Unrechtsstaat und nationalsozialistische Vetternwirtschaft: Wie Innenminister Pflaumer das enteignete Vermögen der Arbeiterbewegung zur Protektion des Gestapochefs Berckmüller missbrauchte
Zurecht wird die Herrschaft des Nationalsozialismus mit einer Politik der Willkür, Korruption, Unterdrückung und Gewalt verbunden. Der NS-Staat gilt deshalb als Symbol für den Unrechtsstaat schlechthin. In der täglichen Herrschaftspraxis lässt sich indes bei vielen wichtigen Akteuren des nationalsozialistischen Systems wie den Landesministern ein eigentümliches Nebeneinander der Orientierung an bestehenden Regeln, Normen und Gesetzen einerseits und gesetzloser Willkür andererseits beobachten. Das Verhalten des badischen Innenministers Pflaumer (NSDAP) ist hierfür ein gutes Beispiel: In bestimmten Bereichen bestand er auf der Beachtung bestehender Normen und versuchte, den Missbrauch politischer Macht durch die NSDAP einzudämmen sowie eine zu weitreichende Usurpation des Staates durch die Partei zu verhindern. In der Personalpolitik insistierte Pflaumer beispielsweise oftmals auf der Einhaltung der Beamtenlaufbahn und behielt fähige, erfahrene Beamte im Amt, auch wenn die NSDAP große Zweifel an deren politischer Zuverlässigkeit hatte. Desgleichen schritt Pflaumer entschieden dagegen ein, wenn leitende Beamte, die gleichzeitig ein führendes Amt in der Partei bekleideten, die Teilnahme an Veranstaltungen der NSDAP und die Wahrnehmung von parteiamtlichen Funktionen in ihre Dienstzeit legten. Ebenso bestand er darauf, dass Fehlzeiten von badischen Beamten, die durch deren Teilnahme an Schulungskursen oder Lehrgängen der Partei und ihrer Unterorganisationen entstanden waren, im vorgeschriebenen Umfang auf den Jahresurlaub angerechnet wurden.
In anderen Bereichen hatte Pflaumer hingegen keine Skrupel, rechtsstaatliche Prinzipien zu brechen und eine Politik des offenen Unrechts zu propagieren. Ein Beispiel dafür ist die Beschlagnahmung „marxistischen“ Vermögens durch das badische Innenministerium – ein klarer Akt willkürlicher Enteignung, der nur notdürftig durch scheinlegale Verordnungen und Erlasse kaschiert wurde. Wie die folgende Episode zeigt, verknüpfte Pflaumer dabei die aus der Verwertung des Vermögens erzielten Gelder mit einer Politik der persönlichen Patronage, die dann ihrerseits die Tendenz zur Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipen auf anderen Gebieten verstärkte.
Die Enteignung des Vermögens der Arbeiterbewegung setzte bereits in den ersten Wochen nach der Machtübernahme der NSDAP in Baden am 9. März 1933 ein. Sie lief parallel zur Verhaftung, Internierung und Folterung zahlreicher badischer Kommunisten und Sozialdemokraten. Noch unter der kommissarischen Leitung des Innenministeriums durch Gauleiter Robert Wagner wurden die ersten Maßnahmen auf diesem Feld eingeleitet. Als Wagner am 17. März 1933 im Zuge der so genannten Nußbaum-Affäre sämtliche badischen Landtags- und Reichstagsabgeordneten von SPD und KDP verhaften ließ, die Zeitungen der SPD verbot und alle Wehr- und Jugendverbände von SPD und KPD wie die Eiserne Front, das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold oder den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands auflöste, ordnete er in dem gleichen Erlass auch die Beschlagnahmung des Vermögens der „marxistischen“ Verbände an. Zwei Wochen später, am 30. März 1933, erklärte Wagner auch die „marxistischen Turn-, Sport- und Kulturvereine“ für aufgelöst; auch deren Vermögen wurde komplett beschlagnahmt. In einem weiteren Erlass vom 13. April 1933 verfügte er außerdem, dass das Vermögen der Arbeiterverbände und -vereine nunmehr dem Land Baden zufalle.
Der groß angelegte Raubzug am Eigentum der Arbeiterbewegung ging auch nach der Übernahme des Innenministeriums durch Pflaumer am 6. Mai 1933 weiter. Am 10. Mai 1933 nutzte Pflaumer einen vermeintlichen Korruptionsfall der freien Gewerkschaften in Konstanz, in den angeblich auch SPD-Mitglieder verwickelt waren, als Vorwand zur Beschlagnahmung des gesamten Vermögens der SPD und der sozialdemokratischen Zeitungen. Den Endpunkt der Maßnahmenkette bildete ein Funkspruch des Generalstaatsanwalts beim Landgericht 1 in Karlsruhe vom 12. Mai 1933, der kurzerhand das gesamte Vermögen der badischen Gewerkschaften für beschlagnahmt erklärte.
Nachdem auf diese Weise das Vermögen der badischen Arbeiterbewegung, das unzählige Konten, Einrichtungsgegenstände und Gebäude umfasste, unter Kontrolle des badischen Staates geraten war, setzte unmittelbar danach ein Wettrennen um die Filetstücke des früheren Eigentums der Arbeiterbewegung ein. Auch hierfür schuf ein pseudolegaler Akt frühzeitig die scheingesetzliche Grundlage: In dem erwähnten Erlass vom 13. April 1933 hatte Wagner verkündet, dass das Vermögen der „marxistischen“ Parteien und Organisationen an Verbände überlassen werden solle, die „hinter der nationalen Regierung stehen“. Noch im Mai 1933 teilten die Deutsche Arbeitsfront und die Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisationen (NSBO) das Vermögen der Gewerkschaften unter sich auf, während sich die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) und die badischen Sonderkommissare für Gesundheitsfragen und Jugendpflege die Immobilien und Gegenstände des Arbeitersamariterbundes bzw. der Naturfreunde sicherten. Die so genannten Gliederungen der Partei wie SA, Hitler-Jugend und SS, aber auch der „Stahlhelm“ meldeten ebenfalls Ansprüche auf bestimmte Gebäude und Gegenstände an, wie etwa die Turngeräte der Arbeitersportvereine oder die Hütten der „Naturfreunde“.
Koordiniert wurden die Aktionen, die zunächst überwiegend auf dezentraler Ebene erfolgten, durch das badische Innenministerium. Frühzeitig hatten Pflaumer und seine Ministerialbeamten etwa die genaue Erfassung des Vermögens der SPD angeordnet und Musterbögen für die Bezirksämter entworfen, die ein systematisches und einheitliches Vorgehen bei den Enteignungen ermöglichen sollten. Anfang August 1933 wurde schließlich im Innenministerium eine eigene Treuhandstelle für die „Verwaltung marxistischen Vermögens“ geschaffen, die das Eigentum der Arbeiterbewegung fortan zentral von Karlsruhe aus verwaltete. Sie war zunächst bei zwei Regierungsassessoren in den Bezirksämtern Karlsruhe und Durlach angesiedelt. Am 31. Januar 1934 erfolgte eine Anordnung an die Bezirksämter, die bisher von ihnen verwalteten Gelder auf ein zentrales Konto des Innenministeriums zu überweisen. 1937 wurde die Treuhandstelle dem stellvertretenden Gestapochef Walter Späth übertragen und in das Ministerium des Innern verlegt; der Prozess der Zentralisierung war damit vollendet. Weit vor der „Arisierung“ des jüdischen Vermögens durch den badischen Staat nach der Deportation der badischen Juden nach Gurs am 22. Oktober 1940 profitierte dieser also bereits 1933 im großen Stil von der Entrechtung politisch oder rassisch Verfolgter; die Enteignung des Vermögens der Arbeiterbewegung kann deshalb als Übung und Probelauf für die späteren „Arisierungen“ angesehen werden.
Wofür das Geld unter anderem verwendet wurde, illustriert ein Vorgang aus dem Jahr 1935, der den Leiter der badischen Gestapo Karl Berckmüller betraf. Berckmüller, ein „Alter Kämpfer“ und Intimus Wagners, hatte schon bei seiner Einsetzung als Chef des Badischen Geheimen Staatspolizeiamts im November 1933 deutlich gemacht, dass er es als selbstverständlich ansehe, wenn ein „verdienter“ Nationalsozialist wie er eine Sonderbehandlung erfahre. Protegiert von Pflaumer, wurde der aus der Privatwirtschaft stammende Berckmüller, der keinerlei Verwaltungserfahrung vorweisen konnte, nicht nur unter Missachtung sämtlicher beamtenrechtlicher Vorschriften und Gepflogenheiten als Regierungsrat eingestuft. Ihm wurden auch acht Jahre Vordienstzeit auf das Besoldungsdienstalter angerechnet, was für die spätere Anerkennung und Berechnung von Pensionsansprüchen von erheblicher Bedeutung war. Diese Praxis erfolgte gegen die Bedenken des Ministerpräsidenten Walter Köhler (NSDAP), der in einem persönlichen Schreiben an Pflaumer vom 23. November 1933, das er in seiner Eigenschaft als Finanzminister verfasste, auf die enormen Gefahren dieser extremen Bevorzugung Berckmüllers hinwies: Ein solcher Vorgang könne entsprechende Forderungen von anderen Beamten nach sich ziehen. Nur „mit Rücksicht auf die hier vorliegenden besonderen Verhältnisse (vermutlich eine Anspielung auf Berckmüllers starke Position und Vernetzung innerhalb der NSDAP, R.N.)“ könne ausnahmsweise eine solche Regelung getroffen werden.
Mit dieser raschen Beförderung und der ebenso großzügigen wie illegalen Anrechnung der Vordienstzeiten – sie stand nur Beamten, aber nicht Personen aus der Privatwirtschaft zu – gab sich Berckmüller jedoch nur kurzzeitig zufrieden. Anfang 1935 forderte er kategorisch seine vorzeitige Ernennung zum Oberregierungsrat und verlangte überdies ein zusätzliches „Aufwandsgeld“ in Höhe von 400 Reichsmark jährlich. Doch scheiterten beide Forderungen am badischen Finanz- und Wirtschaftsministerium, das die Einstellung einer zusätzlichen Oberregierungsratsstelle in den Haushalt des Innenministeriums ablehnte und aus grundsätzlichen haushaltsrechtlichen Erwägungen heraus auch die Zahlung eines jährlichen Aufwandsgelds verweigerte.
Um sich aus der Zwickmühle zu befreien, in die Berckmüller die badische Landesregierung mit seinem bestimmten Auftreten gebracht hatte, einigten sich Pflaumer und Köhler auf folgende Lösung: Berckmüller erhielt kurzer Hand aus dem Treuhandfonds für marxistisches Vermögen eine monatliche Sondervergütung von 100 Reichsmark. Die Gelder aus der Verwertung marxistischen Vermögens dienten also als „Schwarze Kasse“, mit deren Hilfe die Differenz zwischen der Besoldung eines Regierungsrats und eines Oberregierungsrats ausgeglichen werden konnte. Doch nicht nur das: Aus dem Schriftwechsel zwischen dem Innen-, Staats- und Finanzministerium über die Gewährung einer Sonderzulage an Berckmüller geht indirekt hervor, dass aus dem Sondertopf für marxistisches Vermögen darüber hinaus besondere Ausgaben für Sachmittel im Polizeibereich finanziert wurden, ohne dies im offiziellen Haushalt auszuweisen.
Die großzügige Vergabe von Eigentum der Arbeiterbewegung an „nationale“ Verbände und die dubiose Finanzierung von Personal- und Sachausgaben aus dem ehemaligen „marxistischen“ Vermögen zog indes bald weitere Kreise, denn damit hatte Pflaumer Fakten geschaffen, hinter die er nicht mehr zurückkonnte. Dies offenbarte sich ein Jahr später, als die seit der Enteignung der Arbeiterbewegung im Jahr 1933 im Raum stehende Frage, wie mit den Ansprüchen von Gläubigern „marxistischer“ Vereine umzugehen sei, aufgrund verschiedener Gerichtsverfahren zu einer Entscheidung drängte. Um eine einheitliche Regelung im ganzen Reich zu treffen, fragte der Reichsinnenminister deshalb am 22. Oktober 1936 in einem Rundschreiben bei den Landesregierungen an, ob man dort die Rechte der Gläubiger für erloschen halte. Durch die im großen Stil betriebene Verwertung „marxistischen“ Vermögens befand sich Pflaumer nun in einem Dilemma: Da er diese Maßnahmen nicht rückgängig machen konnte und wollte, sah er sich gezwungen, weiteres Unrecht zu legitimieren.
Dementsprechend unmissverständlich fiel seine Antwort an den Reichsinnenminister aus: Die Ansprüche Dritter, so Pflaumer in einem Schreiben vom 2. Dezember 1936, hätten auf jeden Fall als erloschen zu gelten, denn insbesondere die Rechte, die auf den eingezogenen Grundstücken ruhen würden, hätten in der Praxis bei der Verwertung des volks- und staatsfeindlichen Vermögens große Schwierigkeiten bereitet. Zudem seien eine ganze Reihe dieser beliehenen Grundstücke und Gebäude in einer Art und Weise bebaut, dass als Interessenten nur ganz bestimmte Stellen in Frage gekommen seien, nämlich die Hitler-Jugend, die NSV, SA und SS, der Jugendherbergsverband und die Sportvereine. Dies aber seien Organisationen, deren Arbeit im Interesse der Volksgemeinschaft und der Volksgesundheit liegen würde, die gleichzeitig jedoch nicht über die erforderlichen Mittel zum Erwerb etwa der Grundstücke verfügten. Außerdem habe er bereits mit Zustimmung des Finanz- und Wirtschaftsministers über 200.000 Reichsmark aus dem Erlös der Verwertung „marxistischen“ Vermögens für außerordentliche Zwecke des Polizeihaushalts verwendet. In Baden sei es folglich bislang nur in ganz seltenen Fällen zur Befriedigung von Gläubigern aufgelöster marxistischer Organisationen gekommen. Diese Regelung empfehle er auch in Zukunft beizubehalten. Allenfalls sei eine Härtefallregelung denkbar, bei der das Land aber das Recht behalten müsse, frei und nach eigenem Ermessen zu entscheiden.
Wie die willkürliche Enteignung des Eigentums der Arbeiterbewegung und dessen Missbrauch zur Bedienung von Privilegien für führende badische Nationalsozialisten zeigen, verstanden es die nationalsozialistischen staatlichen Akteure recht virtuos, je nach Interessenlage zwischen der Orientierung an legalistischem „Normenstaat“ und willkürlichem „Maßnahmenstaat“ (Ernst Fraenkel) zu changieren. In der konkreten Herrschaftsausübung bestimmte also ein spezifisches Nebeneinander beider Orientierungen das alltägliche Handeln. Allerdings zeigen diese Vorgänge auch, dass die „maßnahmenstaatlichen“ Handlungen, wie sie die Konfiszierung des Vermögens der Arbeiterbewegung verkörperte, in einen Bereich zu diffundieren drohten, in dem dies eigentlich nicht gewünscht war, da er das Rechtsempfinden des Bürgertums herausfordern musste, nämlich der Frage der bürgerlichen Eigentumsrechte. In der politischen Praxis wurden hier deshalb oftmals pragmatische Mittelwege beschritten. So sah das am 9. Dezember 1937 erlassene Reichsgesetz „über die Gewährung von Entschädigungen bei der Einziehung oder dem Übergang von Vermögen“ vor, dass die Rechte der Gläubiger zwar für erloschen erklärt wurden. Doch beinhaltete es gleichzeitig einen Anspruch auf Entschädigung.
Dies allerdings war eine Lösung, die Pflaumer ausdrücklich nicht befürwortet hatte, hatte er doch die Entschädigung von Gläubigern „marxistischen“ Vermögens unter Verweis auf die in Baden geschaffenen Tatsachen abgelehnt. Nicht immer war Pflaumer mithin jener unideologische Pragmatiker, als der er sich nach dem Krieg gerne gerierte.
Quellen: GLA 233 27894; 233 25859; 380 3753; StAF B 719/1 5096.
233_25859_Vermögen_von_Reichsfeinden - Kopie