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„Psychopath in stärkerem Sinne, als mit der Ausübung eines Staatsamts noch vereinbar“ – die Zurruhesetzung des Regierungsrats Walter Schmid im Dezember 1938

Mit Urkunde vom 16. Dezember 1938 versetzte der „Führer und Reichskanzler“ den 38-jährigen Regierungsrat Walter Schmid in den Ruhestand. In seinem im Mai 1939 ausgestellten Dienstzeugnis war angegeben, der Beamte, der „sich als ein sehr tüchtiger, fleißiger und geschickter Arbeiter mit guten Kenntnissen und praktischer Veranlagung erwiesen“ habe,  sei „auf eigenen Antrag aus Gesundheitsgründen ausgeschieden.“

Was zunächst wenig außergewöhnlich klingt, erweist sich schon bei oberflächlichem Studium der Personalakte Walter Schmids als interessanter Einzelfall, der bei genauerer Untersuchung der Akte gegebenenfalls als Anhaltspunkt zum Umgang des württembergischen Wirtschaftsministeriums mit – nicht nur politisch – missliebigen Beamten dienen kann.

Folgt man allein den Personalakten des württembergischen Wirtschaftsministeriums, scheint die  Karriere Walter Schmids auf den ersten Blick bis 1933 in den üblichen Bahnen verlaufen zu sein. Wie jedoch bereits Michael Ruck vor nunmehr 20 Jahren angemerkt hat, entsprach Walter Schmid „gleich in mehrfacher Hinsicht nicht dem Normalprofil des württembergischen Landesbeamten“: Der Sohn eines Müllers war zum einen aus der evangelischen Landeskirche ausgetreten, zum anderen hatte er während seines Studiums der Rechtswissenschaften in Tübingen keiner Verbindung angehört. Dies habe schon 1928 einen Berichterstatter der Kanzleidirektion   des württembergischen Innenministeriums zu Nachforschungen veranlasst, mit dem Urteil, dass die „‚liberalisierenden und schöngeistigen Neigungen des Gerichtsassessors Dr. Walter Schmid […] ungefährlich sein‘“ würden. Schmid wurde 1928 „II. Beamter beim Oberamt Neuenbürg“ und bekleidete von 1930 bis zum März 1933 die gleiche Stelle beim Oberamt Calw, bevor er nach einer halbjährigen Tätigkeit bei der Zentralstelle für Landwirtschaft den Dienst im Landwirtschaftsreferat des württembergischen Wirtschaftsministeriums antrat.

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Das Bild zeigt die Vorgesetzten des Regierungsrates Walter Schmid, Wirtschaftsminister Dr. Jonathan Schmid (erste Reihe, 2. v. l.) und vermutlich auch Ministerialdirektor Ewald Staiger (erste Reihe, 3. v.r.) (aus: HStA Stuttgart, Nachlass Gögler, Q 1/58 Bü 87) | Klicken zum Vergrößern

Spätestens im April 1934 erfuhr das Wirtschaftsministerium von ersten Konflikten Walter Schmids mit den Nationalsozialisten. Ein Sturmführer aus Calw hatte in einem Schreiben an die dortige Kreisleitung behauptet, dass vor der Machtübernahme ein „eingefleischter Pazifist und gehässiger Gegner unserer Bewegung“, dessen Einstellung in der Hauptsache durch seine Ehefrau in die Öffentlichkeit getragen worden sei, beim dortigen Oberamt beschäftigt gewesen sei. Die Ehefrau sei sogar so weit gegangen, „öffentlich zu sagen, dass sie diesen Arbeitermörder Hitler mit kaltem Blut erschiessen könne“, weshalb er anfragte, „ob Dr. Schmid beim heutigen Staat noch verwendet wird.“ Über Gauleitung und politische Landespolizei erreichte das Schreiben das Wirtschaftsministerium. Schmid, um Stellungnahme gebeten, stritt die Beschuldigungen ab und führte sie auf einen persönlichen Konflikt zurück, da er als zweiter Beamter einmal dem Sturmführer die Ausstellung einer Jagdkarte verweigert habe. Der stellvertretende Gauleiter Friedrich Schmidt regte daraufhin an, beim Kreisleiter nachzufragen, um die Sache abzuschließen, gab jedoch auch an, dass der betreffende Sturmführer „nicht unbedingt zuverlässig sei.“ Die Calwer Kreisleitung bestätigte daraufhin zwar Schmids Angaben hinsichtlich seiner eigenen Person, nicht aber die über seine Ehefrau. Diese habe den Führer verächtlich gemacht, als Protestantin ihre Bekannten zur Wahl des Zentrums aufgefordert und sich gegen den Boykott jüdischer Geschäfte ausgesprochen. Bei einem Besuch des Kreisleiters Georg Wurster im Wirtschaftsministerium im Juli 1934 gelang es jedoch, die Sache auszuräumen. Walter Schmid versprach, auf seine Frau einzuwirken. Konsequenzen für Schmid hatte die Denunziation durch den Sturmführer nicht.

1936 wurde Schmid zur Landeskreditanstalt abgeordnet. Die Hintergründe dieser Abordnung sind unbekannt. Während seiner Abordnung gab er an, dass der Großvater seiner Ehefrau Jude gewesen sei. Schmid galt nun als „jüdisch versippter Beamter“. Dies hatte zwar, wie das Wirtschaftsministerium angab, keine direkten Konsequenzen auf seine Dienststellung, allerdings könne er nach den „Reichsgrundsätzen über Einstellung, Anstellung und Beförderung der Reichs- und Landesbeamten vom 14. Oktober 1936“ nicht mehr befördert werden. Am 30. Dezember 1937 reichte Schmid unter Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses ein Gesuch zur Versetzung in den Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen ein. Der Staatssekretär des Staatsministeriums und Referent des Reichsstatthalters Wilhelm Murr, Karl Waldmann, forderte die Einholung eines amtsärztlichen Zeugnisses, welches die Dienstunfähigkeit bestätigen sollte. Dieses wurde eingeholt. Im April 1938 bat das Wirtschaftsministerium den Reichsstatthalter, die Versetzung in den Ruhestand zu beantragen. Der zuständige Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft verweigerte jedoch die Zurruhesetzung. Er machte formelle Gründe geltend. Eine förmliche Erklärung des Dienstvorgesetzten fehle. Zudem solle die Dienstunfähigkeit noch einmal eingehend geprüft werden.

Im Oktober 1938 legte der ärztliche Direktor des Bürgerhospitals Stuttgart daraufhin eine abschließende Einschätzung der gesundheitlichen Probleme Schmids vor, die aus zwei von ihm im Abstand von wenigen Monaten erstellten Gutachten bestand. Dieses in der Akte enthaltene, fünfzehnseitige Dokument erhellt die Hintergründe des Wunsches Walter Schmids, aus dem Staatsdienst auszuscheiden, und verdient ausführlichere Erwähnung. Der Arzt diagnostizierte „vegetativ-neurotische Labilitätserscheinungen“, deren Auslöser seelischen Ursprungs seien. „Die Konflikte, die bei Herrn Schmid in dem genannten Sinne eine so grosse und bedeutsame Rolle spielen, wurden sehr genau mit ihm durchgesprochen und Herr Schmid wurde schliesslich von mir gebeten, diese Angelegenheit noch zu Papier zu bringen. […] Einerseits hielt ich es für meine Pflicht, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass dieses Gutachten auf diese seelische Seite der Angelegenheit eingehen müsse, weil nur so allein die vom Gutachter angenommene Bedeutsamkeit bewiesen werden konnte; andererseits wird von der massgebenden Stelle angesichts der folgenden Darstellung verstanden werden, dass der Gutachter es bis in die letzte Formulierung hinaus dem Herrn Dr. Schmid selbst überlassen musste zu bestimmen, in welcher Art seine Konflikte wiedergegeben werden sollen.“ Die Schilderungen Schmids werden auch im Gutachten wörtlich zitiert. So äußert er sich zu seiner Dienstunfähigkeit folgendermaßen: „Ich bin seit Frühjahr 1929 verheiratet. Unsere Ehe war in den ersten Jahren so gut wie ungetrübt […]. Im Herbst 1934 erfuhr nun meine Frau durch einen Zufall, dass sie durch ihren Großvater mütterlicherseits, der Jude war, teilweise nichtarischer Abstammung sei. […] Während ich es zu Anfang ziemlich schwer nahm, als ‚jüdisch versippter‘ Beamter in mancher Hinsicht benachteiligt zu sein und gewissermassen als Beamter zweiter Klasse zu gelten, liegen mir diese Rücksichten auf meine amtliche Laufbahn nun nicht mehr so sehr am Herzen, es sind vielmehr die grundsätzlichen Fragen in den Vordergrund getreten. Auf der einen Seite hänge ich, trotz der erwähnten Geschehnisse mit unveränderter Zuneigung an meiner Frau, ferner schätze ich auch meine Schwiegermutter als eine gütige, aufopfernde und tapfere Frau überaus hoch. Auf der anderen Seite muss ich mir darüber klar sein, dass diese Menschen, die mir am nächsten stehen nach der nationalsozialistischen Anschauung wegen ihres Rasseeinschlags als minderwertig gelten sollten. Zudem ist es überhaupt meine Überzeugung, dass die Anlage zum Guten in jedem Menschen vorhanden ist, und es widerspricht meinem sittlichen Empfinden, einen Menschen nicht nur für sein Verhalten, was in Ordnung ist, sondern von vornherein schon für seine Abkunft, für die er nichts kann, moralisch entgelten zu lassen. Da ich auch nach meinen sonstigen Erfahrungen unter den Juden schon wertvolle Menschen und gute Staatsbürger angetroffen habe, wird mir immer mehr klar, dass ich die Haltung des Nationalsozialismus in der Rassenfrage nicht zu der meinigen machen kann. Die Notwendigkeit, mich als Beamter äusserlich zu einer Überzeugung zu bekennen, der ich mich innerlich nicht in allen Punkten anschliessen kann, bedeutet für mich einen Konflikt, der mich, so wie ich mich selbst kenne, auf die Dauer seelisch und in der Folge auch körperlich aufreiben muss.“

Abbildung des Ministerialdirektors Ewald Staiger (aus: Ehmer, Willi: Fliegerland Württemberg. Eine kleine Geschichte der schwäbischen Fliegerei. Stuttgart 1938.) | Klicken zum Vergrößern

Dieser Konflikt war jedoch nicht der einzige, der Walter Schmid nach Aussage des Gutachtens beeinträchtigte. So habe sich bei Schmids Frau aufgrund der Nachricht, einen jüdischen Großvater zu haben, eine Psychose entwickelt. Es habe sich eine „Veränderung des Wesens der Frau herausgebildet, welche die Gestalt eines religiösen Fanatismus auf katholischer Basis annahm. Frau Dr. Schmid geriet offenbar ganz in den Bann der Kulthandlungen und hatte gar kein anderes Interesse mehr, als die Befolgung dieser Kultvorschriften.“ Wie ernsthaft der Zustand sei, gehe daraus hervor, dass sie sich mittlerweile in der Heilanstalt Schussenried befinde.  Dieser Zustand habe auch Schmid selbst aufs Äußerste mitgenommen. Zwar sei mittlerweile die Ehescheidung, bei der der Ehemann die Schuld auf sich genommen habe, vollzogen, aber die enge Verbindung zwischen den Geschiedenen bestehe fort, weshalb „die seine pathologischen Symptome mobilisierenden Spannungen und Konflikte keineswegs aus der Welt geschafft“ seien, zumal sich Schmid auch verpflichtet fühle, die Fürsorge für seine frühere Ehefrau nicht aufzugeben.

Nachdem sämtliche ärztliche Gutachten demnach die dauerhafte Dienstunfähigkeit bescheinigten und damit die geforderten Voraussetzungen gegeben waren, konnte nun erneut die Zurruhesetzung beantragt werden. Ein diesbezüglicher Entwurf schilderte zunächst den Werdegang im Staatsdienst, bekräftigte die Zuständigkeit des Wirtschaftsministeriums und nannte die Grundlage, auf der die Entscheidung der Zurruhesetzung fußte. Ein letzter Absatz ging auf die Ehescheidungsakten ein, die das Ministerium zwischenzeitlich eingefordert hatte: „Aus den angeschlossenen Ehescheidungsakten […] geht hervor, daß Reg.Rat Dr. Schmid auch in seiner weltanschaulichen Einstellung sich nicht immer von der Tatsache hat leiten lassen, daß das Programm und die Grundsätze der NSDAP. für das persönliche Tun und Lassen der Beamten maßgebend sein müssen.“ Der Ministerialdirektor des Wirtschaftsministeriums, Ewald Staiger, der schon zuvor durch eine Randbemerkung ausgedrückt hatte, dass er einen von Walter Schmid angebotenen erneuten Arbeitsversuch nicht für erwünscht halte, setzte bei seiner Korrektur diesen letzten Absatz in eckige Klammern mit der Begründung: „der letzte Absatz sollte m.E. wegbleiben; man weiß nicht was daraus gemacht wird. Schmid ist m. Ansicht nach Psychopath im stärkeren Grad als mit Ausübung eines Staatsamts noch vereinbar.“ Wirtschaftsminister Jonathan Schmid signalisierte daraufhin seine Zustimmung zu den Ausführungen seines Ministerialdirektors.

Diese Erläuterungen waren allerdings nicht mehr notwendig. Der Antrag auf Versetzung in den Ruhestand, der im April 1938 gestellt worden war, war mittlerweile nach Berlin weitergeleitet worden. Im Dezember 1938 wurde Schmid in den Ruhestand versetzt.

Kurz nach seinem Ausscheiden geriet er jedoch ins Visier der Gestapo. Sein Bruder Richard, ein Stuttgarter Rechtsanwalt und nach dem Krieg Generalstaatsanwalt, wurde der Vorbereitung zum Hochverrat beschuldigt. Eine strafbare Beteiligung konnte Walter Schmid aber nicht nachgewiesen werden. Walter Schmid widmete sich nach seinem Ausscheiden aus dem Wirtschaftsministerium zunächst der Landwirtschaft, bevor er 1940 aufgrund eines Krankheitsfalles in der Familie in seine Geburtsstadt Sulz am Neckar zurückkehrte. Wahrscheinlich – direkte Quellen dazu liegen derzeit nicht vor – wurde Walter Schmid vor Kriegsende zur Wehrmacht einberufen und geriet in französische Gefangenschaft. Er starb bereits 1952.

Walter Schmid war letztendlich im Alter von 38 Jahren aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt worden. Seine Beschwerden hatten ihre Ursache allerdings nicht zuletzt in der rassistischen Politik des Dritten Reiches, die er glaubte, vertreten zu müssen, ohne von ihr überzeugt zu sein. Schmid entschied sich schließlich gegen eine Beamtenkarriere. Das württembergische Wirtschaftsministerium legte einer Versetzung in den Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen nach Einholung eines ärztlichen Zeugnisses keine Steine in den Weg und setzte sich ebenso wenig dafür ein, Schmid zu halten. Allerdings versuchte der Ministerialdirektor des Ministeriums, den Dissidenten Walter Schmid gegenüber dem Kranken in den Hintergrund zu rücken, wobei er die Rückendeckung seines Ministers genoss.

Quellen und Literatur:

HStAS EA 6/150 Bü 147

HStAS Q 1/40 Bü 1

HStAS Q 1/40 Bü 8

Ruck, Michael: Korpsgeist und Standesbewusstsein. Beamte im deutschen Südwesten 1928-1972. München 1996 (Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland; 4).

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