Wilhelm Murr, Reichsstatthalter
* 16.12.1888 Esslingen am Neckar † 14.5.1945 Egg/Vorarlberg (Selbstmord). Evangelisch, Kirchenaustritt 1942.
Archiv Dr. Hubert Roser
Aus einfachen Verhältnissen und von teilweise ungeklärter Herkunft, arbeitete Wilhelm Murr nach einer kaufmännischen Lehre in verschiedenen Esslinger Firmen. Bereits vor 1914 wurde er im Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband (DHV) aktiv. Im Ersten Weltkrieg war er zunächst an der Westfront, dann ab 1915 als Brigadeschreiber in der Infanterie eingesetzt. Der Angestellte der Maschinenfabrik Esslingen, deren Arbeiterschaft kommunistisch und sozialdemokratisch geprägt war, engagierte sich im „Deutsch-Völkischen Schutz-und Trutzbund“. Diese Nachfolgeorganisation der 1923 zunächst verbotenen NSDAP konkurrierte in Württemberg mit einer anderen Gruppe, der NS-Freiheitsbewegung um den Abgeordneten Christian Mergenthaler. Die Reichsführung der neu gegründeten NSDAP unterstützte dagegen den populären Trutzbund, der 1925 mit Eugen Munder den ersten Gauleiter stellte. Nach dessen Rücktritt 1928 wurde Murr Gauleiter in Schwaben. Seine Machtbasis war ein Kreis von Parteifunktionären wie die Kreisleiter Richard Drauz (Heilbronn) und Eugen Hund (Esslingen), mit denen er sich gegen den Rivalen Mergenthaler behaupten konnte, der bereits institutionell etabliert und ihnen intellektuell überlegen war. Murr favorisierte jedoch mit der SS die langfristig gesehen erfolgreichere Organisation innerhalb der Partei, während Mergenthaler sich für die SA entschieden hatte.
Der Propagandist gründete 1931 in Stuttgart den „NS-Kurier“, eine eigene Zeitung der Partei für Württemberg. Nach Übernahme der Ämter des Staatspräsidenten und Reichsstatthalters 1933 überließ er die eigentliche Verwaltungstätigkeit den Fachleuten und Ministern sowie seinem Staatssekretär Karl Waldmann, der das Büro des Statthalters leitete. Wilhelm Murr betrieb allerdings die Bildung einer „Politischen Bereitschaft“ aus SS-Mitgliedern, die 1933 in Ellwangen eine eigene Kaserne erhielt. Sie war ein Vorläufer der späteren Waffen-SS, in der auch sein Sohn Wilfried dienen sollte. Als Mann der groben, oft antisemitischen Töne und Paladin des Führers beschränkte sich Murr, den sogar Goebbels als „Parvenü“ empfand, auf repräsentative Auftritte und die Jagdleidenschaft. Nur selten griff er selbst direkt in die Politik ein, wie bei der Ausweisung des katholischen Bischofs Sproll oder der Suche nach einem „Burgfrieden“ mit dem evangelischen Bischof Wurm, dessen Landeskirche als eine der wenigen in Deutschland den Kirchenkampf ‚intakt’ überstanden hatte. Murrs Energie reichte nur aus, seinen internen Gegenspieler Mergenthaler in Schach zu halten, was gegenüber der von ihm argwöhnisch beobachteten ‚Nebenregierung Bosch’ kaum mehr gelang. Als Reichsverteidigungskommissar (ab 1939) betont streng und autoritär auftretend, versuchte er sogar Frauen das Tragen von Hosen in der Öffentlichkeit zu verbieten. Nach dem Selbstmord seines Sohnes 1944 zog sich Murr in das Sanatorium Bühlerhöhe zurück. Er hatte als Parteisoldat nach der „Machtergreifung“ formal eine dem ‚Führer’ Hitler entsprechende Position erreicht, tatsächlich aber im staatlichen Herrschaftsapparat keine gestaltende Funktion mehr.
Blogartikel mi Bezug zu Wilhelm Murr
Jutta Braun: Interner Schriftwechsel der SS über den württembergischen Beamten Dr. Gottlob Dill
Literatur
Roser, Hubert: Wilhelm Murr, Reichsstatthalter und NSDAP-Gauleiter in Württemberg-Hohenzollern, in: Lebensbilder aus Baden-Württemberg, 19.Band der als Schwäbischen Lebensbilder eröffneten Reihe, Stuttgart 1998, S. 488-522.
Sauer, Paul: Wilhelm Murr. Hitlers Statthalter in Württemberg, Tübingen 1998.
Scholtyseck, Joachim: „Der Mann aus dem Volk“. Wilhelm Murr, Gauleiter und Reichsstatthalter in Württemberg-Hohenzollern, in: Michael Kißener, Joachim Scholtyseck (Hrsg.): Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg, Konstanz 1997, S. 477-502.
Biografie auf dem Onlineportal leo-bw
Eine ganz typische Verhaltensweise solcher NS-Granden zeigte Murr in den letzten Kriegstagen ab 10.04.1945, als sich das Halten der Neckar-Enz-Linie bei Heilbronn als gescheitert absehen ließ. Noch am 10.04.45 rief er zum unbedingten Halten und Verteidigend der Stadt Stuttgart bis zum Äußersten auf. Am 13.04 verbot er unter Androhung standrechtlicher Erschießung und Sippenhaft (also als die Schlacht um HN beendigt und verloren war) das Ausflaggen mit weißen Tüchern und das Beseitigen von Panzersperren. Bereits am 19.04 befand er sich persönlich auf der Flucht mit Frau und Adjutanten. (!9.04. der „Nero-Befehl Adolfs). Über Kloster Ursprung residierte er dann im Schloss in Kißlegg. Hier befahl er den Kommandanten der MUNA in Leutkirch-Urlau, Major Günther Zöller, des gesamte Munitionslager zu sprengen. Damals befanden sich dort 20.000 t Sprengmunition UND 20.000 t Nervengasgranaten und Kampfstoffe für die . Es wäre die Sprengwirkung einer Hiroshima / Nagasaki Atomexplosion gewesen Plus einer Verseuchung des gesamten schwäbischen Alpenvorlandes bis zum heutigen Tag! Nur dem persönlichen Mut Zöllners verdankt das Allgäu bis heute seine Existenz (die Kampfstoffe würden das gesamte Gebiet bis heute unbewohnbar machen). Murr bedrohte ihn mit dem „Werwolf“ und der Erschießung. Major Zöller hielt stand bis die Franzosen Leutkirch erreichten. Murr konnte mental absolut nicht begreifen, dass er selbst auch damit erledigt gewesen wäre! Es zeigt sich hier deutlich seine kognitiv unterentwickelte Person. Er hatte geglaubt, damit würde er handeln wie ein Ritter des MA, der nach Erreichen der sicheren Burg die Fallbrücke hochziehen lässt… Über Wangen, Kressbronn/Bodensee etc. gelangte er ins Große Walsertal in die Biberacher Hütte, wechselte dann auf eine Almhütte oberhalb Schröcken. Am 13. Mai wurde er von franz. Soldaten dort festgenommen, wies sich als „Walter Müller“ aus. Billiger ging es nicht mehr. Zuerst wurden die Verhafteten nach Schoppernau gebracht, später zur Vernehmung nach Egg. Hier vergiftete sich erst seine Frau, und bei der Identifizierung der Leiche zerbiss auch er eine mitgeführte Giftampulle. Beerdigt in Egg.
Ein Zusatz und Nachwort zur hinterlassenen Ergänzung des Eintrages bzgl. Wilhelm Murr:
Ich empfinde es als höchst befremdlich aber gleichzeitig als gängigen Usus, dass solchen Personen noch in heutiger Zeit ein dermaßen glattgeschneiderter Artikel in einer „Geschichte der Landesministerien“ postum geschenkt wird, wo diese Personengruppe tatsächlich als Kretins handelten und das der NS-Meinung nicht entsprechende Volk durch Anwendung des am 19.04.1945 ergangenen Nero-Befehles des GröFaZ dem Untergang überlassen wollten. (Hitler am Abend des 19.04. in seiner Antwort auf die Nachfrage, ob er richtig verstanden hätte : Es wäre gleichgültig, dass das Volk so keine Ressourcen mehr hätte. Es habe sich als das schwächere Volk als das Ostvolk erwiesen und dieses habe das Lebensrecht. Im eigenen Volk wären die Guten ja gefallen und der Rest habe den Untergang verdient…) Gleichzeitig wurden die Menschen wie Major Günther Zöller, die ihr Leben für das Überleben Zehntausender eingesetzt haben, über Jahrzehnte der Vergessenheit überlassen. Es spricht Bände, dass erst 1995 die Stadt Leutkirch endlich seine Verdienste öffentlich anerkannte und auch würdigte. Dazu brauchte es glatte 50 (in Worten „fünfzig“) Jahre, eine Schande – aber Usus in diesem Land!!!