitung der Abteilung Volksschulen im Kultusministerium übernehmen werde. Dies bedinge, „daß einer der Herren Referenten aus dem aktiven Dienst ausscheidet. Da Sie der an Lebens- und Dienstjahren älteste Referent in unserer Abteilung sind und auch nach Massgabe ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse Ihr Ausscheiden aus dem Dienst tragbar ist, kommt Ihre Zuruhesetzung in Frage“. Um Widerspruch sogleich zu unterdrücken, fügte Gärtner die weitere Erwägung hinzu, „dass die durch die politische Umwälzung bedingten Verhältnisse hinsichtlich Ihrer Person und Ihrer früheren politischen Tätigkeit als Exponent der Sozialdemokratie den Wechsel in Ihrer Dienststellung notwendig erscheinen lassen“.

Eine direkte Reaktion Schmitts auf diese Eröffnung ist in seiner Personalakte nicht überliefert. Ein zweites Schreiben Gärtners vom 16. September lässt aber erkennen, dass Schmitt Alternativen zu der geforderten raschen Zurruhesetzung ins Gespräch gebracht hatte: Er hatte offensichtlich vorgeschlagen, ihn solange dienstbehindert zu erklären, bis er nach Vollendung seines 58. Lebensjahres aufgrund des badischen Beamtengesetzes vom 17. Juli 1933 zu materiell günstigen Konditionen frühpensioniert werden konnte, oder aber ihn in den Schuldienst zurückzuversetzen. Letzteres schloss Gärtner kategorisch aus, und auch die neu geschaffene Möglichkeit einer Frühpensionierung käme aus rechtlichen und finanziellen Erwägungen nicht in Betracht. Hatte Gärtner in seinem Schreiben vom 2. August nur indirekt mit der Anwendung des Gesetzes über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums gedroht, so wurde er nun explizit: Minister Wacker wolle „tunlichst vermeiden“, Schmitts „Ausscheiden aufgrund des Gesetzes vom 7. April … zu veranlassen“. „Höheren Auftrags zufolge“ ersuchte Gärtner ihn deshalb „ergebenst, nunmehr Ihr Gesuch um Zuruhesetzung wegen leidender Gesundheit unter Vorlage eines diesbezüglichen ärztlichen Zeugnisses zu beantragen“. Dem kam Schmitt umgehend nach mit einem Attest des bald zu einem der führenden nationalsozialistischen Medizinfunktionäre der Region aufsteigenden Karlsruher Bezirksarztes Otto Schmelcher, der in zwei Sätzen festhielt, dass Schmitt unter Lungenerweiterung und Herzmuskelschwäche leide und damit die Voraussetzungen für die „Zuruhesetzung wegen Krankheit“ gegeben seien. Der vormals sozialdemokratische Oberregierungsrat schied dann, wie von Wacker und Gärtner gewünscht, zum 1. November aus den Diensten des badischen Kultusministeriums.

Verallgemeinernde Rückschlüsse auf die Praxis der politischen Entlassungen in den Landesministerien lassen sich aus dem Einzelfall Georg Schmitt nicht ziehen, da es sich doch um eine sehr spezielle Konstellation handelte: um einen politisch der SPD nahestehenden Beamten, den seine unzweifelhafte fachliche Qualifikation vor der Anwendung des Paragraphen 2 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentum schützte, der seine politische Wohlverhaltenserklärung so überzeugend formulierte, dass die maßgeblichen politischen Kräfte im Ministerium zunächst auf die Anwendung des Paragraphen 4 verzichteten, und der für einige Monate davon profitierte, dass kein nationalsozialistischer Parteigenosse seine Planstelle begehrte. Trotz dieser Besonderheiten ist der Fall aber doch über das Singuläre hinaus relevant, weil er verdeutlicht, dass es bei den personellen „Säuberungen“ 1933 neben den offenen auch versteckte Ausprägungen der Willkür gab. Jedenfalls kann er als Plädoyer dafür dienen, bei der Untersuchung des personalpolitischen Revirements in der Phase der „Gleichschaltung“ nicht nur durchzuzählen, wie viele Beamte auf der Grundlage welcher Paragraphen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dem öffentlichen Dienst verdrängt wurden, sondern auch andere Ausscheidensgründe zu beachten.

 

Anmerkung des Verfassers (15. Februar 2016):

Im mündlichen Austausch von Lektüreeindrücken hat mich ein Kollege darauf aufmerksam gemacht, dass in dem Blogartikel Informationen über das Schicksal Georg Schmitts nach seiner Verdrängung aus dem Amt wünschenswert wären. Dieses Versäumnis ist allein dem aktuellen Stand der Recherchen in diesem Einzelfall geschuldet, denn im Rahmen des Forschungsprojekts sollen selbstverständlich auch die weiteren Lebenswege der aus rassischen oder politischen Motiven entlassenen Ministerialbeamten untersucht werden. Ein entsprechender Nachtrag zu dem Blogartikel wird folgen.

Nachtrag des Verfassers (26. Februar 2016):

Unterdessen konnten zwei Akten eingesehen werden, die Einblicke in den weiteren Lebensweg Georg Schmitts nach seiner Verdrängung aus dem Amt im Herbst 1933 erlauben. Schmitt wandte sich Anfang Juli 1945 brieflich an den nordbadischen Landeskommissar Karl Holl, um ihn auf sein Schicksal aufmerksam zu machen und um seine Bereitschaft zur Wiederaufnahme einer Beschäftigung in der Kultusverwaltung zu bekunden. Er sei zwar bereits 69 Jahre alt, wolle sich aber, da man immer wieder höre, dass es „überall an geeigneten Kräften“ fehle, gerne zur Verfügung stellen, zumal er ja die „letzten 12 Jahre geruht“ habe. Wenige Wochen später, Mitte August, wurde Schmitt zu einem Gespräch in die Schulabteilung des Landeskommissariats Mannheim-Heidelberg geladen, das indes nicht zu der von ihm gewünschten Wiederbeschäftigung führte; ob man in der Behörde kein Interesse an seiner Person hatte oder ihm kein adäquates Angebot machen konnte, ist unklar.
Schmitt verbrachte die ersten Nachkriegsjahre weiterhin als Pensionär in Heidelberg, allerdings zu finanziell verbesserten Konditionen, da seine frühere Dienstbehörde sein Ruhegehalt auf den Betrag anhob, der ihm zugestanden hätte, wenn er nicht 1933 vorzeitig, sondern regulär mit Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Dienst geschieden wäre. Diese Anpassung durchzusetzen, bereitete Schmitt allerdings einige Mühen, da er die Versorgungsstelle erst davon überzeugen musste, dass sein Dienstausscheiden 1933 nur vordergründig auf eigenes „Ansuchen wegen leidender Gesundheit“ erfolgt war, tatsächlich aber als Akt politischer Repression zu werten sei. Schmitt betrieb diese Angelegenheit nicht ohne Verbitterung, die auch in einem Schreiben vom November 1952 aufscheint, in dem er dem Oberschulamt Karlsruhe mitteilte, dass ihm die bisherige Rehabilitation nicht ausreiche: „Neben verschiedenen Beamten sind nun in letzter Zeit auch die größeren Nationalsozialisten zur Wiedergutmachung angetreten, wie man so hin & wieder hört. Als alter Demokrat, der weder vor noch nach 1933 mit den Nazi etwas zu tun hatte, sehe ich mich deshalb veranlaßt, meinen finanziellen Schaden von 1933-1945 nachstehend anzumelden“.
Diesen finanziellen Schaden, den Schmitt als Verdienstausfall in dem Differenzbetrag zwischen dem aktiven Bezügen und dem Ruhegehalt von 1933 bis 1941 beziehungsweise zwischen dem reduzierten und dem vollen Ruhegehalt von 1941 bis 1945 berechnete, machte er in einem Wiedergutmachungsverfahren geltend, in dem die Entschädigungskammer beim Landgericht Karlsruhe seinen Antrag im April 1953 allerdings zurückwies – aus formalen Gründen, da er nicht fristgerecht eingegangen war, und auch mit dem sachlichen Hinweis, dass das württembergisch-badische Entschädigungsgesetz vom 16. August 1949 für solche Fälle keine Ausgleichsentschädigung vorsehe. Schmitt erhob hiergegen zunächst Klage, zog diese aber im Dezember 1953 nach „nochmaliger eingehender Rücksprache mit dem Öffentlichen Anwalt für Wiedergutmachung“ zurück, „da es sich keinerlei Erfolg“ versprach. Schmitt starb wenige Wochen später, am 23. Februar 1954, in Heidelberg.

Quellen:
GLA 235/34815
GLA 480/14319

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