„Es gehört mehr dazu als die reine Auszählung der Personen“ – Interview mit Dr. Ulrike Schulz und Dr. Martin Münzel, Teil 2
Den ersten Teil des Interviews mit Dr. Ulrike Schulz und Dr. Martin Münzel können Sie an dieser Stelle lesen.
Moritz Hoffmann: Eine der Thesen zum Auswärtigen Amt im Nationalsozialismus war, dass sich das Innenleben nach 1933 nicht so stark änderte – können Sie schon absehen, wie es sich hierzu im Reichsarbeitsministerium verhält?
Dr. Ulrike Schulz: Das kommt ganz darauf an, wo man nachsieht. Bezüglich der Personen, und das ist angesichts des Workshops eine passende Ebene, kann sich anfangs gar nicht so viel ändern, weil die gesamte Beamtengesetzgebung und die Ernennungspraxis das nicht zulassen würde. Das heißt, es ist nicht erstaunlich, dass die „Nazifizierung“ des Spitzenpersonals im Reichsarbeitsministerium nicht unmittelbar beginnt. Das ist das strukturelle Argument. Dagegen gibt es selbstverständlich die „nationalsozialistische Revolution“ auch im Reichsarbeitsministerium in dem Sinne, dass zwei Minderheiten binnen kürzester Zeit ausgeschlossen werden: Frauen und Juden. Das ist, denke ich, bei fast allen Ministerien der Fall, fällt aber nicht so sehr ins Gewicht, weil es auch schon vorher nicht viele Frauen und Juden in diesen Positionen gab. Wir können also als vorläufiges Ergebnis durchaus festhalten, dass es eine – erwartbare – große Kontinuität gab, eine „Nazifizierung“ dann nachfolgend stattfand als die Ernennungspraxis regulär, automatisiert verlief, als die neuen Ernennungswege funktionierten und klar war, dass bestimmte hohe Beamtenposten nur noch als NSDAP-Mitglied zu erreichen waren – wobei sich natürlich die Frage stellt, ob eine Parteimitgliedschaft schon Ausdruck einer NS-Gesinnung ist, worüber wir unsere Zweifel haben. Es gibt also strukturelle und persönliche Gründe für Personalentscheidungen, und deshalb untersuchen wir die individuellen Karriereverläufe sehr genau. Das sind interessante Forschungsfragen, die wir mit dem uns zur Verfügung stehenden Material auch bearbeiten können. Eine wichtige Einschränkung ist allerdings, dass es hier nur im die höheren Beamten geht, die wir schon weitgehend bearbeitet haben, und auch dort nur um das Reichsarbeitsministerium als Steuerungsbehörde. Andere große Institutionen die formal zum Ministerium gehören wie beispielsweise das Reichsversicherungsamt haben noch einmal ein eigenes Organisationsgefüge, zu dem wir noch keine fundierten Aussagen treffen können.
Dr. Martin Münzel: Grundsätzlich sind das wirklich die ersten Ergebnisse, die wir nun, auch auf dem Workshop, auf den Tisch legen können. Gerade was die Frage nach personellen Kontinuitäten – nicht zuletzt nach 1945 – angeht, sind wir davon überzeugt, dass vieles sehr differenziert betrachtet werden muss, auch wenn die Öffentlichkeit großes Interesse an eher spektakulären Einzelfällen hat. Aber es kommt immer auf die Perspektive an. Und viele Fragen über mentale Ausprägungen im Reichsarbeitsministerium lassen sich nicht ohne Weiteres beantworten, und wir wissen auch nicht, ob wir sie jemals zufriedenstellend beantworten können. Es gehört eben mehr dazu als die reine Auszählung der Personen.
Moritz Hoffmann: Sie sprechen jetzt hauptsächlich von den höheren Beamten, nehmen Sie auch die unteren Ebenen des Personals mit in den Blick?
Dr. Ulrike Schulz: An dieser Stelle kommen wir zu der Frage, was wir als Historikerinnen und Historiker leisten und abdecken können. Wenn wir es schaffen, die höheren Beamten der Gesamtbehörde ansatzweise in den Blick zu nehmen, haben wir schon viel erreicht. Allein quantitativ ist das nicht zu vergleichen mit dem Finanz- oder Wirtschaftsministerium, und selbst die haben Beamte auf regionaler und lokaler Ebene. Wir müssen schon mitbedenken, welche Ringe um die Steuerungsbehörde wir mit untersuchen, wir müssen uns immer die Frage stellen was möglich, aber auch was nötig ist.
Wir betrachten schon das Reichsarbeitsministerium als Arbeitgeber, also speziell die Verhältnisse, unter denen Beamte unter dem Rang eines Regierungsrates gearbeitet haben, aber individuell betrachten wir das Personal bis zum Regierungsrat, also eine hohe Besoldungsstufe des mittleren Beamtentums. Alles andere wäre nicht machbar und würde außerdem ein großes Quellenproblem darstellen, denn beispielsweise an die Schreibkräfte kommt man gar nicht so leicht heran.
Dr. Martin Münzel: Aber diese hohen Ebenen des Beamtentums sehen wir uns dafür umso genauer an und versuchen, das gesamte gehobene Wissen zu berücksichtigen, um nicht in Klischees steckenzubleiben. Im Gegenteil, wir wollen darüber hinausgehen, und das geht nur, wenn wir so viele Faktoren wie möglich in die Analyse dieser Beamten mit einbeziehen.
Moritz Hoffmann: Sie erwähnten bereits die Öffentlichkeit und ihr Interesse daran. An welchen Punkten bemerken Sie eine Nachfrage nach Ihrer Arbeit ganz besonders, und wie gehen Sie damit um?
Dr. Martin Münzel: Unser Anspruch ist in jedem Fall, unsere Forschungen auch in die Öffentlichkeit hineinzutragen, weil wir meinen, dass sie einen Anspruch darauf hat mitzubekommen, was wir tun. Wir wollen selbstverständlich konzentriert wissenschaftlich forschen und uns innerhalb der Fachwissenschaft vernetzen, aber nicht nur im Elfenbeinturm sitzen und am Ende eine schöne Buchreihe veröffentlichen, die nur für ein kleines Fachpublikum relevant ist. Wir arbeiten in einem öffentlich geförderten Projekt und wollen, auch im Unterschied zu dem einen oder anderen Parallelvorhaben, nach außen gehen und unsere Ergebnisse an die Öffentlichkeit herantragen. Nun ist das Reichsarbeitsministerium keine spektakuläre Behörde, bei der uns automatisch das Interesse zufliegt. Die Frage, die uns oft als erste gestellt wird, ist diejenige nach der Verantwortung des Reichsarbeitsministeriums im Zusammenhang mit der millionenfachen Zwangsarbeit. Das blenden wir natürlich keinesfalls aus, sondern haben im Gegenteil ein eigenes Teilprojekt, das sich mit dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz befasst, der ab März 1942 für die Rekrutierung von Arbeitskräften und Zwangsarbeitern in den besetzten Gebieten zuständig war. Wir veranstalten ja auch die eingangs erwähnte Tagung zum Thema. Wie Ulrike Schulz aber auch schon deutlich gemacht hat, verbinden sich für uns mit dem Reichsarbeitsministerium noch zahlreiche andere spannende Fragestellungen und Facetten.
Dr. Ulrike Schulz: Ergänzend dazu stellt sich ja auch immer die Frage, wer sich dafür interessieren soll, und wer sich dafür interessieren kann. Neben der wissenschaftlichen Öffentlichkeit sind das mit Sicherheit die Menschen aus dem Bundesministerium, die zu erreichen für uns auch sehr wichtig ist. Bislang gibt es dort eine sehr gute Zusammenarbeit mit dem entsprechenden Referat. Wir machen dort regelmäßig Veranstaltungen, auf denen wir über unseren Forschungsprozess berichten, die sehr gut besucht sind und auf denen auch Diskussionen stattfinden. Man kann also nicht behaupten, dass sich beispielsweise die Ministerialbeamten nicht für uns interessieren würden, dass sie erst am Ende ins Buch schauen würden mit der Frage „Wie viele Nazis waren es denn nun?“.
Dr. Martin Münzel: Bei den Ministeriumsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern ist zweifellos eine sichtbare Aufmerksamkeit vorhanden. Wir merken, dass dort, was uns auch nicht überrascht hat, ein verstärktes Interesse an der Frage nach der Kontinuität in die Nachkriegszeit hinein besteht und die Fragen schnell in diese Richtung gehen, allerdings auch nicht ausschließlich. Das Publikum dort fachlich sehr bewandert, und auch wenn unser Forschungsgegenstand zeitlich 70, 80, 90 Jahre zurückliegt, kommen viele Fragen und Hinweise, die auch uns weiterhelfen. Denn dort sitzen heute wieder Experten, denen man auch nicht irgendetwas erzählen kann. Denn auch wenn wir über Geschichte reden, wissen diese Menschen in vielen Bereichen sehr gut Bescheid, und das ist auch für uns spannend.
Dr. Ulrike Schulz: Viele Dinge haben sich in der Verwaltungsorganisation des Ministeriums auch überhaupt nicht geändert, und es ist auch schön, wenn die Ministeriumsmitarbeiterinnen und –mitarbeiter gespiegelt sehen, in welchen Traditionen sie sich doch immer noch befinden. Und ich glaube, wenn wir das schaffen, ist das die Öffentlichkeit, die wir zuvorderst ansprechen außerhalb der Geschichtswissenschaft. Was danach passiert, liegt an der Öffentlichkeitsarbeit, die wir für die Buchprojekte an den Ergebnissen ausrichten. Aber diesen Schritt können wir nicht vor dem ersten machen, also dem, Forschungsprojekte aufzulegen die interessante Ergebnisse zu Tage führen.