„Die Partei vor eigensüchtige Wünsche spannen“ – Das Karrierestreben einer Karlsruher Lehramtsassessorin und die Widerstände des Kultusministeriums dagegen
Die 1933 in die Schlüsselstellen der Ministerialbürokratie gelangten Nationalsozialisten waren zwar mit den NSDAP-Parteistellen in den politischen Zielen einig, gerieten aber mitunter mit jenen in Konflikt über die Wege, auf denen diese Ziele erreicht werden sollten. Der Verfasser dieser Zeilen hat eine solche Konstellation vor einigen Wochen in einem Blogartikel beleuchtet, der einen Streit zwischen dem badischen Kultusminister Otto Wacker und dem NSDAP-Parteiblatt „Der Führer“ über die Schulpolitik im Jahr 1934 behandelt hat – dabei ging es unter anderem um die Frage, wie Parteimeriten einerseits und fachliche Qualifikationen andererseits bei der Besetzung von Lehrerstellen zu gewichten seien. Wie die badische Kultusministerialbürokratie mit diesem Problem in der Praxis umging, sei im Folgenden anhand eines Beispiels illustriert, in dem der Zielkonflikt zwischen politischer Opportunität und fachlichen Standards besonders deutlich zu erkennen ist.
Es ging hierbei um die 1904 in Karlsruhe geborene Lehramtsassessorin Lotte Behm, die ihre Hochschulreife auf Umwegen – nach vorzeitigem Verlassen der Höheren Mädchenschule 1921 war sie für einige Jahre im Kanzleidienst des badischen Justizministeriums tätig gewesen – erreichte. Dem 1929 nachgeholten höheren Schulabschluss folgte ein Studium der Fächer Deutsch, Geschichte und Französisch an der Universität Heidelberg, das sie 1934 mit dem Staatsexamen abschloss. Ein Jahr später bestand Behm auch das Assessorenexamen; allerdings waren ihre Noten zu schlecht für eine Übernahme in den höheren Schuldienst. Einer Verwendung als Volksschullehrerin, wie sie häufig nicht übernahmefähigen Assessorinnen und Assessoren angeboten wurde, stimmte Behm nicht zu; stattdessen trat sie am Jahresanfang 1937 in den Handelsschuldienst ein. Einen Nebenweg in den von ihr mit Nachdruck angestrebten höheren Schuldienst schien sich für sie dann durch einen akuten Mangel an Turn- und Sportlehrern zu eröffnen: Um sich hierfür zu qualifizieren, legte Behm im Juli 1937 das Deutsche Reichssportabzeichen für Frauen ab.
Als ihre mehrfachen Vorsprachen in eigener Sache im Kultusministerium nicht fruchteten, schaltete Behm das Gaupersonalamt der NSDAP ein, das im Juli 1938 ein weiteres Gesuch Behms um Aufnahme in den höheren Schuldienst unterstützte, in einem Schreiben an das Kultusministerium ihre Verdienste um die Partei, insbesondere ihre führende Stellung im Bund Deutscher Mädel (BDM), hervorhob und darum bat, „sich eine Regelung der Angelegenheit in dem von der Gesuchstellerin angestrebten Sinne angelegen“ sein zu lassen. Behm verwies in ihrem Gesuch auf vielfältige familiäre Widrigkeiten, offenkundig um die schlechten Noten zu rechtfertigen, und hob selbst ihre politischen Meriten hervor: Sie habe sich seit etwa einem Jahrzehnt „für den nationalsozialistischen Gedanken eingesetzt“ und sich in Heidelberg der nationalsozialistischen Studentenschaft angeschlossen. Ein Parteieintritt sei 1933 wegen der Mitgliedersperre nicht geglückt, sie sei aber Mitglied im Heidelberger Ortsverein geblieben, habe dem Opferring angehört und sich während ihrer Referendarzeit darum bemüht, „in den Kreisen des Höheren Schulwesens Sinn und Verständnis für die Bewegung zu wecken“. Seit 1935 sei sie als „BDM Führerin und Schulungsreferentin“ tätig, und die Überführung in die Partei sei im Mai 1937 erfolgt.
Im Kultusministerium reagierte man auf das Gesuch zunächst nicht. Erst als vier Wochen später von Seiten der Gauleitung eine Nachfrage zum Stand der Dinge einging, fertigte der zuständige Referent in der Abteilung für Höhere Schulen, Ernst Fehrle, einen Aktenvermerk an, in dem der Fall Behm aus der ministerialbürokratischen Sicht zusammengefasst wurde. Die wegen ihrer schlechten Noten nicht für den höheren Schuldienst berücksichtigte Lehramtsassessorin habe die „verschiedensten Referenten in ihrer aufdringlichen Art durch Briefe und unzählige Vorsprachen belästigt, um ihre Aufnahme in die Assessorenliste zu erzwingen“. Diesem Anliegen habe nicht entsprochen werden können und könne auch jetzt nicht entsprochen werden, da sie es „über den Weg als Turnassessorin“ versuche. Bei der ersten Zusatzprüfung für Leibesübungen sei sie durchgefallen, und als sie „auf weiteres Flehen“, was „bisher noch nie vorgekommen war“, zu einer Wiederholungsprüfung zugelassen worden sei, habe sie diese zweimal, „angeblich wegen Unpäßlichkeit“, versäumt. Die Prüfung habe sie schließlich nur mit der schlechtesten Note bestanden, woraufhin man ihr im November 1937 „auf ihre erneuten Belästigungen“ mitgeteilt habe, „daß sie als Turnlehrerin in den öffentlichen badischen höheren Schuldienst nicht übernommen werden könne“.
Der Verdruss über die Angelegenheit, der aus diesem Aktenvermerk spricht, ist auch in dem Schreiben deutlich, mit dem das Kultusministerium am 8. August 1938 das Gaupersonalamt im Fall Behm beschied: Die Gesuchstellerin, die seit Jahren „durch Schreiben und unzählige Vorsprachen die verschiedensten Referenten des Unterrichtsministeriums“ belästige, könne aus grundsätzlichen Erwägungen nicht berücksichtigt werden. Eine hohe Anzahl von Assessoren „mit weit besseren Prüfungsleistungen“ sei in den Volks- oder in den Privatschuldienst eingetreten, und Behm sei bereits durch ihre Übernahme in den Handelsschuldienst „ausnahmsweise bevorzugt“ worden. Angesichts des „Charakters von Fräulein Behm“ sei es nicht überraschend, „daß die Assessorin nun die Partei vor ihre eigensüchtigen und durch nichts berechtigten Wünsche zu spannen versucht“. Dem Antrag des Gaupersonalamts könne auch deshalb nicht stattgegeben werden, weil alle anderen nicht übernommenen Assessoren ihres Jahrgangs „eine nochmalige Bevorzugung der Assessorin Behm als schwere Ungerechtigkeit empfinden“ würden.
Die Gesuchstellerin, der vom Leiter der Abteilung für höhere Schulen, Ministerialrat Herbert Kraft, in ähnlich scharfem Ton die Ablehnung mitgeteilt wurde, brachte dies in einige Verlegenheit, da sie in Erwartung eines positiven Ausgangs der Angelegenheit ihre Pflichten als Handelsschullehrerin offenkundig vernachlässigt hatte. Dies jedenfalls legt ein Schreiben des Direktors der Handelslehranstalten für Mädchen in Karlsruhe nahe, der dem Kultusministerium im September 1938 berichtete, dass Behm es bisher versäumt habe, sich die „für die Durchführung des ihr übertragenen Unterrichts notwendigen betriebswirtschaftlichen Kenntnisse“ anzueignen, „weil sie immer hoffte, in den Schuldienst an Höheren Lehranstalten übernommen zu werden“. Behm habe deshalb bislang nur „mit der Vertretung erkrankter oder einberufener Lehrer in den Fächern Deutsch, Geschichte und Turnen betraut“ werden können. Dies werde sich jedoch bald ändern, da sich Behm verpflichtet habe, „bis Schuljahresbeginn 1939/40 bestrebt zu sein, mir die zur ordnungsgemäßen Durchführung des Unterrichts an Handelsschulen und Höheren Handelsschulen notwendigen grundlegenden betriebswirtschaftlichen Kenntnisse anzueignen und diese durch Ableistung einer mehrwöchigen Ferienpraxis“ zu vertiefen.
Hierzu kam es indes nicht, da schon im Oktober 1938 die Berliner Schulbehörde der mit der Bitte an das badische Kultusministerium herantrat, Behm aus dem badischen Schuldienst zu entlassen, da ihre Übernahme in den höheren Schuldienst der Reichshauptstadt beabsichtigt sei. Einwendungen hiergegen gab es im Kultusministerium – in Anbetracht der Vorgeschichte verständlicherweise – nicht. An welcher Schule in Berlin Behm beschäftigt werden sollte, erschließt sich aus den überlieferten Karlsruher Akten nicht. Ebenso wenig lassen sie erkennen, auf welchen Wegen die Übernahme in den Berliner Schuldienst angebahnt wurde. Dass bei der Erlangung der seit drei Jahren hartnäckig angestrebten Stellung im höheren Schuldienst Parteistellen mitgeholfen haben, ist nicht unwahrscheinlich.
Quelle: GLA 235 13301
Quelle_Lotte_Behm