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Wie ein „Führer der Hochschule“ ausgewählt wurde: Der Karlsruher Rektoratswechsel von 1935

Beschluss zur Erneuerung der Universitätsverfassungen für die Universitäten Heidelberg und Freiburg sowie die Technische Hochschule Karlsruhe vom 21.08.1933, GLA 1233 Nr. 24897 | Klicken für Gesamtansicht

Am 21. August 1933 erging ein Erlass des badischen Kultusministers Otto Wacker an die Rektoren und Senate der Universitäten Freiburg und Heidelberg sowie der Technischen Hochschule Karlsruhe, der den für die bisherige Geschichte der Universitäten zentralen Grundsatz der akademischen Selbstverwaltung mit einem Federstrich beseitigte. Der Kern des Erlasses war sein erster Abschnitt, in dem der Rektor zum „Führer der Hochschule“ erklärt wurde, dem fortan alle Befugnisse des seitherigen Senats zukamen. Die Ernennung des Rektors oblag dem badischen Kultusminister, der ihn aus dem Kreis der ordentlichen Professoren auswählte. Reduzierte sich die Autorität des Rektors dadurch auf die ministerielle Ernennung, so besaß er doch in seiner Amtsführung eine nahezu unbeschränkte Handlungsfreiheit. Er konnte den Kanzler ebenso ernennen wie die Dekane und die übrigen Mitglieder des Senats. Dieser wurde zu einem reinen Beratungsgremium herabgestuft, da er keine Beschlüsse mehr fassen konnte.

Der badische Erlass vom 21. August 1933 wurde zum Muster für ähnliche Regelungen in den anderen deutschen Ländern. Die wichtigsten unter ihnen waren die preußischen „Vorläufigen Maßnahmen zur Vereinfachung der Hochschulverwaltung“ vom 28. Oktober 1933, die im Grundsatz dem badischen Beispiel folgten, indem auch an den preußischen Universitäten die Rechte der Senate auf die Rektoren übergingen. Das Nebeneinander von vorläufigen Hochschulverfassungen nach dem Führerprinzip mit differierenden Regelungen in Details endete mit der Einrichtung des Reichserziehungsministeriums als neuer Zentralbehörde. Von dessen Leiter Bernhard Rust gingen am 1. April 1935 „Richtlinien zur Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung“ aus, die für die nächsten zehn Jahre die Rechtsgrundlage der Universitätsverfassungen bilden sollten. Gegenüber den vorläufigen Regelungen aus dem Jahr 1933 brachten die in zwölf knappe Punkte gefassten Richtlinien eine Neuerung mit der Einsetzung von Dozentenschaft und Studentenschaft als Teilkorporationen, deren Leitungen den Rektoren unterstellt wurden. Was die Auswahl und Einsetzung der Rektoren selbst betraf, enthielten die Richtlinien eine Leerstelle. Der hierfür relevante Punkt 4 besagte lediglich: „Führer der Hochschule ist der Rektor. Er untersteht dem Reichswissenschaftsminister unmittelbar und ist ihm allein verantwortlich“.

Mitteilung des Rektors der Technischen Hochschule Karlsruhe über die „Umbildung des Senats“ vom 29.04.1933, GLA 235 Nr. 30418 | Klicken zum Vergrößern

Zwar klärte dies den Anspruch des Reichserziehungsministeriums auf Letztentscheidung; anderen Handlungsträgern verblieben jedoch Spielräume: den Universitäten, die Personalvorschläge für das Rektorat unterbreiten konnten, den Landeskultusministerien, die diese Vorschläge befürwortend oder modifizierend an das Reichsministerium weiterleiten konnten, und auch Parteistellen der NSDAP, die ein eigenes Vorschlags- oder zumindest ein Vetorecht geltend machten. Zu mitspracheberechtigten Parteistellen zählten die Gauleiter, denen es gelang, eine generelle Kompetenz in Personalfragen auf der Länderebene zu etablieren, der Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund wegen der ihm inhärenten speziellen Kompetenz in hochschulpolitischen Fragen und zu einem späteren Zeitpunkt auch noch der Stellvertreter des Führers mit seinem Stab beziehungsweise die daraus erwachsende Parteikanzlei, die übergeordnete Kontrollkompetenzen beanspruchten. Wegen der Vielzahl der Akteure und wegen der je nach den Landesverhältnissen variierenden Konstellationen spielte sich erst allmählich in der Praxis ein übliches Verfahren ein, das jedoch nie in einer reichsministeriellen Verordnung festgelegt wurde.

Kaum klarer als die Instanzenzüge bei der Vorschlagsübermittlung nach Berlin war das Verfahren bei der Aufstellung der Vorschläge der Universitäten. Dieses hatte das Reichserziehungsministerium im Vorfeld des Inkrafttretens der „Richtlinien“ vom April 1935 zu formalisieren versucht. So fanden am 15. Februar 1935 an allen Universitäten Rektorennominierungen nach einem einheitlichen Zeremoniell statt: Teilnahmeberechtigt waren alle Hochschullehrer, also nicht nur die Ordinarien, um auch dem wissenschaftlichen Nachwuchs, unter dem sich eine stattliche Zahl nationalsozialistischer Aktivisten befand, Einfluss zu geben. Alle Teilnahmeberechtigten mussten einen Vorschlagszettel ausfüllen und diesen mit dem eigenen Namen kennzeichnen – es handelte sich also nicht um ein geheimes Votum, auch wenn die Rektoren verpflichtet wurden, über die Stellungnahmen der einzelnen Hochschullehrer Stillschweigen zu bewahren. Die Namen der Vorgeschlagenen wurden dem Plenum vorgelesen und die ausgefüllten Vorschlagszettel mit einer Stellungnahme des Rektors dem Landeskultusministerium übergeben.

Mitteilung an den Kultusminister mit Vorschlägen zur Rektorwahl durch die Leiter des NS-Lehrerbundes und des NS-Dozentenbundes vom 15.02.1935, GLA 235 Nr. 30418 | Klicken zum Vergrößern

Dass sich dieses Verfahren leicht mit einer Wahl verwechseln ließ, hatte man in Berlin offenkundig erst wenige Tage zuvor bemerkt, denn ein ganz kurzfristiger Erlass des Reichserziehungsministeriums betonte, dass die Vorschläge nicht „gezählt, sondern gewogen“ würden. Zudem versuchte man, mit einem Verbot von Kandidatenaufstellungen eine Fraktionsbildung innerhalb der Universitäten zu verhindern. Dass diese Einschränkungen zu spät kamen, zeigte sich mancherorts beim Ablauf der Veranstaltungen überdeutlich und auch in der Presseberichterstattung über die Rektorennominierungen vom Februar 1935, in der mitunter von einer „Wiederwahl“ der Amtsinhaber die Rede war. Wo die Entscheidungsgewalt tatsächlich lag, demonstrierten die Landeskultusministerien und das Reichserziehungsministerium, indem sie in einigen Fällen die Voten der Universitäten übergingen. Einer von ihnen ereignete sich an der Technischen Hochschule Karlsruhe. An der Fridericiana war es im Frühjahr 1933 im Gefolge der nationalsozialistischen Machtübernahme zu einem Rektoratswechsel gekommen, dessen Opfer der demokratisch profilierte Germanist Karl Holl, der seit 1931 an der Spitze der Technischen Hochschule gestanden hatte, geworden war. An seine Stelle war der Kraftfahrzeugtechniker Hans Kluge getreten, ein politisch rechtsstehender Kompromisskandidat, der sich in der Wahl gegen den jüngst zum Nationalsozialismus konvertierten Baustatiker Ernst Gaber durchgesetzt hatte. Als Wacker sich im Herbst 1933 mit der Einführung der neuen badischen Hochschulverfassung selbst ermächtigte, Rektoren zu entlassen und einzusetzen, beließ er Kluge, der sich, etwa mit dem Vollzug der rassistischen und politischen „Säuberungen“ an der Fridericiana, als verlässliches Werkzeug nationalsozialistischer Hochschulpolitik erwies, im Amt. Dieses allerdings stand zur Disposition, als das Reichserziehungsministerium im Februar 1935 die Rektorennominierungen anordnete.

Dabei erwuchs dem Amtsinhaber Kluge Konkurrenz in Person des erst kurz zuvor auf einen Lehrstuhl gelangten NSDAP-Parteiaktivisten Rudolf Weigel, für den sich „vor allem die nationalsozialistischen Organisationen an der Hochschule wie Dozentenschaft, NS-Lehrerbund, NS-Bund deutscher Technik“ einsetzten. In einer Kampfabstimmung setzte sich Kluge zwar knapp gegen Weigel durch; Wacker wollte jedoch seine Wiederernennung nicht unterstützen, „weil bei der nun einmal vorhanden gewesenen Parteienbildung Prof. Dr. Kluge im allgemeinen von den nicht ausgesprochen nationalsozialistisch gesinnten Abstimmungsberechtigten vorgeschlagen worden ist“. Auch für Weigel sprach sich Wacker nicht aus, da er als sehr junger Lehrstuhlinhaber nicht mit den Rektoratsgeschäften belastet werden sollte und seine Persönlichkeit „nicht unbestritten“ sei; „so wird ihm zum Vorwurf gemacht, daß er in der Durchsetzung seiner persönlichen Ziele nicht immer das erforderliche Maß der Zurückhaltung bewahre“.

Beflaggtes Universitätsgebäude Karlsruhe, in: Otto Ebbecke, „Die deutsche Erhebung in Baden.“ | Klicken, um zur Quelle weitergeleitet zu werden.

Deshalb regte Wacker dem Reichserziehungsministerium gegenüber an, „von dem tatsächlichen Ergebnis des Wahlvorschlags abzugehen und als Rektor eine Persönlichkeit zu benennen, die bisher zur Parteienbildung keinen Anlaß gegeben hat und die deshalb auch berufen ist, die vorhandenen Gegensätze zu überwinden“. Dies hätte auch den nützlichen Nebeneffekt, „daß allen Beteiligten, die dem Rektoratsvorschlag den Stempel einer Wahl mit ihren üblichen demokratischen propagandistischen Begleiterscheinungen aufzudrücken versuchten, vor Augen geführt wird, daß es sich hierbei lediglich um einen unverbindlichen, keineswegs maßgebenden Vorschlag handelte, durch den die entscheidenden Stellen nicht gebunden sind“. Dies hielt man im Reichserziehungsministerium offenkundig für ein plausibles Argument, denn Rust machte sich Wackers Personalvorschlag zu eigen und ernannte umgehend Heinrich Wittmann, den Inhaber der Professur für Wasserbau, zum neuen Rektor der Technischen Hochschule Karlsruhe.

Der 1935 zweimal – erst im Wahlakt und dann bei Wackers Prüfung der Wahl – durchgefallene nationalsozialistische Parteiaktivist Weigel kam erst 1937 zum Zuge, als Wittmann des Rektorats überdrüssig geworden war. Weigel selbst amtierte bis in die letzten Kriegswochen 1945 – im Übrigen gegen wiederholte Einsprüche des Reichserziehungsministeriums, das die Amtszeiten von Rektoren auf zwei oder drei Jahre beschränkt wissen wollte. Dass es hiermit beim badischen Kultusministerium nicht durchdringen konnte, ist ebenso wie der „Wahlakt“ vom Februar 1935 ein Indiz dafür, dass die Zentralisierung der Hochschulpolitik im „Dritten Reich“ doch auch ihre Grenzen hatte und manche Kompetenzen des Reichserziehungsministeriums nur auf dem Papier existierten.

Quelle:  Generallandesarchiv Karlsruhe 235 Nr. 30418

Rektoren Quelle

 

 

  • José María López Campos sagt:

    Dear Prof. Dr. Frank Engehausen,

    Would it be possible to access the digital copy of the constitutions of the universities of Baden and the technical school of Karlsruhe of August 21, 1933, whose first page is included in your electronic publication or, at least, inform me to which Archive I have to contact to obtain this copy.

    By the way, what does the reference, at the bottom of the photo, „GLA 1233 No. 24897“ correspond to.

    Thank you very much,

    Best regards from (Santiago de) Compostela, Spain.

    José María

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