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„jenes Maß von Güte, welches Eigenschaft eines Arztes sein muß“ – Dr. med. Carl Trappmann als Gutachter in Mannheimer Strafverfahren 1939 und 1943.

Auf der Zielgeraden des Forschungsprojekts „Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“ beschäftigt sich der Verfasser dieser Zeilen seit einiger Zeit auch wieder mit Themen, die nicht direkt mit der regionalen Ministerialbürokratie im „Dritten Reich“ in Berührung stehen. Ständige Begleiter bleiben ihm aber die aus dem Projekt vertrauten Typen von Beamten, die in vorauseilendem Gehorsam, politischer Anpassung, bürokratischer Routine und gelegentlich auch mit punktueller Resistenz den Repressionsapparat der Diktatur maßgeblich mitgetragen haben. Einer von ihnen, der ihm in den letzten Wochen in zwei unterschiedlichen Kontexten bei Aktenstudien begegnet ist, sei kurz vorgestellt: Dr. med. Carl Trappmann, der von 1938 bis 1945 als leitender Gefängnisarzt in Mannheim tätig war.

Medizinisches Gutachten, das Carl Trappmann Margarete Strauß ausstellte. (GLA 309 Nr. 1966)
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Die erste Begegnung ergab sich bei Recherchen für einen Aufsatz über den Heidelberger Rechtsanwalt Dr. Arthur Strauß (1880-1955), der als Opfer des Novemberpogroms 1938 ins Konzentrationslager Dachau verschleppt wurde und nach seiner Rückkehr aus der „Schutzhaft“ im Januar 1939 Pläne schmiedete, gemeinsam mit seiner Ehefrau Deutschland zu verlassen. Dazu kam es nicht, weil das Ehepaar bei dem Versuch, Schmuck ins Ausland zu verbringen, ins Visier der Strafverfolgungsbehörden geriet und wegen eines Devisenvergehens im Mannheimer Gefängnis in Haft genommen wurde. Insbesondere Margarete Strauß litt sehr unter den Haftbedingungen und war suizidgefährdet. Um eine mögliche Schuldunfähigkeit zu prüfen, fertigte der Gefängnisarzt, Regierungsmedizinalrat Trappmann, im Dezember 1939 ein psychologisches Gutachten an, das Verständnis für die verzweifelte Lage der Gefangenen zu wecken versuchte: Ohnehin seit 1933 wegen der schwindenden Verdienstmöglichkeiten des Ehemannes und der zunehmenden gesellschaftlichen Isolation in eine prekäre Situation geraten, habe die Beschuldigte den „schwersten Schock“ erhalten, „als ihr Mann im November 1938 nach Dachau verbracht wurde – ihr Mann, der nichts getan habe und der Niemandem etwas zu Leide tun könne. In ihrer Verzweiflung und völliger Vereinsamung wurde sie nur von Bekannten am Selbstmord verhindert“. Auch nach der Rückkehr ihres Mannes aus Dachau habe sich an ihrer „stark depressiven Verfassung“ nichts geändert: „Als Nichtjüdin mit einem Juden verheiratet, den sie liebt und achtet, der sie stets auf Händen getragen hat, wird dieser Mensch nun verachtet, gedrückt und nach ihrer Meinung unschuldig ins Elend getrieben. Sie glaubt den Tag ungefähr ausrechnen zu können, an dem sie völlig mittellos sein würden“. Trappmann diagnostizierte einen „schweren Depressionszustand“, der sich den Voraussetzungen einer Schuldunfähigkeit zumindest nähere, und bereitete damit einem vergleichsweise milden Urteil – sofern bei einem offensichtlichen Unrechtsstraftatbestand überhaupt von Milde die Rede sein kann – den Boden: Das Ehepaar Strauß wurde zu einer neunmonatigen Haftstrafe verurteilt, die durch die Untersuchungshaft als verbüßt galt.

Carl Trappmann
Carl Trappmann (GLA 310 Zugang 1992-48 45)
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Ließ diese erste Begegnung Trappmann als einen wenigstens nicht ganz empathiefreien Gefängnisarzt erkennen, der neben den vermeintlichen Schutzbedürfnissen der „Volksgemeinschaft“ auch die Perspektive der Gefangenen zu würdigen wusste, so zeigte sich bei einer zweiten Begegnung ein deutlich anderes Bild. Diese ereignete sich bei der Beschäftigung mit Akten des Sondergerichts Mannheim, als die Betreuung einer studentischen Abschlussarbeit über Homosexuellenverfolgung im „Dritten Reich“ die Aufmerksamkeit des Verfassers dieser Zeilen auf drei Todesurteile lenkte, die 1943 gegen „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ wegen „Unzucht mit Männern“ verhängt wurden. Gutachter war in allen drei Fällen Carl Trappmann, und in allen drei Fällen trugen seine Gutachten dazu bei, dass die Höchststrafe verhängt wurde. Dem Mannheimer Arbeiter Otto Rößler etwa attestierte er trotz „angeborenen Schwachsinns“ eine „volle Einsicht in der [sic!] Strafbarkeit seines Handelns“. Die „Zukunftsprognose dieses triebhaften und asozialen Menschen“ sei schlecht, meinte Trappmann und verwies darauf, dass eine Kastration in seinem Fall nicht ausreiche, da zu befürchten sei, „daß bei seinem tief eingewurzelten Hang zur Homosexualität und seiner charakterlichen Minderwertigkeit nach evtl. stattgehabter Entmannung er wenn nicht in derselben Weise so doch in ähnlicher weiter strafbar werden wird“. Die einzig adäquate Konsequenz war für Trappmann die Sicherungsverwahrung des Angeklagten, was indes in der Gerichtspraxis seit 1941 für „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ zumeist nur bedeutete, dass sie wirksam würde, wenn die in der Regel verhängten Todesurteile auf dem Gnadenweg aufgehoben werden sollten. Den Weg aufs Schafott, den ihm Trappmann mit seinem Gutachten bereitet hatte, beschritt Rößler am 17. April 1943 in Stuttgart.

Otto Rößler, Fotografie der Kriminalabteilung Mannheim vom 22.02.1943, (GLA 507 Nr. 12252)
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Zur Biographie des Mannes, der 1939 der inhaftierten Ehefrau eines jüdischen Rechtsanwalts mit Sympathie begegnete und 1943 Homosexuelle als „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ stigmatisierte, finden sich in den Beständen des Generallandesarchivs Karlsruhe einige Informationen: Carl Trappmann, 1903 in Wuppertal-Barmen als Lehrersohn geboren, hatte zunächst Pharmazie studiert und einige Jahre als Apotheker gearbeitet, bevor er 1930 ein Medizinstudium in Heidelberg aufnahm. Er legte das erste Staatsexamen 1932 und das zweite 1934 ab, 1935 erfolgte die Promotion. Nach mehrmonatigen Tätigkeiten an verschiedenen Heidelberger Kliniken wechselte Trappmann 1936 als Vertragsarzt ins Zuchthaus Bruchsal und bewährte sich dort als Mediziner, der den Gefangenen gegenüber „die notwendige Energie“ zeigte, „ohne jenes Maß von Güte vermissen zu lassen, welches Eigenschaft eines Arztes sein muß“, wie es in einem Empfehlungsschreiben hieß, das ihm im Herbst 1937 den Wechsel nach Mannheim ermöglichte, wo er im Frühjahr 1938 als Regierungsmedizinalrat verbeamtet wurde. Die Parteistellen der NSDAP hatten diesen Aufstieg begrüßt: Trappmann sei seit 1933 Mitglied der SA und seit „1.5.1937 Parteianwärter. Nachteiliges über ihn ist nicht bekannt. Er ist einsatzbereit und wird auf dem ihm anvertrauten Platze seinen Mann stellen“ [sic!], bilanzierte man im Februar 1938 in der Leitung des Gauamts für Beamte.

Bericht über die Hinrichtung Rößlers vom 17.04.1943 (GLA 507 Nr. 12253)
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Wie Trappmann seine Amtsgeschäfte in Mannheim führte, ist durch seine Personalakte kaum zu erschließen. Sie enthält Hinweise, dass er in nebenamtlicher Tätigkeit Zwangsarbeiter für einen Mannheimer Betrieb medizinisch betreute und dass er 1943/44 Dienst in dem Strafgefangenenlager Ostendorfermoor bei Papenburg versah. Bei Kriegsende hielt sich Trappmann wieder in Mannheim auf. Am 8. Juni 1945 bat er den Vorstand der Gefängnisse Mannheim und Heidelberg um seine Entlassung aus dem öffentlichen Dienst. Als Grund führte Trappmann an, 1936 nur mit Rücksicht auf seine Stellung als junger Familienvater in den Staatsdienst getreten zu sein. Die „Einseitigkeit des Gefängnisarztdienstes“ habe er aber „immer als drückend empfunden. Da ich nun eine Landpraxis übernehmen kann, was mir vor und während des Krieges unmöglich war, bitte ich um meine Entlassung“. Ob Trappmann hier seine wahren Motive nannte, ist unklar. Möglich erscheint auch, dass er durch seine Kündigung einer Entlassung zuvorkommen und sich selbst – auch mit Blick auf mögliche Ermittlungen wegen seiner Amtsführung – aus der Schusslinie nehmen wollte. Solche wurden vom Oberstaatsanwalt beim Landgericht Mannheim seit dem Jahresanfang 1947 geführt wegen des Verdachts, dass Trappmann wiederholt Gefangene misshandelt und ihnen ärztliche Hilfe verweigert habe. In einem Fall, dem des Untersuchungsgefangenen Georg Brunner, habe die unterlassene Hilfeleistung im Sommer 1943 zum Tode geführt. Gerichtsfest erhärten ließ sich der Verdacht jedoch nicht, so dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde.

Ermittlungen gegen Trappmann hatte schon zuvor die Spruchkammer Mannheim geführt und dabei vom Vorstand der Gefängnisse Mannheim und Heidelberg erfahren, dass der ehemalige Gefängnisarzt „als der beste Nationalsozialist unter den Beamten und Angestellten der Gefängnisse in Mannheim […] galt und gelten wollte“. Gleichwohl „trat er aber nicht werbend in Erscheinung. Seine politische Tätigkeit lag fast ausschließlich auf dem Gebiet der Betreuung der SA. in gesundheitlicher Hinsicht. Er hatte die Leitung eines SA.-Sanitätssturmes und opferte für die SA. viele freie Stunden. Es ist mir nie zur Kenntnis gekommen, daß er Andersdenkende wegen ihrer Einstellung und gelegentlichen abfälligen Äußerung[en] bei der Partei ‚verkauft‘ hat“. Zu einem Abschluss kamen die Ermittlungen der Spruchkammer Mannheim offenkundig nicht, da sich Trappmann aus deren Zuständigkeitsbereich entfernte und sich im Rheinland niederließ. Ob dies aus beruflichen Gründen geschah oder in der Hoffnung, von der milderen Entnazifizierungspraxis in der britischen Besatzungszone zu profitieren, muss einstweilen offenbleiben, wie sich auch die Frage, ob die später für ihn zuständige Spruchkammer Düsseldorf in seinem Verfahren seine Tätigkeit als Gutachter in Strafprozessen berücksichtigt hat, erst nach Inaugenscheinnahme der dortigen Akten wird klären lassen.

Quellen:

Generallandesarchiv Karlsruhe 309 1966, 310 Zugang 1992-48 45, 465c 417, 507 12252.

Quelle-Trappmann-465c-417-1

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