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Otto Wacker als Hauptschriftleiter des „Führer“ in der Weimarer Republik

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Porträt von Dr. Otto Wacker als Hauptschriftleiter (Führer, 1.11.1932) | Klicken zum Vergrößern

Als Otto Wacker anlässlich seines 40. Geburtstags am 6. August 1939 im Rundfunk einen Rückblick auf sein bisheriges Leben hielt und diesen Text anschließend zur Veröffentlichung im Druck freigab, schaute er mit besonderem Stolz auf den erfolgreichen Aufbau der nationalsozialistischen Presse zurück. Dieser ist – da lag er sicherlich nicht ganz falsch – zu einem gewissen Grad auch sein persönliches Verdienst gewesen: „Es wurde mir ermöglicht, eine größere Aufgabe zu lösen dadurch, daß Gauleiter Wagner mir die Schaffung einer nationalsozialistischen Tageszeitung übertrug und dann wurde aus einem Wochenblatt [die Tageszeitung] der „Führer“. Ich bin um diese Zeitung etwa 30mal vor Gericht gestanden und wurde auch 5mal verurteilt.“

Nachdem Wacker zunächst ab 1919 an der Technischen Hochschule in Karlsruhe Architektur studiert hatte, wechselte er nach der Diplom-Vorprüfung 1921 an die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, um Neuere Literaturgeschichte, Germanische Philologie und Kunstgeschichte zu studieren. Er beendete sein Studium am 13. April 1928, als er mit einer Dissertation über die groteske Satire bei Johann Fischart, einem aus Straßburg stammenden alemannischen Dichter des 16. Jahrhunderts, promoviert wurde. Bereits am 1. April hatte er die vakante Stelle des Hauptschriftleiters bei der Karlsruher Zeitung „Der Führer“ angetreten, für die er schon seit November 1927 ehrenamtlich gearbeitet hatte. Journalistische Erfahrung brachte er mit; die von ihm und ein paar Gesinnungsgenossen 1924 gegründete NSDAP-Ortsgruppe Offenburg hatte ein eigenes Blatt, den „Völkischen Kämpfer“, herausgegeben; außerdem hatte er gelegentlich Berichte für den „Völkischen Beobachter“ und den „Südwestdeutschen Beobachter“, dem gemeinsamen Organ für die NSDAP-Gaue Baden und Württemberg, verfasst. Dadurch hatte er die Aufmerksamkeit des badischen NSDAP-Gauleiters Robert Wagner auf sich gezogen.

Nachdem im Februar 1928 der bisherige Hauptschriftleiter des „Führer“, Ludwig Ankenbrand, verstorben war, gelang es Wagner, den kurz vor Studienabschluss stehenden Wacker für die vakante Position zu gewinnen. Wacker war sich, wie er am 26. Januar 1936 rückblickend im „Führer“ schrieb, bewusst, was dieser Schritt bedeutete, nämlich „den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu der gesamten damaligen Umwelt“; ihm war klar, dass er sich dadurch unwiderruflich in den Dienst der nationalsozialistischen Bewegung begab.

Die Zeitung „Der Führer“ war 1927 auf Initiative Robert Wagners ins Leben gerufen worden, weil sich der badische Parteichef nicht länger mit den Württembergern den „Südwestdeutschen Beobachter“ teilen wollte. Die Schriftleitung, zu der neben Ludwig Ankenbrand auch Franz Moraller und der stellvertretende Gauleiter Karl Lenz gehörten, hatte ihr Büro in der Karlsruher Amalienstraße 20, wo alle damaligen NSDAP-Gruppierungen residierten. Zu den auswärtigen Mitarbeitern der ersten Stunde zählten zudem der bereits erwähnte Otto Wacker (Offenburg), damals noch Student in Freiburg, und Walter Köhler (Weinheim), der nachmalige NSDAP-Fraktionsführer im Badischen Landtag.

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Titelvignette des badischen NS-Blattes „Der Führer“ (1.11.1932) | Klicken zum Vergrößern

Nachdem in Bruchsal eine Druckerei gefunden worden war, die bereit war, das Blatt zu drucken, erschien die erste Ausgabe am 5. November 1927. Als fünf Monate später Otto Wacker nach Karlsruhe kam, erhöhte er die Seitenzahl des Samstagsblatts auf acht Seiten. Die Abonnentenzahl verdoppelte sich innerhalb des ersten Halbjahres von rund 450 auf über 800 und erhöhte sich bis Ende 1928 auf über 2.000, beflügelt durch den Wahlkampf im Vorfeld der Reichstagswahl 1928. Einen noch größeren Schub brachte im folgenden Jahr die Landtagswahl, als die Zahl der Bezieher fünfstellig wurde. Das Interesse an Inseraten wuchs so stark, dass die Zeitung mit Helmuth Lehr eine eigene Kraft für diese Aufgabe einstellen musste. Der Betrieb benötigte nun eine eigene kaufmännische Leitung, die mit Emil Munz besetzt wurde. Die Zeitung trug sich inzwischen selbst, nach Jahren großer finanzieller Entbehrungen und Risiken, die von allen Beteiligten später immer wieder mit einer Mischung aus Larmoyanz und Stolz bemüht wurden; daher konnte sie sich den Umzug in größere Räume in der Douglasstraße 10 leisten. Bald folgte eine eigene Druckerei in der Markgrafenstraße, deren Leiter Karl Fritz wurde.

1930 erhöhte „Der Führer“ seinen Umfang auf zehn, zum 1. Mai 1932 auf zwölf Seiten. Am 1. August erschien er zum ersten Mal als Halbwochenblatt, ab 1. Januar 1931 als Tageszeitung. Diese wurde hauptsächlich über Abonnements vertrieben, doch wagten sich einige Parteigenossen auch in die Öffentlichkeit; der Straßenverkauf begann an der Hauptpost und auf dem Marktplatz. „Der Führer“, der im gleichnamigen Verlag erschien, expandierte zu einem Wirtschaftsunternehmen, das 1932 nicht weniger als 80 Personen beschäftigte.

Zum Stichtag 1.1.1932 trat „Der Führer“ sein nordbadisches Verbreitungsgebiet an die neu gegründeten Blätter „Heidelberger Beobachter“ und „Hakenkreuzbanner“ ab, die noch im gleichen Jahr zu Tageszeitungen avancierten. „Der Führer“ konzentrierte sich fortan auf Mittelbaden. Die Herausgabe lokaler Beilagen erforderte die Aufstockung der Redaktion um zwei Mitarbeiter, Franz Bretz und Adolf Schmid. Zum schrittweisen Ausbau des Blattes gehörte die Herausgabe der Beilagen „Ortenauer Volkswarte“ für Offenburg (1.11.1931), „Grüselhorn“ für Lahr, „Merkur-Rundschau“ für Baden-Baden, „Bodensee-Rundschau“ für das Seegebiet (alle 1.5.1932), das „Hanauerland“ (1.8.1932) und das „Acher- und Bühler Echo“ (15.10.1932).

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Porträt von Dr. Otto Wacker als Hauptschriftleiter (Führer, 1.11.1937) | Klicken zum Vergrößern

Am 1. November 1931 begann „Der Führer“ mit der Herausgabe von Kopfblättern (Mantelzeitungen bzw. Nebenausgaben), zunächst für Freiburg; unter Hauptschriftleiter (Chefredakteur) Franz Kerber, der 1933 zum Oberbürgermeister von Freiburg ernannt wurde, verselbständigten sich diese zu einer eigenen Zeitung unter dem Namen „Der Alemanne“ mit dem Untertitel „Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens“. Auch „Der Führer“ verstand sich als „Kampfblatt“, nämlich für „nationalsozialistische Politik und deutsche Kultur“. Ab 1932 unterschied er eine Stadtausgabe für Karlsruhe und Umgebung und eine Landausgabe. Zusammen mit den beiden nordbadischen Zeitungen, der „Bodensee-Rundschau“, die ebenfalls ein Kopfblatt des „Führers“ wurde, sowie dem in Furtwangen erscheinenden „Schwarzwälder Tagblatt“ mit seinen eigenen Kopfblättern verfügte die NSDAP am Vorabend der Machtübernahme über ein nahezu flächendeckendes Pressewesen in Baden.

Für die Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie spielte in der Endphase der Weimarer Republik die Presse eine herausragende Rolle. Gauleiter Robert Wagner verstand etwas von Propaganda. Ebenso wie Otto Wacker hatte er Hitlers „Mein Kampf“ aufmerksam gelesen und auf dieser Basis einen Ratgeber für die propagandistische Tagesarbeit der Parteigenossen verfasst, bei der neben dem gesprochenen Wort dem geschriebenen Wort höchste Priorität zukam, wie er am 1.11.1937 anlässlich seines Rückblicks zum zehnjährigen Bestehen des „Führer“ erneut betonte. Die nationalsozialistischen Zeitungen waren für ihn nicht nur nominell, sondern auch im praktischen Einsatz regelrechte „Kampfblätter“; sie verkündeten nicht nur die nationalsozialistische Weltanschauung, sie provozierten, verleumdeten und hetzten gegen den politischen Gegner und gegen die Institutionen des demokratischen Staates. Verbote und Beschlagnahmungen des Blattes gehörten daher zum Kalkül der Herausgeber, ebenso Geld- und Gefängnisstrafen. Als verantwortlicher Herausgeber wurde Robert Wagner bereits im ersten Jahr des Bestehens der Zeitung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

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Aufzählung der Zeitungsverbote des „Führer“ (Führer, 1.11.1932) | Klicken zum Vergrößern

Sowohl Wagner als auch sein Chefredakteur Wacker nahmen die Rolle des Enfant terrible mit großer Überzeugung und gewiss auch einigem Stolz an. Sie wurden nicht müde auf die Prozesswelle hinzuweisen, mit der die badische Justiz die nationalsozialistische Presse zu stoppen versuchte. In der NS-Sprache liest sich das in einer Zwischenbilanz von Ende 1932 wie folgt: „Die beiden Schriftleiter Dr. Wacker und F. Moraller haben seit Bestehen des ´Führer` rund 65 Prozesse geführt, von denen etwa 20 Prozesse mit Strafen für die Schriftleiter endeten, während die übrigen von ihnen entweder gewonnen wurden oder – in dem berühmten Sande verliefen, aus dem das System sie nicht mehr ausgraben wollte. Die größte Zahl der Prozesse endete damit, daß die Gegner die Klagen zurückzogen oder Vergleiche anboten. Es gibt kein Hindernis, das nicht überwunden werden könnte. Eine Weltanschauung muß durchgepaukt werden, wenn sie siegen soll.“

Dieser Meinung war auch Otto Wacker: „Die Presse hat eine ungeheuere Macht über das Denken und Handeln von Millionen. […] Die Presse muß ein Hammer sein, der das deutsche Eisen unaufhörlich schmiedet und formt in Tagschicht und Nachtschicht“, schrieb er am 1. November 1937 in einer Sonderbeilage des „Führer“ zu dessen zehntem Jubiläum. Am 11. März 1933 wurde Otto Wacker zum Staatskommissar für das Kultus- und Unterrichtsministerium ernannt; zeitgleich beendete er seine Tätigkeit als Hauptschriftleiter des „Führer“. Am 6. Mai wurde er dann zum Minister des Kultus, des Unterrichts und der Justiz berufen. Mit Genugtuung konnte er, wie eingangs zitiert, auf seine persönliche Bilanz als presse- und strafrechtlich Verantwortlicher des „Führer“ hinweisen: Er habe 30 Mal vor Gericht gestanden und sei dabei fünf Mal verurteilt worden.

Dazu zählte unter anderem 1932 eine Haftstrafe von fünf Monaten, die später auf drei Monate verkürzt wurde; es ging um üble Nachrede gegen drei Abgeordnete der Zentrumspartei. In weiteren Fällen wurde er zu unterschiedlich hohen Geldstrafen verurteilt, da unter seiner Verantwortung Artikel erschienen, die den Landtag, die demokratischen Parteien und ihre Abgeordneten in übelster Weise beschimpften. Auch wenn Otto Wacker nicht der Verfasser dieser Artikel war, so hat er doch durch deren Veröffentlichung den politischen Charakter der Parteizeitung maßgeblich bestimmt. Mit seiner journalistischen Arbeit für den „Führer“ empfahl er sich bei Gauleiter Robert Wagner für höhere Aufgaben im Dienst des nationalsozialistischen Regimes.

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