Propaganda der Machtübernahme: Polemiken gegen die demokratischen Vorgängerregierungen in Baden im NSDAP-Parteiblatt „Der Führer“
Die Machtübernahme in den Ländern im Frühjahr 1933 verlief ähnlich wie auf der Reichsebene: Die systematische Beschneidung der Handlungsmöglichkeiten der politischen Opposition durch Verhaftungen und Zeitungsverbote wurde von massiver Propaganda in der nationalsozialistischen Parteipresse begleitet. Diese zielte darauf, zum einen die neuen Machthaber möglichst vorteilhaft in Szene zu setzen und zum anderen die Protagonisten der untergehenden Weimarer politischen Ordnung herabzuwürdigen. Vergleicht man die nationale Agitation mit der regionalen am Beispiel Badens, so fallen einige Parallelen unmittelbar ins Auge: So ließ sich der badische Gauleiter Robert Wagner bei der Gestaltung seines Einzugs in Karlsruhe als Reichsstatthalter am 8. Mai 1933 ganz offensichtlich vom „Tag von Potsdam“ inspirieren, der in dem Treffen Adolfs Hitlers mit Reichspräsident Paul von Hindenburg am 21. März die Verbindung von Nationalsozialismus und alter konservativer Elite symbolisieren sollte, und suchte bei den Feierlichkeiten ostentativ die Nähe zu den badischen Militärführern des Ersten Weltkriegs. Auch der Berliner Reichstagsbrand, der den Nationalsozialisten einen willkommenen Anlass bot, die Verschärfung der Verhaftungswelle gegen Kommunisten und Sozialdemokraten zu rechtfertigen, hatte ein badisches Gegenstück in der Tötung zweier Freiburger Polizeibeamter durch den sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten Christian Daniel Nußbaum, die statt als Unglücksfall, als die sie wegen einer psychischen Erkrankung des schließlich auch für nicht straffähig befundenen Täters erscheinen mochte, in der Parteipresse als von langer Hand geplanter „marxistischer Meuchelmord“ (Der Führer, 18. März 1933) dargestellt wurde.
Wie auf Reichsebene spielte auch in Baden in der nationalsozialistischen Propaganda des Frühjahrs 1933 die Denunziation prominenter republikanischer Politiker eine wichtige Rolle. Ihr kam in regionaler Perspektive insofern sogar eine herausgehobene Bedeutung zu, als die Regierungsumbildung in Karlsruhe, anders als in Berlin, wo ein Präsidialkabinett das andere abgelöst hatte, nicht auf dem in der Verfassung vorgezeichneten Weg erfolgt war, sondern auf der Grundlage des Notstandsrechts. Warum es nötig war, eine demokratisch legitimierte Regierung durch einen aus Berlin entsandten Reichskommissar abzusetzen, bedurfte der Erklärung: Das zu Beginn der Machtübernahme im Vordergrund stehende Argument, die abgelöste Regierung sei nicht in der Lage gewesen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, trat bald zurück hinter persönlichen Angriffen auf die alten Minister, insbesondere auf den entmachteten Staatspräsidenten Josef Schmitt und den früheren Innen-, Kultus- und Justizminister Adam Remmele, die in der zweiten Hälfte des März und im April 1933 wiederholt zu Zielscheiben einer Skandalberichterstattung im Parteiblatt der badischen Nationalsozialisten wurden.
Den Auftakt machte „Der Führer“ am 12. März mit einem Bericht über die Entdeckung einer technisch komplizierten „Bespitzelungsanlage“ im Ministerbüro des Innenressorts, mit der der Sozialdemokrat Remmele – dies sei ein Beleg für das „übelste System der Gesinnungsschnüffelei gegen die Beamtenschaft“ – sämtliche Telefonate in seinem Ministerium habe abhören können. Drei Tage später machte sich das Parteiblatt über die Versuche des Zentrumspolitikers Schmitt, sich als Glaubensmärtyrer zu inszenieren, lustig: Die von ihm erbetene Möglichkeit zur Teilnahme an einem Gottesdienst sei dem in seiner Wohnung vorübergehend in „Schutzhaft“ befindlichen abgesetzten Staatspräsidenten selbstverständlich gewährt worden, nicht aber das Vergnügen eines Theaterbesuchs, nach dem er zuerst gefragt und der für Schmitt offenkundig Priorität vor seinem Seelenheil gehabt habe. Am folgenden Tag, dem 16. März, informierte „Der Führer“ seine Leserschaft dann über die „Tragikomödie“ von Schmitts Absetzung: Als letzte Amtshandlung habe er telegraphisch an den Reichspräsidenten einen „unsagbar lächerlichen S.O.S.-Ruf“ nach Berlin abgesetzt und auf die Gefahr eines schweren „Blutvergießens“ in Karlsruhe hingewiesen – ein, wie „Der Führer“ meinte, ganz unrealistisches Szenario, da die „Tausende von katholischen Frauen und Mädchen, denen der Herr Staatspräsident seinen Thron verdankt“, auch auf seinen Wunsch „nicht zu Furien“ würden.
Konzentrierte sich die publizistische Hetze zunächst auf die charakterlichen Mängel der früheren Minister, so garnierte „Der Führer“ diese schon bald durch Enthüllungen von politischem Fehlverhalten, vor allem einer „Mißwirtschaft“, die in allen badischen Ministerien geherrscht habe. In den Fokus rückten hierbei zum Beispiel die Pensionszahlungen an die früheren Landesminister, deren Höhe im Falle der beiden ehemaligen Staatspräsidenten Anton Geiß (SPD) und Gustav Trunk (Zentrum) publik gemacht wurde mit der gleichzeitigen Ankündigung, dass diese selbstverständlich umgehend gestrichen würden. Einen Höhepunkt erreichte die Skandalberichterstattung Anfang April mit der Eröffnung der Ausstellung „Regierungskunst 1918 bis 1933“ in der Badischen Kunsthalle in Karlsruhe, die der Öffentlichkeit vor allem moderne Gemälde präsentierte, die in den Jahren der Republik auf Staatskosten angeschafft worden waren. „Der Führer“ beklagte nicht nur, „wie hier 14 Jahre lang mit Staatsgeldern gewissenlos geast worden ist“, sondern sah durch die Karlsruher Schau, bei der es sich um ein Pionierprojekt der späteren Großausstellungen „entarteter Kunst“ handelte, auch den Nachweis erbracht, dass die „hier erstmals vereinte Afterkunst“, namentlich genannt wurden etwa Otto Dix, Max Liebermann, Edvard Munch und Max Slevogt, „ein unbestreitbarer Krebsschaden für die Volksbildung gewesen ist“ (8. April 1933).
Ging es bei den Kunstkäufen der demokratischen Vorgängerregierungen immerhin um beträchtliche Summen, so scheute sich „Der Führer“ nicht, vermeintliche Verschwendungen auch im Kleinen anzuprangern. Ein Beispiel hierfür bietet der am 19. April auf der Titelseite platzierte Artikel „Die Frühstücke der bad. Minister“, der erneut Remmele ins Visier nahm. Das Blatt zitierte aus einem Schreiben des damaligen Innenministers vom November 1928, in dem er beim Staatsministerium angeregt hatte, im Rahmen einer kleinen Feier Gustav Trunk und dem Sozialdemokraten Ludwig Marum aus Anlass ihrer zehnjährigen Mitgliedschaft in der Regierung die badische Staatsmedaille zu verleihen. Für die Ehrungen, die bei dem so zustande gekommenen „Frühstück“ der badischen Staatsregierung am 21. November 1928 vorgenommen worden waren, interessierte sich der „Der Führer“ nicht, sehr wohl aber für den Speiseplan, über den er seine Leserinnen und Leser im Detail unterrichtete: „ 1 Rehrücken, 1 Gans, 1 Ente, 11/2 Pfund Rheinsalm, Kaviar, Lax, Tomatenmark, Makkaroni, Trüffeln, Champignon, Morcheln, Erbsen, Apfelmus, Kaiserkirschen, Maronen, Mokka, Italienischer Salat, Mayonaise, Käsekuchen, Rahmschiffchen“, ein „bescheidenes Frühstück“ im Wert „von zirka 180 RM, wobei die üblichen Getränke nicht inbegriffen sind – nebenbei bemerkt, ein Betrag, von dem vier arbeitslose Familien einen ganzen Monat leben mußten“. Auch in die Kosten der Feier von Remmeles eigenem zehnjährigen Regierungsjubiläum, das im März 1929 begangen wurde, gewährte „Der Führer“ Einblick: Neben den „bereits bekannten Lieblingsspeisen“ habe man dort für 144 Mark Kaviar verzehrt, und an „Getränken gab es Kupferberg und Benediktiner. Falls sich jemand für die Zigarren interessiert, die von diesen Leuten geraucht wurden, so kann als Spezialmarke Cordon rouge zu 2 Mark und Batschari Krone zu 8 Mark empfohlen werden“. Obwohl die Intention dieses Enthüllungsberichts offenkundig war, wurde sie am Schluss nochmals expliziert: „Remmeles Lorbeerkränze sind verwelkt. Sein Name wird im badischen Volke so bald nicht der Vergessenheit anheimfallen. Dafür wollen wir sorgen, denn er war ein echter Vertreter des korrupten Novembersystems, der in Genüssen schwelgte, während die ‚Genossen‘ draußen Hungers starben“.