„Wir wollten auch Lücken in der städtischen Erinnerung thematisieren“ – Interview mit Daniela Gress, M.A.
Am 19. Oktober wird im Heidelberger Rathaus die Ausstellung „Herausgerissen. Deportation von Heidelbergern 1940“ eröffnet, die vom Arbeitsbereich Minderheitengeschichte und Bürgerrechte in Europa organisiert wurde, der dem Lehrstuhl für Zeitgeschichte des Historischen Seminars zugehörig ist. Über die Planung und Durchführung der Ausstellung, die von Studierenden gestaltet wurde, sprach Moritz Hoffmann mit Daniela Gress, M.A., die die entsprechende Lehrveranstaltung angeboten hatte.
Moritz Hoffmann: Die nun stattfindende Ausstellung stellt eine Kooperation zwischen der Stadt Heidelberg und dem Arbeitsbereich Minderheitengeschichte und Bürgerrechte in Europa dar. Woher kam die Idee?
Daniela Gress: Die Idee entstand durch eine vorhergehende Kooperation des Arbeitsbereiches mit der Stadt Heidelberg. Dabei ging es um den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar, der häufig auch Holocaustgedenktag genannt wird. Zum Jahr 2015 fragte die Stadt an, ob der Tag vom Lehrstuhl für Zeitgeschichte gestaltet werden möchte. Im Zentrum des Gedenktages sollte die Deportation der Heidelberger Juden stehen, die sich 2015 zum 75. Mal jährte. Unsere Idee hierfür war, den Gedenktag gemeinsam mit Studierenden zu gestalten. Im Rahmen einer kleinen Exkursion ins Stadtarchiv Heidelberg recherchierten die Studierenden dann Quellen, Literatur und Biografien zum Thema. Ihre Ergebnisse präsentierten sie während der Gedenkfeier in einer kleinen Vorstellung, in der sie vor allem über die Ereignisse während des Nationalsozialismus in Heidelberg berichteten, darüber wie die hiesigen Juden deportiert wurden und wer diese Menschen waren.
Die Gestaltung dieses Gedenktages stieß auf ein überaus positives Echo, und so kam die Stadt noch einmal auf uns zu mit der Frage, ob man nicht anlässlich des 75. Jahrestages der Deportation am 22. Oktober aus dem Thema auch noch eine Ausstellung im Foyer des Rathauses machen könnte. Der Arbeitsbereich entschied sich dann dafür, dies in Form einer Übung für Studierende anzubieten, in der sich schließlich 13 Studierende mit dem Thema Historische Ausstellungen und speziell der Verfolgung der Heidelberger Juden auseinandersetzten und ein Konzept formulierten.
Moritz Hoffmann: Haben die Studierenden zum Thema auch Grundlagenforschung, beispielsweise im Stadtarchiv, betrieben oder fokussierte sich die Lehrveranstaltung auf die konkrete Umsetzung?
Daniela Gress: Grundlagenforschung kann man zu diesem Thema, gerade im begrenzten Rahmen einer Übung, kaum noch anstellen, da es sehr gut erforscht ist. Daher ging es eher darum, die neueste Literatur, den aktuellen Kenntnisstand, in Referaten vorzustellen und individuelle Biografien herauszusuchen. Das wirklich Neue war die Erörterung der Möglichkeiten, diese Themen der Öffentlichkeit in einer Studierendenausstellung zugänglich zu machen.
Moritz Hoffmann: Wie hat man sich diese Lehrveranstaltung praktisch vorzustellen? Wurden erst theoretische Grundlagen der Ausstellungskonzeption geschaffen und dann mit dem Thema verknüpft?
Daniela Gress: Zunächst haben wir inhaltliche Sitzungen abgehalten. In Vierergruppen präsentierten die Studierenden die Geschichte der Heidelberger Juden, um sich mit dem Ausstellungsgegenstand vertraut zu machen. Danach haben wir uns intensiv mit den Möglichkeiten der Konzeption beschäftigt, um daraus ein eigenes Konzept herzuleiten. Dabei ging es speziell auch um Fragen wie die Zielgruppe, die Möglichkeiten des Raumes im Rathaus, der ja durchaus begrenzt ist, und natürlich auch um das Budget. Letzteres haben wir den Studierenden gegenüber sehr transparent gehandhabt. Die Ausstellung wird von der Stadt Heidelberg finanziert, und die Studierenden konnten so genau mitverfolgen, was solch ein Projekt kostet, in welchem Rahmen es überhaupt möglich ist. Solche organisatorischen und finanziellen Dinge schon im Studium zu lernen und sich nicht nur auf die inhaltliche Entwicklung zu fokussieren war uns sehr wichtig.
Moritz Hoffmann: Und im weiteren Verlauf der Übung ging es dann an die innere thematische Gestaltung, also auch die Aufteilung der Einzelthemen?
Daniela Gress: Genau. Wir haben uns dafür entschieden, die Ausstellung mit einem Überblick darüber zu beginnen, wie die Juden in Heidelberg vor 1933 gelebt haben, und uns dann mit ihrer Situation nach der Machtübernahme, der Entrechtung und Verfolgung zu beschäftigen. Den Fokus haben wir allerdings eindeutig auf die Deportation selbst gelegt, und hierbei war es den Studierenden ganz wichtig zu zeigen, wie es den Heidelberger Juden nach der Deportation erging. Daher gibt es auch zwei Tafeln zum Lager Gurs, auf denen die Studierenden darüber aufklären was für Verhältnisse dort herrschten. Hier bestehen klare Unterschiede zwischen dem Lager Gurs in Südfrankreich, das nicht von der SS betrieben wurde, und der allgemeinen Vorstellung von Konzentrations- und Vernichtungslagern. Das Internierungslager Gurs lag nicht im direkten Machtbereich der deutschen Militärverwaltung, sondern unterstand der französischen Regierung im unbesetzten Teil Frankreichs, die vom Deutschen Reich dazu gedrängt worden war, die Juden aufzunehmen. Dennoch waren die Verhältnisse auch dort menschenunwürdig, auch dort starben Menschen, auch dort wurde gehungert, aber es gab trotzdem etwas, was wir „Nischen des Trosts“ genannt haben: Die dort Internierten organisierten sich und veranstalteten beispielsweise Sabbatfeiern und Vorträge oder fanden Zuflucht in der künstlerischen Verarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse.
Moritz Hoffmann: Inwiefern geht die Ausstellung auch zeitlich über die Deportation und das Leben im Lager Gurs hinaus?
Daniela Gress: Wir verfolgen den Weg der Gefangenen auch weiter und thematisieren natürlich auch den Holocaust. Viele wurden von Gurs aus weiter in die Vernichtungslager im Osten deportiert, wo sie systematisch ermordet wurden. Einigen gelang aber auch durch Hilfsorganisationen die Flucht und Auswanderung. Schließlich wirft die Ausstellung auch noch einen Blick auf die Situation nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, auf Überleben und das Weiterleben, und auch auf die Erinnerung in der Stadt Heidelberg selbst.
Moritz Hoffmann: Der Titel der Ausstellung spricht nicht speziell vom Tag der Deportation der jüdischen Bevölkerung, sondern von der „Deportation von Heidelbergern 1940“. Welche Personen zählen dazu?
Daniela Gress: Gegen Ende der Lehrveranstaltung kam in der Gruppe der Studierenden die Idee auf, auch die Heidelberger Sinti mit einzubeziehen, deren Deportation einige Monate früher, im Mai 1940 stattfand. Die Sinti wurden in das besetzte Polen deportiert, das sog. Generalgouvernement, wo sie in Ghettos und Konzentrationslagern Zwangsarbeit leisten mussten. Später wurden Sinti und Roma aus ganz Europa u.a. in das sogenannte „Zigeunerlager“ in Auschwitz-Birkenau deportiert und systematisch ermordet. Dies betraf auch einige Heidelberger Sinti. Dieser Teil der Stadtgeschichte ist weitaus weniger präsent und wurde bislang auch von der Forschung in geringerem Maße berücksichtigt. Daher haben wir uns entschlossen, auch die Verfolgung dieser Heidelberger mit in die Ausstellung aufzunehmen. Der große Unterschied zur Deportation der Juden bestand einerseits darin, dass es deutlich weniger Personen betraf, und dass die Stadt Heidelberg den Sinti schon 1936 durch den Entzug von Gewerbescheinen und das Verbot des Umzugs in städtische Wohnungen die Lebensgrundlage entzogen hatte. Der Großteil der Sinti war daraufhin 1936/37 nach Ludwigshafen gezogen, weshalb die Heidelberger Sinti von Ludwigshafen aus deportiert wurden. Dies mag ein Grund dafür sein, dass dieses Ereignis in der städtischen Erinnerung eine geringere Rolle spielt, gerade deshalb wollten wir auch das thematisieren.
Moritz Hoffmann: Wie viele Plakate umfasst die Ausstellung letztendlich?
Daniela Gress: Insgesamt sind es acht Plakate und, was für das Konzept insgesamt wichtig ist, zwei große Karten. Zum einen ist dies eine historische Karte der Stadt Heidelberg, auf der die Studierenden die Straßen und Häuser markiert haben, in denen Heidelberger Juden und Sinti gelebt haben sowie auch die zentralen Orte jüdischen Lebens wie die 1938 zerstörte Synagoge, ein jüdisches Gasthaus oder die jüdischen Friedhöfe. Das Ziel dieser Karte ist zu zeigen, dass sich das Leben der Heidelberger Juden und Sinti im Herzen der Stadt abspielte, genauer in der Altstadt, in Neuenheim, Bergheim und der Weststadt. Sie lebten mit der Heidelberger Mehrheitsbevölkerung buchstäblich Tür an Tür. Auf der zweiten Karte, die den europäischen Kontinent zeigt, sind die Deportationswege von Heidelberg nach Gurs sowie von Gurs an die Fluchtorte sowie in die Zwischen- und Vernichtungslager im Osten verzeichnet. Die Studierenden wollten so die langen Wege deutlich machen, die die Gefangenen in Zügen durch ganz Europa zurücklegen mussten.
Moritz Hoffmann: Die Studierenden, das wurde bislang deutlich, haben einen großen inhaltlichen Einfluss auf die Ausstellung gehabt – was genau beinhaltete das?
Daniela Gress: Die Studierenden haben, immer im engen Austausch mit der Gruppe, die Texte für die Tafeln verfasst und sich dabei am Rahmenwerk orientiert, das wir zu Beginn gemeinsam festgelegt haben. Gleichzeitig sind sie auch selbstständig in die Archive gegangen, haben das Bildmaterial recherchiert und die Bildrechte angefragt. Auch das war uns als Lernziel wichtig, denn diese Fragen sind in der Ausstellungspraxis natürlich eminent wichtig. Die letztliche Platzierung von Texten und Bildern wurde von einem professionellen Grafiker übernommen, der das Layout wiederum in engem Austausch mit der Gruppe umgesetzt hat.
Moritz Hoffmann: Die letzte Frage schlägt eine Brücke zu unserem Forschungsprojekt: Inwieweit beschäftigt sich die Ausstellung mit den mit der Deportation beauftragten sowie den beauftragenden Stellen? Gibt es eine lokale Fixierung oder wird auch das Land Baden in den Blick genommen?
Daniela Gress: Die Deportation der Heidelberger Juden war ein lokaler Teil der großangelegten Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden. Sie ging aus von den beiden Gauleitern Robert Wagner und Josef Bürckel, insgesamt wurden 6.500 Juden aus beiden Gauen nach Gurs deportiert, und dabei gab es natürlich überregionale Anweisungen an die Beamten vor Ort. In Heidelberg waren die Polizei, die Gestapo und die SA an der Deportation von ca. 300 Personen beteiligt. Die Heidelberger Juden wurden in den frühen Morgenstunden des 22. Oktober 1940 an ihren Wohnorten aufgesucht und aufgefordert, innerhalb kürzester Zeit zu packen – und zwar nicht mehr als 50 Kilogramm Gepäck. Es gab präzise Anweisungen an die Beamten beider Gaue, wie die Deportierten zu behandeln waren und welche Gegenstände sie mitnehmen durften, aus denen wir Auszüge präsentieren. Diese Situation wollen wir zuletzt auch mit einer Vitrine verdeutlichen, in der wir anhand von nachgestellten Exponaten, etwa einem Koffer, visualisieren, was die Menschen mitnehmen durften – und im Umkehrschluss natürlich auch, was alles zurück bleiben musste.
Die Ausstellung „Herausgerissen. Deportation von Heidelbergern 1940“ ist zwischen dem 20. Oktober und dem 20. November 2015 im Foyer des Heidelberger Rathauses zu sehen. Die Vernissage findet am Montag, den 19.10.2015 um 18 Uhr statt.