„Das Sondergericht der damaligen Zeit hatte mit politischen Prozessen kaum etwas zu tun“: Die Lügen des Richters Alfred Hanemann vor der Spruchkammer und der Fall Blümel
Nach der Einrichtung der Sondergerichte am 21. März 1933 urteilten sie jene Strafbestände ab, die die Nationalsozialisten zur Durchsetzung ihrer Herrschaft und Unterdrückung gegnerischer Parteien sowie zur Kriminalisierung parteiunliebsamer Aussagen und Handlungen installiert hatten. Der ehemals deutschnationale Reichstagsabgeordnete Alfred Hanemann wurde zum ersten Vorsitzenden des in Mannheim eingerichteten Sondergerichtes bestellt. Während seines Spruchkammerverfahrens leugnete er jedwede politische Funktion der Sondergerichte. Die Strafakte von Anna Blümel, die im Januar 1934 wegen einer „unwahren Aussage“ zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, verdeutlicht hingegen die offensichtliche Kriminalisierung einer Bagatelle.
Im Januar 1934 wurde Anklage gegen die am 24. April 1904 in Neckarsteinach geborene und in Heidelberg-Kirchheim wohnhafte Anna Blümel erhoben. Die Staatsanwaltschaft warf ihr vor, im Oktober und November 1933 „gegenüber verschiedenen Personen geäussert [zu haben], nicht van der Lubbe, sondern Hitler-Anhänger hätten den Reichstag angebrannt, van der Lubbe sei von Hitler gekauft und habe dafür einen Haufen Geld bekommen.“ Aufgrund der „Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung“ vom 21. März 1933 stellte eine „unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art […], die geeignet ist, das Wohl des Reichs oder eines Landes oder das Ansehen der Reichsregierung oder einer Landesregierung […] schwer zu schädigen“, eine Straftat dar, die „mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft“ wurde. Diese Verordnung schränkte deutlich das Recht auf freie Meinungsäußerung ein und kriminalisierte zudem der Reichsregierung sowie der NSDAP missliebige Äußerungen, die angeblich das Ansehen des Reiches schädigten.
Als Hauptzeugen gegen Anna Blümel traten die Eheleute Greiss auf, die wohl in einem stark angespannten, ja verfeindeten Verhältnis zu ihr standen, weshalb Blümel zu Protokoll gab, dass es sich um einen Racheakt des Ehepaars im Zuge einer schwebenden Privatklage vom Frühjahr 1934 handele. Auch die von Blümel einberufenen Entlastungszeugen gaben an, dass „die Zeugen Eheleute Greiss und Konrad […] streitsüchtig und unglaubwürdig“ seien. Trotz der offensichtlichen Feindschaft der beiden Parteien sowie entlastender Aussagen verurteilte Alfred Hanemann als Vorsitzender des Mannheimer Sondergerichts Blümel am 19. Februar 1934 zu sechs Monaten Gefängnis: „Das Gericht ist zwar der Auffassung, dass die Angeklagte und die Zeugen Greiss und Konrad stark verfeindet miteinander sind; es liegt jedoch keinerlei Grund vor, anzunehmen, dass die Zeugen unter ihrem Eid bewusst Unwahrheiten gegen die Angeklagte ausgesagt haben.“ Darüber hinaus stand wohl die „durchaus bestimmte[] ruhige[] Weise“ der Eheleute Greiss im Gegensatz zur eher nervösen und „leicht erregbare[n]“ Persönlichkeit von Blümel. Lediglich aufgrund der Zeugenaussagen „hält das Gericht für festgestellt, dass die Angeklagte die ihr in der Anklageschrift zur Last gelegten Äusserungen wissentlich getan hat, unzweifelhaft aus einer kommunistischen Gesinnung heraus.“
Wenige Tage nach der Urteilsverkündung zeigte Blümel die Zeugen wegen Meineids an. Wie das Verfahren ausgegangen ist, geht aus den Akten indes nicht hervor. Eine Gefängnisstrafe musste Blümel allerdings nicht absitzen, da ihr ein Hafturlaub in Höhe ihrer Gefängnisstrafe zugesprochen wurde, damit sie ihr tuberkulosekrankes Kind pflegen konnte.
Im Frühjahr 1937 setzte der Ehemann von Blümel ein Schreiben an den Reichsjustizminister auf, worin er von den andauernden Anfeindungen gegenüber seiner Frau berichtete und um Aufhebung des Urteils bat: „Ich und meine Familie leiden sehr unter diesem Urteil. Fast bei jeder Gelegenheit wird meine Ehefrau von besonders ‚freundlichen‘ Nachbarn dieserhalb wieder anderen, uns weltfremden, Menschen gegenüber schlecht gemacht, ohne dass Grund und Ursache für ein derartiges Benehmen vorhanden ist oder war. Es ist schon nicht mehr schön auf dieser Welt, wenn einem das Leben in einer Volksgemeinschaft verleidet wird.“ Das Urteil des Sondergerichts gegen Blümel wurde schließlich im Mai 1947 auf Antrag des Oberstaatsanwalts in Mannheim aufgehoben, „da es sich hier um eine politische Tat handelt, die lediglich nach nationalsozialistischer Auffassung zu bestrafen war.“
Die Ausführungen Hanemanns vor der Spruchkammer und die zahlreichen Entlastungszeugnisse, sogenannte Persilscheine, zeichnen das bereits bekannte Verteidigungsnarrativ auf: „Niemand konnte die spätere Entwicklung der Partei ahnen“, gab Hanemann in seinem Verteidigungsschreiben vom 5. April 1946 an, obwohl er mit seiner Forderung nach Entlassung jüdischer Beamter und in seiner Funktion als Vorsitzender des Mannheimer Sondergerichts, das durch Einschränkung der Freiheits- und Menschenrechte sowie durch fehlende Berufungsmöglichkeit rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft setzte, dem Nationalsozialismus zur Durchsetzung seines Anspruchs auf Totalität verhalf und so dessen Gewaltregime förderte.
Zu seiner Tätigkeit als Vorsitzender des Mannheimer Sondergerichts gab Hanemann an, dass das „Sondergericht der damaligen Zeit […] mit politischen Prozessen kaum etwas zu tun [hatte]“, obwohl die Quellen eine andere Sprache sprechen. Zunächst urteilte das Sondergericht, welches bewusst in der nordbadischen Industriestadt eingerichtet worden war, die Straftaten nach der „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28. Februar 1933 und der „Heimtückeverordnung“ vom 21. März 1933 ab. Die vornehmsten Verhandlungsgegenstände waren deshalb zunächst die mittlerweile verbotene kommunistische Propaganda und nationalsozialismusfeindliche Meinungsäußerungen. Die Urteile des Sondergerichts sollten „auch im Gebiet des Tatorts weiteste Verbreitung finden“, so eine Anweisung der badischen Bezirksamt-Polizeidirektion, die sich in den Prozessakten gegen Blümel befindet. Die Bekanntmachung des Urteils in der Tagespresse sollte nicht nur die Bevölkerung einschüchtern sowie die parteiunliebsame Meinungsäußerung eindämmen, sondern stellte Blümel auch an den öffentlichen Pranger, weshalb sie fortan von ihrem Umfeld angefeindet wurde.
Am 2. November 1946 wurde Hanemann von der Mannheimer Spruchkammer als Mitläufer verurteilt. Neben der Mitgliedschaft in der NSDAP seit dem 1. Oktober 1933 „fällt noch ins Gewicht, dass er auch noch die Aemter als Vorsitzender des Jägerehrengerichts und stellvertretender Vorsitzender des Schiedsgerichts im Reichsnährstand bekleidete“, so die Urteilsbegründung. Seine Funktion als Vorsitzender des Mannheimer Sondergerichts wurde zunächst nicht berücksichtigt. Am 31. Oktober 1947 hob das Ministerium für politische Befreiung in Württemberg-Baden das Spruchkammerurteil auf und ordnete eine erneute Durchführung des Verfahrens an mit dem Hinweis auf Hanemanns Funktion als Vorsitzender des Sondergerichts: „Wie der Betroffene selbst angibt war er eine Zeit lang Sondergerichtsvorsitzender. Darüber sind Erhebungen noch nicht angestellt worden. […] Die Einreihung in Gruppe 4 erscheint daher nicht genügend gerechtfertigt.“ Am 3. Mai 1948 bestätigte die Mannheimer Spruchkammer jedoch die Verurteilung Hanemanns als Mitläufer und folgte in der Urteilsbegründung den Persilscheinen, dass „weder seine Stellung als Landgerichtspräsident und auch als Vorsitzender des Sondergerichts veranlassten, in der Rechtssprechung nationalsozialistische Anschauungen und nationalsozialistische Auslegung der Gesetze zu vertreten; er ist stets als Richter, auch bereits in den langen Jahren vor 1933, stets der gerechte, humane und menschenfreundliche Richter geblieben.“
Quellen:
GLA 507 Nr. 11886 a.
GLA 465a Nr. 56/S/1.
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