https://ns-ministerien-bw.de/wp-content/themes/nslmbw

Das „Dirnentum [tritt] heute noch stark in Erscheinung“ – Notizen zu einer Polizeiaktion gegen Prostituierte und Zuhälter in Mannheim und Karlsruhe, 1934

Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten voom 18. Februar 1927, in: RGBl. I/9, 1927, S. 61ff., hier: S. 61 | Klicken zum Vergrößern

Am 16. Juni 1934 wandte sich das badische Innenministerium mit einem Schreiben, die „Bekämpfung des Dirnentums und der Zuhälterei“ betreffend, an die Polizeipräsidien Mannheim und Karlsruhe sowie an die Bezirksämter und Polizeidirektionen Heidelberg, Freiburg, Pforzheim, Baden-Baden, Lörrach und Konstanz. In diesem Schreiben konstatierte der Innenminister, dass bisher keine umfassenden polizeilichen Maßnahmen gegen das Prostitutionsgewerbe ergriffen worden waren, da man auf eine grundlegende Änderung des seit 1927 gültigen Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten durch die Reichsregierung gehofft und gewartet hatte. Da allerdings mit einer solchen Gesetzesänderung „in allernächster Zeit“ wohl nicht zu rechnen sei, könne man nun unter Berücksichtigung des „stark einsetzenden Sommerfremdenverkehr[s]“ mit einem verstärkten Zugriff auf das Milieu nicht mehr warten.

Das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten aus dem Jahre 1927 war das Ergebnis einer seit dem Ersten Weltkrieg währenden Diskussion um die Möglichkeiten der Eindämmung und Verhütung von Geschlechtskrankheiten. Es hatte im Wesentlichen die ärztliche Behandlungspflicht von an einer Geschlechtskrankheit leidenden Person sowie den Schutz noch nicht infizierter Personen bestimmt, ferner den Ausbau von Beratungsstellen und die Liberalisierung von Schutzmitteln festgelegt. Grundlegende Forderungen des Gesetzes waren die Aufhebung der Reglementierung und damit der Kasernierung der Prostitution, das heißt die Abschaffung von staatlichen und polizeilichen Kontrollmaßnahmen gegenüber dem Milieu sowie die Beendigung von Wohnbeschränkungen für Prostituierte auf bestimmte Häuserblocks oder Straßenzüge. Bordelle mussten schließen, und die Überwachung von Prostituierten war fortan eine gesundheitsbehördliche Angelegenheit. Das Gesetz wurde, kaum dass es in Kraft war, von verschiedenen Seiten und insbesondere der Polizei stark kritisiert und regelrecht angefeindet. Auch unter dem nationalsozialistischen Regime bestand das Gesetz weiter, dennoch sahen gerade die Angehörigen der Polizeibehörden in den neuen Machthabenden diejenigen, die das unliebsame Gesetz abschaffen und ihnen wieder vermehrt Handlungsmacht auf dem Gebiet der Kontrolle der Prostitution einräumen würden. Die Nationalsozialisten schafften das Gesetz aber tatsächlich nicht ab; sie verschärften allerdings durch das Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften vom 26. Mai 1933 den § 361, 6 Reichsstrafgesetzbuch (RStGB), in dem seit 1871 die Regelungen zur Prostitution festgeschrieben waren. Dieser drohte nun nach seiner Modifizierung Haft für diejenige Person an, die „öffentlich in auffälliger Weise oder in einer Weise die geeignet ist, einzelne oder die Allgemeinheit zu belästigen, zur Unzucht auffordert oder sich dazu anbietet“. Hiermit hatten die Polizeibehörden wieder eine freiere Handhabe, um gegen Angehörige des Prostitutionsgewerbes vorzugehen, denn es lag ab sofort im Ermessensspielraum des jeweiligen Polizeibeamten, wer öffentlich „auffiel“. Herkömmliches Strafrecht war durch Polizeirecht ersetzt worden.

Schreiben des badischen Innenministers betr. Bekämpfung des Dirnentums- und der Zuhälterei (GLA Karlsruhe 234 Nr. 6643) | Klicken zum Vergrößern

Ganz in diesem Duktus ordnete das Innenministerium in seinem Schreiben vom 16. Juni an, dass in der Woche vom 22. bis 27. Juni die Kriminalpolizei unter Mithilfe der weiblichen Polizei intensiv gegen das „Unwesen“ von Prostituierten und Zuhältern einzuschreiten habe. Grundlage hierfür bildete die folgende Feststellung: „Wenn auch das Dirnentum als Erscheinung wohl nie ganz beseitigt werden kann, so muß es doch im nationalsozialistischen Staat derart zurückgedrängt werden, daß eine Belästigung der Öffentlichkeit und eine sittliche Gefährdung der Jugend unterbleibt.“ Neben der weiblichen und Kriminalpolizei sollte auch die Revierpolizei bei der Verhinderung dieser „lästigen Erscheinung des Straßenbildes“ – wie die Prostitution in vorliegendem Schreiben tituliert wird – mitwirken. Das grundlegende Instrument der polizeilichen Instanzen zum Ausspruch von Strafen gegen Angehörige des Milieus sollte der verschärfte § 361, 6 RStGB sein.

Bei der Durchführung der Aktion musste die Polizei bezüglich der fokussierten Gruppen folgendermaßen vorgehen: Für die Prostituierten sollte in allen Fällen, „in denen die gesetzlichen Voraussetzungen“, das heißt die Straftatbestände des § 361, 6 RStGB erfüllt waren, richterliche Entscheidung über die Möglichkeit der Unterbringung betreffender Frauen in einem Arbeitshaus beantragt werden. Die Arbeitshausverbringung konnte auf Basis des § 42 d, Absatz 1 und 2 RStGB in der Fassung des Gesetzes über Maßnahmen der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933, des sogenannten Gewohnheitsverbrechergesetzes, bestimmt werden. Im Zuge dessen sollten insbesondere die Wohnungsverhältnisse der Prostituierten in Hinblick auf Abschnitt 6 a und b des § 361 überprüft, folglich jener Sachverhalt festgestellt werden, ob Prostituierte in der Nähe von Kirchen oder Schulen beziehungsweise Örtlichkeiten, an denen sich Jugendliche zwischen drei und 18 Jahren aufhalten könnten, ihrem „Unzuchtsgewerbe“ nachgehen. Waren jene Optionen, die der § 361, 6 RStGB bot, nicht hinlänglich, um eine „Dirne“ ins Arbeitshaus einliefern zu lassen, konnte auch „in beschränktem Umfange“ von der polizeilichen Festnahme auf Grundlage von § 1 der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 Gebrauch gemacht werden – allerdings nur insoweit eine Unterbringung der Prostituierten in den örtlichen Gefängnissen einzurichten war.

Bezüglich jener Männer, die der Zuhälterei verdächtigt wurden, sollte, „soweit der Nachweis einer strafbaren Handlung nicht erbracht“ werden und damit Einweisung ins Gefängnis erfolgen konnte, ein Antrag beim Landeskriminalpolizeiamt auf Verbringung in das Arbeitshaus Kislau gestellt werden. Ausländische Prostituierte und Zuhälter waren unter Rückbezug auf das Gesetz über Reichsverweisungen vom 23. März 1934 zu exilieren. Das Schreiben des Innenministers betonte überdies explizit die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen Polizei und der jeweils zuständigen Gesundheitsbehörde bei der Überprüfung der Prostituierten und Zuhälter. Grund hierfür: Die Gesundheitsbehörden hatten ihrerseits, seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und durch die Übernahme der gesundheitlichen Betreuung von Prostituierten, umfängliches Datenmaterial über betreffende Personen sammeln können, Informationen, die nun für die Polizei speziell bei der Ermittlung von prostitutionsverdächtigen Frauen von großem Interesse waren.

Verordnung zur Bekämpfung der Gewerbsunzucht vom 19. August 1933, in: Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt 58, 1933, S. 161 | Klicken zum Vergrößern

Im August desselben Jahres wurden dem Innenministerium dann die Ergebnisse der Aktion vom 22. bis 27. Juni weitergeleitet: Diese hatte ergeben, dass in Mannheim und Karlsruhe das „Dirnentum heute noch stark in Erscheinung tritt“, obschon sich die Verhältnisse in der letzten Zeit „gebessert“ hätten. Die Wohnungen der Prostituierten seien bei der Razzia „eingehenden Kontrollen“ unterzogen worden. Ferner wurde festgehalten, dass insbesondere in Karlsruhe massiv gegen das „Zuhältereiunwesen“ vorgegangen werde. Als Diskussionspunkt benannte der Bericht die Tatsache, dass einzelne Städte mit ihren Dienststellen, so auch Mannheim und Karlsruhe, wieder dazu übergegangen seien, „die Dirnen nur in einer bestimmten Strasse wohnen zu lassen“, also die Kasernierung der Prostitution wieder eingeführt hatten, was eigentlich auf Basis des noch bestehenden Geschlechtskrankheitengesetzes untersagt war. Für Mannheim handelte es sich hier um die Gutemannstraße in der Neckarstadt-West, und für Karlsruhe um die im Stadtteil „Dörfle“ gelegenen Straßen, unter anderem die „Entenstraße“. Über den Umstand der zum Teil auf lokaler Ebene wiedereingerichteten Wohnbeschränkungen der Prostituierten sollte in Verhandlungen mit betreffenden Städten getreten werden. Ebenso betonte der Bericht, dass gerade in als „Massagesalons“ getarnten Prostitutionsbetrieben die Zustände „äusserst sittenwidrig“ seien. Diesbezüglich seien allerdings schon im Juli zu ergreifende Regelungen formuliert und veranlasst worden.

Insgesamt befand der Bericht, dass die bislang ergriffenen Maßnahmen eine Gewähr dafür bieten würden, „dass das Dirnentum sich nicht noch weiter ausbreitet“, sondern dieses bereits eher im Abnehmen begriffen sei. Abschreckend habe das energische Vorgehen in Bezug auf das „unsittliche“ Gewerbe und die bis jetzt ausgesprochenen hohen Zuchthausstrafen gegen Zuhälter gewirkt. Für die Zukunft wurde formuliert, dass man auch weiterhin „unvermutete Kontrollen“ durchführen wolle, um letztlich das „Dirnentum“ in der Form zurückzudrängen, dass „es nicht mehr in Erscheinung tritt.“

Quelle: GLA Karlsruhe 234 Nr. 6643

Anzuhängende Quelle_Dirnentum

Hinterlassen Sie einen Kommentar