„Jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat“? – Die Gleichschaltung des Vorstands der Saline Friedrichshall
Der aus dem rheinischen Kreis Düren stammende Oberbergrat Peter Thuir sah 1934 seinem verdienten Ruhestand entgegen. Seit 1928 hatte der gebürtige Katholik die Saline Friedrichshall mit Kochendorf und die dazugehörigen Salinen Clemenshall und Wilhelmshall geleitet. Zu seinem Aufgabengebiet gehörten auch Aufsichtsfunktionen über die Reederei Schwaben, die er gemeinsam mit Finanzminister Alfred Dehlinger wahrnahm. Aus Thuirs Ruhestandsplänen wurde jedoch nichts.
Am 7. April 1933 hatten die Nationalsozialisten das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ verkündet, das eine formale Grundlage schuf, um jüdische sowie ihren politischen Ansichten nicht entsprechende Beamte aus ihren Ämtern zu entlassen oder in den Ruhestand zu versetzen. Jeder Beamte musste daraufhin einen Fragebogen ausfüllen, der über seine weitere berufliche Zukunft entschied. Unter den Folgen des Gesetzes hatte auch Peter Thuir zu leiden, der durch seine gehobene Position besonders im Fokus der Nationalsozialisten stand: Reichsstatthalter Murr entließ ihn unter Berufung auf Paragraph 4 dieses Gesetzes zum 1. April 1934 aus dem Staatsdienst – zwei Wochen vor seinem regulären Ruhestandseintritt. Die Entlassung hatte eine Kürzung seiner Pension um 25 Prozent zur Folge. Konkret wurde Thuir der Paragraph 4 des Gesetzes zum Verhängnis, der lautete: „Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden.“ Thuir, der nicht in die NSDAP eingetreten war, galt als glaubenstreuer Katholik, der laut Aussagen aus der Nachkriegszeit eine ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus eingenommen und öffentlich bekannt habe, das Zentrum gewählt zu haben. Der frühere Finanzminister Dehlinger gab 1952 an: „Nach meiner Erinnerung wurde damals von Parteigenossen aus dem Oberamt Neckarsulm fälschlich behauptet, er habe sich als Anhänger des Zentrums betätigt. Dienstliche Gründe gaben keinerlei Veranlassung dazu, den pflichttreuen Beamten mit den besten Leistungen vorzeitig aus seinem Amt zu entfernen. Ich hatte mich dieser rechtswidrigen Entlassung mit allen Kräften widersetzt, wurde aber überstimmt.“ Ob Dehlinger sich wie von ihm angegeben für Thuir eingesetzt hat, kann aufgrund fehlender Akten nicht mehr nachvollzogen werden. Thuir selbst bescheinigte 1947 allerdings dem Regierungsamtmann Gottlob Häfelin, dieser habe sich – wenn auch vergeblich – bei Staatssekretär Karl Waldmann um Rücknahme der Entlassung eingesetzt. Dass Thuir allein aufgrund seines Bekenntnisses zum Zentrum so unmittelbar vor seiner regulären Pensionierung entlassen wurde, ist ein sehr hartes und von der Begründung her ungewöhnliches Vorgehen. Möglicherweise gab es zudem noch einen konkreten Vorfall, der Reichsstatthalter Murr als Anlass diente, die Entlassung durchzusetzen. Aufgrund von Quellenmangel bleibt dies jedoch Spekulation.
Nachfolger Thuirs als Vorstand der Saline wurde Ernst Baur, der zudem zum Oberbergrat befördert wurde. Der 1877 in Stuttgart geborene Baur war 1909 bei der Saline Friedrichshall eingetreten, wurde 1919 über „Das Steinsalzlager am unteren Neckar und seine Entstehung“ promoviert und war zuvor Stellvertreter Thuirs gewesen. Finanzminister Dehlinger argumentierte 1947 in Baurs Spruchkammerverfahren, er habe diesen für die Nachfolge Thuirs vorgeschlagen, weil er „der Dienstälteste dafür in Frage kommende Fachmann“ gewesen sei und zudem als Stellvertreter mit den Vorgängen vertraut gewesen sei. Baur hatte jedoch auch, anders als Thuir, keine Zweifel an der Unterstützung des Regimes gelassen und war am 1. April 1933 in die NSDAP eingetreten (Mitgliedsnummer 1729843). Fortan demonstrierte er seine Regimetreue bei jeder sich bietenden Gelegenheit: So ließ er an der Saline ein Hakenkreuz anbringen, das nachts beleuchtet und weithin sichtbar war. Zudem beauftragte er einen Bildhauer mit der Anfertigung eines Reliefs im Kuppelsaal der Schachtanlage der Saline, das den Nationalsozialismus verherrlichte. An sein Auto brachte er eine Staatsflagge an, was ihm aber von den NS-Behörden offenbar untersagt wurde, da er als Betriebsführer von der Hierarchie her dazu nicht berechtigt war. Neben diesen äußeren Zeichen für den NS-Staat vertrat Baur auch innerhalb der Saline eine Betriebsführung im nationalsozialistischen Sinne. In der von ihm verfassten Betriebsordnung war vorgesehen, dass „verdiente Angehörige der Partei, SA, SS und HJ bei gleicher Eignung besonders zu berücksichtigen“ seien. Des Weiteren galt „nationale Unzuverlässigkeit“ als Grund für eine fristlose Entlassung. Löste ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis rechtswidrig, so verlor er seinen Anspruch auf den rückständigen Lohn in Höhe eines durchschnittlichen Wochenverdienstes. Das einbehaltene Geld wurde an die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ überwiesen.
Baur wurde unmittelbar nach Kriegsende von der Militärregierung aus seinem Amt entlassen und ihm wurde verboten, das Betriebsgelände zu betreten. In seinem Entnazifizierungsverfahren stufte ihn die Spruchkammer Neckarsulm am 18. September 1947 als Mitläufer ein. Da der öffentliche Kläger dagegen Widerspruch einlegte, wurde das Verfahren wiederaufgenommen. Baur führte zu seiner Verteidigung an, dass er sich bei Kriegsende auf Weisung des württembergischen Finanzministeriums und in Kooperation mit anderen Betriebsführern gegen die Sprengung des Schachts gewehrt und auch verhindert hatte, dass die im Salzbergwerk eingesetzten KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter in die Gruben der Salzwerke Heilbronn und Kochendorf eingesperrt wurden, wo sie nach der ebenfalls geplanten Zerstörung der Förderanlage verhungert wären. Diese Angaben wurden im Spruchkammerverfahren von anderen Personen bestätigt und sind auch durch ein überliefertes Dokument belegt.
Allerdings wurde Baur im Spruchkammerverfahren vorgeworfen, einzelne Beschäftigte in große Schwierigkeiten gebracht zu haben. So soll er sich zum Beispiel gegen die Wiedereinstellung des Sieders Josef Ruf ausgesprochen haben, der wegen Abhörens ausländischer Sender von der Gestapo verhaftet worden war und sich zwischenzeitlich aus Mangel an Haftunterbringungsmöglichkeiten auf freiem Fuß befand. Im Spruchkammerverfahren selbst konnte dieser Sachverhalt nicht aufgeklärt werden, da die Aussagen alle erst aus der Zeit nach 1945 stammten und der Vorgang recht undeutlich blieb. Die Akten des Spruchkammerverfahrens um den Regierungsamtmann Gottlob Häfelin erhellen den Vorgang jedoch. Danach hat Baur zunächst überlegt, Ruf wiedereinzustellen, dann aber nach Erkundigungen über das Verfahren gegen Ruf seine Meinung geändert. Ihm war mitgeteilt worden, dass Ruf auf jeden Fall verurteilt werden würde, weshalb Baur sich daraufhin in einem Brief vom 27. Dezember 1944 gegen die Wiedereinstellung Rufs aussprach. Rufs früheren Arbeitskollegen könne eine „Wiederzusammenarbeit mit ihm nicht zugemutet werden“, argumentierte Baur. Zudem könne es zu einer „Störung des Arbeitsfriedens“ kommen, wenn Ruf seinen alten Arbeitsplatz wieder einnehme. Diesem solle eine andere Beschäftigung zugewiesen werden „und er evtl. einem Arbeitskommando in Heilbronn zugeteilt“ werden. Die Folgen dieser Entscheidung hat Ruf selbst eindrücklich geschildert: Nach der Zerstörung des Gefängnisses in Heilbronn sollten die Häftlinge „mit Handschellen nach Hall geführt werden, waren aber zu schwach, um den Marsch nach dort durchzuführen. Deshalb wurden wir in die Heimat entlassen mit der Bedingung, uns sofort bei der Heimatpolizei zu melden. Nach drei Tagen versuchte ich wieder in meine langjährige Arbeitsstelle zu kommen, um mein Brot zu verdienen, da meine Familie aus 5 Köpfen besteht. Ich durfte nicht arbeiten und wurde im Februar wieder geholt, um in eine Strafeinheit versetzt zu werden. Aber gerade in dieser Zwischenzeit wäre es für mich und meine Familie von grossem Wert gewesen, wenn ich einen Verdienst erhalten hätte.“
Nach Kriegsende ging Ruf allerdings fälschlicherweise davon aus, dass die Arbeitsverweigerung nicht von Baur, sondern von Regierungsamtmann Häfelin verfasst worden sei. Das Dokument mit der Unterschrift Baurs lag demnach weder ihm noch der Zentralkammer Nordwürttembergs vor, die 1949 Baurs Einordnung in die Gruppe der Mitläufer bestätigte und ihn zu einer Geldstrafe von 2000,– DM verurteilte.
Thuir wiederum wurde am 11. Dezember 1945 von Ministerpräsident Maier in sein Amt als Vorstand der Saline Friedrichshall wiedereingesetzt, bevor er sich zum 31. August 1946 endgültig in den Ruhestand verabschiedete. Da seine Entlassung 1934 mit einer Rentenkürzung von 25 Prozent verbunden gewesen war, forderte Thuir die unberechtigt gekürzten Ruhestandsbezüge nachträglich zurück. Auf seinen ersten Antrag auf Wiedergutmachung vom 23. August 1946 teilte ihm das württembergische Finanzministerium am 14. September 1946 jedoch mit, dass „nach den Richtlinien des Staatsministeriums zur Wiedergutmachung von Nazischäden bei Staatsbediensteten vom 30.11.1945 Nr. 481 […] eine Gewährung von Geldentschädigungen für rückliegende Zeit bei der gegenwärtigen Finanzlage des Staates ausgeschlossen“ sei. Thuir wandte sich 1950 erneut an die Landesbezirksstelle für Wiedergutmachung. Das Finanzministerium erkannte jedoch erst 1952 an, dass Thuirs Entlassung aus politischen Gründen erfolgt war und ihm deshalb eine Wiedergutmachung zustehe. Da Thuir unmittelbar vor seinem eigentlichen Eintritt in den Ruhestand entlassen worden war, erhielt er für diesen Monat Entschädigung sowie für die Zeit ab 1. August 1934 normale Ruhestandsbezüge in einer Gesamthöhe von 4233,24 DM.
Quellen:
StA Ludwigsburg EL 902/12
StA Ludwigsburg, EL 350 I
Einspruch des öffentlichen Klägers im Spruchkammerverfahren gegen die Einstufung Ernst Baurs als Mitläufer, 1.11.1947 (StA Ludwigsburg EL 902/12. Bü. 18973)