Wie der Rechtsanwalt Hans Elsas 1933 um seine Zulassung kämpfte
Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (BBG) vom 7. April 1933 wurde zugleich das „Reichsgesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“ erlassen. Beide Gesetze zielten vor allem darauf ab, einerseits „Nichtarier“, also Juden und in der perfiden Kategorisierung des NS-Staates zu Juden erklärte Personen, und andererseits politisch unliebsame Beamte aus dem Staatsdienst und der Justiz zu drängen. Auch für zahlreiche Juristen aus Württemberg bedeuteten die restriktiven Gesetze und nachfolgenden Verordnungen große Einschnitte in die berufliche Existenz. Ein in vielerlei Hinsicht besonders bemerkenswerter Fall ist der des Rechtsanwaltes Hans G. Elsas aus Stuttgart.
Hans Elsas, geboren am 1. März 1894 in Stuttgart, hatte seine Zulassung als Rechtsanwalt am Landgericht und Oberlandesgericht in Stuttgart 1923 erhalten. Elsas entstammte einer Juristenfamilie und hatte Beziehungen zu hohen Funktionsträgern in der Justiz: So waren nicht nur sein Großvater und Vater schon als Juristen tätig. Elsas heiratete zudem Theresia Reichert, die Tochter des Senatspräsidenten a. D. am Reichsgericht und Vorsitzenden des „Deutschen Richterbundes“ von 1922-1929, Max Reichert. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt trat der Stuttgarter in zahlreichen literarischen Publikationen und Beiträgen in renommierten Verlagen und überregional bekannten Zeitungen und Zeitschriften in Erscheinung und gehörte dem „Reichsverband Deutscher Schriftsteller“ an. Hans Elsas war evangelisch getauft, galt aber aufgrund seiner jüdischen Wurzeln in den Kategorien der Nationalsozialisten als „Nichtarier“.
Mit der Einführung des BBG hatte sich Elsas im April 1933 gegenüber Hermann Cuhorst zu vertreten und seine Lage zu schildern. Cuhorst trat schon zu Beginn der dreißiger Jahre als überzeugter Nationalsozialist in Erscheinung, kam mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1933 in die Personalabteilung des Justizministeriums und machte in den folgenden Jahren eine nahezu beispiellose Karriere in der württembergischen Justiz. Bekanntheit weit über die regionalen Grenzen hinaus erhielt er in seiner Funktion als Sondergerichtsvorsitzender ab 1937 in Stuttgart, bei dem er zahlreiche Todesurteile zu verantworten hatte. Vor der Entlassung im Jahre 1933 auf der Grundlage des sogenannten „Arierparagraphen“, das im BBG und im Rechtsanwaltsgesetz festgeschrieben wurde, war Elsas durch eine Ausnahmeregelung geschützt: Als Freiwilliger hatte er sich von 1914-1917 im Kriegsdienst verdient gemacht und wies mit zahlreichen Zeugnissen darauf hin – ehemalige „nichtarische“ Kriegsteilnehmer, die auf Seiten des Deutschen Reiches bzw. seiner Verbündeten an der Front kämpften, wurden in einer Sonderbestimmung vom Ausscheiden aus dem Staatsdient bzw. dem Entzug ihrer Zulassung als Rechtsanwalt 1933 vorerst verschont.
Doch Elsas stand im Visier von Hermann Cuhorst und dessen Vorgesetzten im Personalreferat des Württembergischen Justizministeriums, Adolf Trukenmüller, der ebenfalls als politischer Gewährsmann im März 1933 ins Ministerium beordert wurde: Obwohl die Württembergische Politische Polizei Ende Mai 1933 auf Nachfrage des Justizministeriums bestätigte, dass über eine „politische Betätigung“ Elsas` nichts bekannt sei und „keine Bedenken gegen seine politische Zuverlässigkeit“ bestünden, wurde ihm kurz darauf am 29. Mai die „endgiltig[e] [Sic] Entscheidung mitgeteilt, dass seine Rechtsanwaltszulassung mit Wirkung zum 1. September 1933 aufgrund des §3 des Rechtsanwaltsgesetzes zurückgenommen werden sollte. Darin hieß es, dass „Personen, die sich im kommunistischen Sinne betätigt haben“, von der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen werden sollten. Wie aus den zahlreichen Unterlagen, die Elsas und seine Anwaltskollegen, mit denen er sich eine Kanzlei teilte, zur Anfechtung von Elsas` Berufsverbot vorlegten, hervorgeht, wurden dem Stuttgarter nicht nur kommunistische Betätigungen vorgeworfen, sondern auch eine staatsfeindliche Haltung in Wirtschaftsprozessen zur Last gelegt. Im Konkreten ging es bei den Vorwürfen der kommunistischen Betätigung darum, dass Elsas 1931 ein Mandat von der gegen den Abtreibungsparagraphen engagierten Ärztin Else Kienle übernommen hatte. Zusammen mit ihrem Kollegen Friedrich Wolf wurde Kienle in einem reichsweit mit großer Aufmerksamkeit verfolgten Prozess, der später Inspiration für so manches Theaterstück sein sollte und große Unterstützerinitiativen hervorbrachte, die gewerbsmäßige Abtreibung in vielen Fällen vorgeworfen. Wolf war Jude und wurde auf Kaution freigelassen, die die KPD zahlte. Kienle wurde erst nach mehrwöchiger Haft und einem Hungerstreik – dessen Initiative wiederum Elsas von den Nationalsozialisten zur Last gelegt wurde – aus der Haft entlassen. Der Prozess verlief im Sande. Im März 2016 wurde im Gedenken an die Leistungen der Ärztin die Treppenverbindung zwischen Werastraße 136 und Landhausstraße 84 in Stuttgart als „Else-Kienle-Staffel“ eingeweiht.
Die Mandatsübernahme und ein vermeintliches Agieren in diesem Prozess, der keine „politischen Vergehen“ im Sinne des BBG bzw. Rechtsanwaltsgesetzes beinhaltete, reichte für die Nationalsozialisten aus, um gegen Elsas vorzugehen. Die zahlreichen und langen Schreiben von Elsas und seinen Unterstützern aus dem Sommer 1933, denen auch sein Schwiegervater angehörte, würden in ausführlicher Besprechung den Rahmen dieses Beitrages sprengen: Sie dokumentieren diesen Fall nicht nur außerordentlich detailliert, sondern spiegeln auch den unerschöpflichen Einspruch Elsas` gegen ein System, dass sich zunehmend anschickte, jedwede rechtstaatlichen Prinzipien außer Kraft zu setzen. So zeigt sich, dass die Anschuldigungen gegen Elsas, die offenbar nur in knappen mündlichen Besprechungen zwischen seinen Anwälten und Trukenmüller bzw. Cuhorst artikuliert wurden, wohl sehr oberflächlich und wenig konkret an gesetzlichen Grundlagen orientiert waren, schriftliche Erläuterungen bzw. Stellungnahmen aus den Reihen des Ministeriums waren – abgesehen von Bescheiden u.ä. – nicht zu finden. Auch antwortete das Ministerium nicht auf die seitenlangen Argumentationen von Elsas und seinen Kollegen, die bemerkenswert akribisch die gesetzlichen Lücken des BBGs bzw. Anwaltsgesetzes offenlegten, Unklarheiten in Auslegungsfragen thematisierten, Formulierungen der Gesetze im Hinblick auf die Praktikabilität und Nachvollziehbarkeit in ihrer Durchsetzung kritisierten und die Vorwürfe gegen Elsas in energischem Duktus anhand der Rechtslage in Frage stellten. Obwohl, wie es Elsas und seine Unterstützer richtig bemerkten, Elsas` (angebliches) Verhalten in Wirtschaftsprozessen für seine Rechtsanwaltszulassung auch nach den restriktiven Gesetzen der Nationalsozialisten nach geltender Rechtslage keine Rolle hätte spielen dürfen, wurde ihm dies zur Last gelegt und diente offen als Argument, Elsas aus dem Dienst zu drängen. Und obwohl Elsas im Jahr 1933 durch eine Ausnahmeregelung formal vor dem Verlust seiner beruflichen Existenz geschützt war, sollte er nach Maßgabe der tonangebenden Nationalsozialisten im Personalreferat des Justizministeriums seine Anwaltszulassung verlieren und aus dem Justizdienst verbannt werden.
Es war ein Glaube an althergebrachten Prinzipien rechtstaatlicher Ordnung, die sich im Vorgehen von Elsas und seinen Kollegen ausdrückte. Anschuldigungen galt es auf gesetzlichen Grundlagen zu erörtern, Vorwürfen mit Beweisführungen zu begegnen und sich nach Normen und Regeln auseinanderzusetzen, die Anklage und Verteidigung respektierten. Die Nationalsozialisten jedoch fuhren einen anderen Kurs, erklärten Elsas zum Gegner des Regimes und machten eigene „Regeln“ geltend. Dies registrierten auch Elsas und seine Mitstreiter, die auch immer wieder auch auf Argumente zurückgegriffen, die auf Elsas` politisch und charakterlich einwandfreie Persönlichkeit abhoben – dieses Rekurrieren auf persönliche Merkmale glich schon eher dem Stil, den die Nationalsozialisten bevorzugten.
Es bleibt noch aufzuklären warum, aber Elsas erhielt seine Zulassung im August 1933 zurück, sodass er wohl bis zu seiner Auswanderung nach Brasilien im Oktober 1936 noch als Anwalt tätig sein konnte. Wahrscheinlich hat seine unerschütterliche Beweisführung Beachtung gefunden, die auch Verordnungen einbezog und nachdrücklich und energisch eine Nachprüfung des Falles verlangte – seiner Ausgrenzung durch das NS-Regime brachte dies jedoch nur zeitlichen Aufschub. 1936 floh Elsas aus Deutschland und musste in Südamerika als mittelloser Auswanderer eine neue Karriere starten: Er war zunächst als Lehrer für Sprachen tätig und wurde 1958 Professor für griechische Sprache und Literatur, 1959 übernahm er das Direktorat der Goethegesellschaft und Präsidentenamt der Goethe-Akademie in Sao Paolo.
Quelle: Hauptstaatsarchiv Stuttgart EA4-150 Bü322