Lediglich nominelles Mitglied der NSDAP oder „ehrlicher Anhänger des Führers“? Zur Parteimitgliedschaft des Gymnasialdirektors Kurt Jacki
Die Bewertung der NSDAP-Parteimitgliedschaft von Beamten ist – worüber der Verfasser dieser Zeilen und mit ihm alle anderen Projektbeteiligten ausgiebige Klagen führen könnten – ein ungemein schwieriges Geschäft, da die Quellen es nur in seltenen Fällen ermöglichen, klare Aussagen über die Motive des Parteieintritts zu treffen. Von den Betroffenen selbst liegen hierzu zumeist nur retrospektive Auskünfte vor, deren Wahrheitsgehalt, zumal wenn sie in den Spruchkammerverfahren gemacht wurden, höchst zweifelhaft ist. Der Selbstrechtfertigungsdruck verleitete viele von ihnen dort dazu, die Opportunität eines Parteieintritts zum Zwang umzudeuten, die negativen Folgen einer Weigerung auszuschmücken (bis zur grotesken Fiktion der Einweisung von Nichtparteigenossen unter der Beamtenschaft in Konzentrationslager) und somit eine Opferrolle einzunehmen. Verifizieren lässt sich der Generalverdacht der Lüge oder zumindest der starken Wahrheitsdehnung, der über allen retrospektiven Selbsteinschätzungen liegt, allerdings kaum einmal. Deshalb verdienen diejenigen Fälle, in denen die Quellenlage günstiger als üblich ist, besondere Aufmerksamkeit. Diese sei im Folgenden einem Beamten gewidmet, dessen Karriere im „Dritten Reich“ insofern ungewöhnlich war, als er trotz früher politischer Anpassungsbemühungen zweimal mit dem Instrumentarium des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ gemaßregelt wurde.
Kurt Jacki, geboren 1885, war 1908 in den badischen Schuldienst übernommen worden und hatte dort nach dem Ersten Weltkrieg rasch Karriere gemacht: 1925 hatte er, als Vierzigjähriger vergleichsweise früh, die Direktion des Mädchenrealgymnasiums in Heidelberg übernommen. Im Januar 1933 wechselte er, unter dem Zentrumspolitiker Eugen Baumgartner als Leiter des Hauses, ins badische Kultusministerium, wo er als Oberregierungsrat in der Abteilung für Höhere Schulen tätig war. Dort blieb Jacki allerdings nicht lange: Zum 1. Juli 1933 wurde er auf der Grundlage des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das willkürliche Versetzungen ermöglichte, aus dem Kultusministerium abgeschoben an das Karlsruher Humboldtgymnasium. Dort amtierte er vier Jahre als Direktor, bis er im September 1937 als Gymnasialprofessor nach Freiburg versetzt wurde. Anlass dieser Degradierung, die unter erneuter Berufung auf das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erfolgte, war Jackis unterdessen der Aufsichtsbehörde bekannt gewordene frühere Mitgliedschaft in der „Deutschen Friedensgesellschaft“ in den Jahren von 1919 bis 1927.
Jacki gehörte somit zur Gruppe jener Beamten, die in ihrer dienstlichen Laufbahn im „Dritten Reich“ Rückschläge hinnehmen mussten, weil die Nationalsozialisten ihnen mit Misstrauen begegneten – ob man sie als „Verfolgungsopfer“, die sie ihrer Selbstwahrnehmung nach waren, bezeichnen sollte, steht dahin. Unter ihnen stellte Jacki einen Sonderfall dar, da ihn die Karriererückschläge ereilten, obwohl er in der direkten Reaktion auf die nationalsozialistische Machtübernahme erhebliche politische Konformitätsanstrengungen unternommen hatte und zum 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten war. Hierfür musste er sich nach Kriegsende im politischen Säuberungsverfahren verantworten, aus dem er als „Mitläufer“ hervorging. Als „Sühnemaßnahme“ verfügte die Spruchkammer seine Pensionierung, die der inzwischen 63-jährige Jacki auch akzeptierte. Allerdings war er mit der Höhe seiner Pension nicht einverstanden, die sich nach dem Gehalt eines Gymnasialprofessors, der er zuletzt gewesen war, und nicht nach dem der Position (Schuldirektor, Oberregierungsrat), die er vor seinem Abstieg bekleidet hatte, richtete. In Jackis Augen war dies eine eklatante Ungerechtigkeit, wie er 1949 und letztmals 1962 in mehreren Schreiben an die Aufsichtsbehörden deutlich machte, mit denen er eine Neufestsetzung seiner Pension erlangen wollte.
Die dort von Jacki gemachten Aussagen zur eigenen politischen Biographie entsprachen dem, was politisch belastete Beamte in diesen Jahren massenhaft vortrugen: Er sei 1933 in die NSDAP eingetreten, „weil ich befürchten mußte, daß ich sonst meine mit Hingabe ausgeübte Berufstätigkeit aufgeben müßte, wie es Kollegen im Ministerium und an höheren Schulen ergangen war. Meine Betätigung in der NSDAP war harmlos. Ich war nie politischer Leiter und übte keine solche Funktion aus. Im NSLB (Lehrerbund) war ich nicht tätig. Ich beschränkte mich auf untergeordnete Mithilfe in der NSV (Volkswohlfahrt), Sammlung von Heilkräutern, Betreuung von Verwundeten, englischen Unterricht in Abendkursen der Arbeitsfront zur Vorbereitung Berufstätiger auf die Reifeprüfung. Meine Mitgliedschaft in der NSDAP war also lediglich nominell“. Gäbe es nur diese Quelle, so müsste man Jacki wohl zugutehalten, dass ihn seine objektiv zwar unbegründete (im Frühjahr 1933 wurden keine Beamten entlassen, nur weil sie nicht Mitglied der NSDAP waren), aber subjektiv möglicherweise wirksame Furcht um seine berufliche Stellung zu politischem Opportunismus verleitet hat. In einem ganz anderen Licht erscheint sein Parteieintritt jedoch in den 1937 entstandenen autobiographischen Aufzeichnungen Jackis, die in seinem im Staatsarchiv Freiburg aufbewahrten Nachlass überliefert sind.
Dort gibt Jacki folgendes Stimmungsbild aus dem badischen Kultusministerium vom Frühjahr 1933: „Mein Minister oder vorläufig Kommissar war Dr. Wacker geworden. Ich begab mich sofort – am Sonnabend [11. März, F. E.] spät nachmittags – ins Ministerium, wo die wenigen Anwesenden aufgeregt umher wirbelten. In den ersten Tagen fielen bereits einige unserer Räte. Mein Abteilungsleiter wurde Landtagspräsident Professor (jetzt Ministerialrat) Kraft. Für mich selbst schien sich zunächst nichts zu ändern; ich setzte meine Reifeprüfungen fort. Als sie beendet waren und ich wieder dauernd im Ministerium war, erlebte ich die unruhigen Zeiten in unserem Haus, die Überfälle von Besuchern, die etwas erreichen wollten oder umgekehrt sich zu rechtfertigen hatten. Das ging natürlich hauptsächlich die neuen Kommissare an. Ich selbst hatte nicht viel zu tun. Jetzt – und es war wohl schon April geworden – ging ich endlich daran, mich in die Gedankenwelt der nationalsozialistischen Bewegung einzulesen. Insbesondere arbeitete ich des Führers Buch ‚Mein Kampf‘ durch. Ich wurde immer wärmer bei diesen so einfachen, klaren und doch tiefen Gedanken über Weltanschauung, Geschichte, Politik, Rasse und Volkskunde. Meine bisherigen politischen Ansichten brachen unter der Wucht dieser Wahrheiten zusammen. Die Ordnung der Revolution, die ich miterlebte, die zunehmende Begeisterung aller Volksschichten taten das übrige, um mich zum ehrlichen Anhänger des Führers zu machen. Gegen Ende April kam ein Rundbrief Ottos, in dem er uns Geschwistern darlegte, daß der leitende Beamte, der Volk und Vaterland weiter dienen wolle, sich der NS.-Bewegung anschließen müsse, und in dem er uns mitteilte, daß er sich bei der NSDAP. angemeldet habe. Ähnlich verstand ich die Darlegungen des Stahlhelmführers Seldte in der Presse. Ich sprach noch mit meinem Abteilungsleiter, Landtagspräsident Kraft, und entschloß mich daraufhin, mich vor Inkrafttreten der Mitgliedersperre am 1. Mai bei der NSDAP anzumelden. Seitdem habe ich mich immer tiefer in diese Gedankenwelt hineingelebt“.
Warum Jacki trotz seines NSDAP-Eintritts im Mai 1933, der somit keineswegs durch Furcht, sondern durch Sympathie für die nationalsozialistische Ideologie motiviert war, kurz darauf seinen Posten im Kultusministerium räumen musste, erschließt sich ebenfalls aus seinen autobiographischen Aufzeichnungen: Sowohl der neue Abteilungsleiter Herbert Kraft als auch dessen ebenfalls neuer Stellvertreter Ernst Fehrle, der als Altparteigenosse ins Kultusministerium aufrückte, waren ihrem beruflichen Profil nach Neusprachler, so dass für einen dritten (Jacki) dort kein Platz mehr war, wenn die Arbeitsfähigkeit der Abteilung für Höhere Schulen erhalten bleiben sollte. Der überzählig gewordene Oberregierungsrat kam sich „zurückgesetzt vor“, auch wenn man ihm versicherte, dass es so „nicht gemeint“ gewesen sei. Jacki hatte also bloß das Pech gehabt, als „Märzgefallener“ hinter den „Alten Kämpfern“ zurückstehen zu müssen. Ein politisch motivierter Karriereknick jedenfalls war seine Versetzung im Sommer 1933 nicht.
Quellen:
Staatsarchiv Freiburg T1 (Zugang 1984/0002) Nachlass Kurt Jacki
Generallandesarchiv Karlsruhe 235 Nr. 20237
Quelle Jacki GLA 235 20237