Aufstieg durch fachliche Qualifikation oder durch Parteimeriten? Der Streit um die Versorgungsbezüge des Ministerialrats im badischen Kultusministerium Siegfried Federle
Die generelle Vorläufigkeit geschichtswissenschaftlicher Forschungsergebnisse ist eine Binsenweisheit, und deshalb ist es auch nicht erstaunlich, dass die noch recht druckfrischen Bände „Die badischen und württembergischen Landesministerien in der Zeit des Nationalsozialismus“ in Details ergänzungsfähig sind. Im Beitrag des Verfassers dieser Zeilen über das badische Kultusministerium gilt dies zum Beispiel für die Biographie eines zeitweiligen Abteilungsleiters, die sich jetzt durch einen neuen Quellenfund weiter erhellen lässt, und zwar durch eine Personalakte Siegfried Federles, die in den Beständen des Generallandesarchivs Karlsruhe schon länger vorhanden war, im Zuge der stetigen Verbesserung der dortigen Findmittel aber erst vor kurzem „wiederentdeckt“ wurde. Auszüge daraus seien im Folgenden mitgeteilt – nicht um der Buchpublikation nachträglich eine längere Fußnote hinzuzufügen, sondern weil sie ein Schlaglicht auf den Umgang der Nachkriegskultusministerialbürokratie mit NS-belasteten Beamten wirft.
Siegfried Federle, seit 1927 Lehrer an der Gewerbeschule Bruchsal, gehörte zu einer Gruppe von Altparteigenossen der NSDAP, die Otto Wacker, als er im März und im April 1933 das seiner Leitung unterstellte badische Kultusministerium „gleichschaltete“, in die Schlüsselstellen des Hauses brachte: Eugen Fehrle erhielt die Leitung der Hochschulabteilung, Herbert Kraft die der Abteilung für Höhere Schulen, Karl Gärtner die der Volksschulabteilung und Federle die der Fachschulabteilung. Alle vier gelangten zunächst in kommissarischer Dienststellung ins Kultusministerium, stiegen aber rasch in lukrative Beamtenstellen auf, sobald diese durch politische „Säuberungen“ in der Anwendung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ freigemacht wurden. Federle wurde mit Wirkung vom 1. August 1933 zum Oberregierungsrat ernannt und bereits zum 1. Januar 1934 – üblicherweise erfolgte dieser Aufstieg erst nach sechs Jahren – zum Ministerialrat befördert. Die Leitung der Fachschulabteilung hatte Federle zwei Jahre inne. Am 1. April 1935 wechselte er aus Karlsruhe ins Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung nach Berlin.
Im August 1949, also mehr als 14 Jahre nach seinem Abschied aus Karlsruhe, nahm Federle Kontakt zum Rechtsnachfolger seines ehemaligen Arbeitgebers auf, der Landesbezirksdirektion des Kultus und Unterrichts in Karlsruhe. In seinem Schreiben schilderte Federle seinen Werdegang seit dem Kriegsende, das mit der Auflösung des Reichserziehungsministeriums auch das Ende seiner beruflichen Karriere bedeutet hatte. Vom Frühjahr 1945 bis Sommer 1946 sei er „schwer arbeitender Bauernknecht in Ostpommern unter russischem Kommando“ gewesen; anschließend habe er bis zum Frühjahr in seinem „großen Garten nördlich Berlins“ gelebt und sei „nur zeichnerisch tätig“ gewesen. Seit seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen – möglicherweise eine Art Flucht aus der sowjetischen Besatzungszone – arbeite er als „Landwirtschafter“ eines Alpenvereinshauses im sauerländischen Oberhundem, die „einseitige“ und schlecht bezahlte Tätigkeit auch zum „Porträtzeichnen“ nutzend. Die „Armut“ und die Anhänglichkeit zum „alten Beruf“ drängten ihn nun „wieder nach Süden“, teilte Federle mit, der sein Gesuch um „Wiederverwendung“ in seinem „Arbeitsgebiet“ mit dem Hinweis verband, dass er auf 23 „mit Erfolg geleistete Arbeitsjahre im Staatsdienst“ zurückblicken könne.
Die Karlsruher Landesbezirksabteilung antwortete Federle mit dürren Worten, dass seine „Wiedereinstellung in den nordbadischen Gewerbeschuldienst nicht beabsichtigt“ sei und dass auch keine freien Stellen zur Verfügung stünden. Federle reagierte auf diese Mitteilung mit einem zweiten Schreiben, in dem er ein „moralisches Recht auf Wiederverwendung“ für sich reklamierte, aber für den Fall, dass tatsächlich keine freien Stellen verfügbar seien, seine Pensionierung ins Gespräch brachte. Zu welchen Konditionen diese erfolgen solle, teilte Federle unaufgefordert und quasi ultimativ mit: nämlich zu den gleichen, mit denen sein Amtsvorgänger als Abteilungsleiter im Kultusministerium 1933 zur Ruhe gesetzt worden sei. Das Ansinnen, den zu diesem Zeitpunkt 55-jährigen mit einer Ministerialratspension auszustatten, fand in der Landesbezirksabteilung keine Zustimmung. Man sei in Karlsruhe, da er 1935 aus dem badischen in den Reichsdienst gewechselt sei, nicht zuständig, so die Mitteilung an der Federle, dem anheimgestellt wurde, sich an die Unterrichtsverwaltung zu wenden, „die für Ihren derzeitigen Wohnsitz in Frage kommt“.
In der Personalakte sind in der Reaktion darauf noch zwei weitere Schreiben Federles überliefert, der für die „liebenswürdige Mitteilung“ bestens dankte, darauf hinwies, dass er lediglich deshalb seinen Aufenthalt in Nordrhein-Westfalen genommen habe, weil ihm eine Wiederbeschäftigung in Baden verwehrt bleibe, und nochmals sein moralisches Recht auf Rückkehr in den Gewerbeschuldienst betonte. Am Sachstand änderte dies nichts, so dass sich Federle in der Frage seiner Wiederbeschäftigung beziehungsweise Versorgung an die Behörden in Nordrhein-Westfalen wenden musste. Seine Chancen, hierbei ein günstiges Ergebnis zu erzielen, verbesserten sich 1951 mit dem Inkrafttreten des „Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“, das großzügige Regelungen der Versorgung NS-belasteter ehemaliger Beamter ermöglichte. Allerdings konnte dies nach dem Gesetz nur nach sorgfältiger Einzelfallprüfung geschehen, wobei nach Paragraph 7 zu beachten war, ob seit 1933 erfolgte Ernennungen und Beförderungen den beamtenrechtlichen Vorschriften widersprachen „oder wegen enger Verbindung zum Nationalsozialismus vorgenommen worden sind“. Im Falle Federles hieß dies, dass die Umstände seines Aufstiegs aus dem Schuldienst in die Ministerialbürokratie im Jahr 1933 für die Festsetzung seines Ruhegehalts zu prüfen waren.
Eine entsprechende Auskunftsbitte des nordrhein-westfälischen Innenministeriums traf in Karlsruhe im Juni 1952 ein – zusammen mit der Abschrift eines Briefs Federles, in dem dieser dem Arnsberger Regierungspräsidenten die Umstände seiner Beförderungen der Jahre 1933/34 schilderte. Dass er damals als Teil irgendwelcher politischer Seilschaften ins badische Kultusministerium gelangt sei, stellte Federle dabei in Abrede. Im Gegenteil sei er durch seine Berufung selbst überrascht worden: Dem neuen Minister Wacker seien von der Fachschaft des Berufs- und Fachschulwesens des Nationalsozialistischen Lehrerbundes einige qualifizierte Kandidaten vorgeschlagen worden, von denen er möglicherweise ausgewählt worden sei, weil Wacker ihn aus gemeinsamen Architekturstudientagen kannte und wohl auch seine „familiengeschichtlichen Arbeiten“ und Vorträge in „heimatkundlichen Kreisen“ geschätzt habe. Er glaube daher, „daß bei meiner Berufung am allerwenigsten parteipolitische Gründe mitgespielt haben, sondern daß meine fachliche Eignung, meine organisatorische Fähigkeit, meine Redemöglichkeit und die persönliche Beurteilung des Leiters dafür maßgebend waren“. Zu einem politisch ganz unbeschriebenen Blatt wollte sich Federle dann aber doch nicht machen: Es widerstrebe ihm, „mich wegen meiner Parteizugehörigkeit rein waschen zu wollen; ich nahm damit s. Zt. [Anfang 1932] mein staatsbürgerliches Recht wahr. Wenn man damals als Gewerbelehrer mitansehen mußte, wie alle die jungen Handwerker nach der Gesellenprüfung arbeitslos wurden, dann war es wohl nicht so abwegig, auf eine Partei zu hoffen, die mit der Zusammenfassung aller Kräfte und mit Arbeit die Arbeitslosigkeit beseitigen wollte (was sie ja dann auch erreichte)“.
In der hierzu zur Stellungnahme aufgeforderten Landesbezirksdirektion in Karlsruhe hielt man Federles Auslassungen für wahrheitswidrig: Seine Berufung ins Kultusministerium könne für ihn „kaum überraschend gekommen sein. Er hat sie nicht etwa besonderer dienstlicher Bewährung, sondern einzig und allein seiner engen persönlichen und politischen Freundschaft mit Kultusminister Dr. Wacker zu verdanken. Dieser war im badischen Land als einer der ältesten, prominentesten und einflußreichsten Verkünder des Nationalsozialismus bekannt“. Auch Federles ungewöhnlich rasches Avancement im Ministerium sei seiner Verbindung mit dem Nationalsozialismus geschuldet: „Es lag kein dienstlicher Anlaß vor, ausgerechnet den jüngsten Oberregierungsrat zum Ministerialrat zu befördern“. So wie Federle politisch protegiert worden sei, habe er selbst seine Position zu Wohltaten für Parteifreunde missbraucht, hieß es weiter in der Stellungnahme, die als Beispiel den „Volksschullehrer Schweizer“ anführte, „ein alter persönlicher Bekannter Federles und gleichzeitig ein alter ‚Vorkämpfer für völkische Kultur‘“, der auf den Posten des Direktors „einer der größten Gewerbeschulen des Landes, der Gewerbeschule III in Karlsruhe“, gelangte. „Dies geschah auf persönliches Betreiben Federles trotz mangelhafter Eignung Schweizers, trotz Widerspruchs des zuständigen Referenten und entgegen jeder bisherigen Übung. In der Folge löste diese Beförderung Jahre hindurch schwere dienstliche Unzuträglichkeiten aus“.
Mit einer abschließenden rechtlichen Einschätzung des Falles tat man sich in der Landesbezirksdirektion trotz der deutlichen Kritik an Federle schwer: Zwar sei seine Ernennung zum Oberregierungsrat „aus politischen Gründen erfolgt“; jedoch halte sich „diese Beförderung im Rahmen des dienstlich Vertretbaren und bietet laufbahnmäßig und personell nichts Außergewöhnliches. Es wäre daher zu rechtfertigen, die Beförderung zum Oberregierungsrat bestehen zu lassen“, sie jedoch auf einen späteren Zeitpunkt, etwa das Jahr 1940, festzusetzen – hier entwarf man also ein Szenario, in dem Federle in fiktiven nicht-nationalsozialistischen Zeiten aus dem Gewerbeschuldienst in die Ministerialbürokratie gewechselt und sich im üblichen Rahmen emporgearbeitet haben würde. Den Status eines Ministerialrats hätte Federle hierbei aber nicht erreicht: Auf diese Beförderung wäre „uneingeschränkt § 7 des Gesetzes nach Art. 131 anzuwenden“.
Das nordrhein-westfälische Innenministerium folgte offensichtlich der Karlsruher Anregung und setzte Federle als Oberregierungsrat zur Ruhe. Dieser legte hiergegen jedoch Widerspruch ein, so dass man aus Düsseldorf 1955 nochmals mit einer Auskunftsbitte in Karlsruhe, inzwischen war das Oberschulamt des Regierungspräsidiums Nordbaden zuständig, vorstellig wurde. Dort unternahm man einige Anstrengungen zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts und machte als Zeugen mit Engelbert Bohn den Mann ausfindig, der 1933 von Federle im Kultusministerium verdrängt worden war. In einer Erklärung schilderte Bohn, der seit 1920 im Ministerium tätig gewesen war, 1926 zum Oberregierungsrat befördert worden war und 1931 in gleicher Dienststellung die Leitung der Fachschulabteilung von dem pensionierten Ministerialrat Ferdinand Huber übernommen hatte, wie er im Sommer 1933 nach der Rückkehr von einer Dienstreise sein Dienstzimmer von Federle besetzt vorfand, der ihm mitteilte, „er sei der neue Leiter der Fachschulabteilung. Kurz vor Ostern 1934 eröffnete er mir, daß ich das Ministerium zu verlassen habe und mit der Leitung der Mädchenhandelsschule II in Karlsruhe beauftragt sei. Auf meine Frage, warum ich trotz meiner Verdienste um die auch damals beibehaltene Organisation des badischen Fachschulwesens aus meinem Amt entfernt werde, erklärte mir Herr Federle: ‚Weil Sie ein Schwarzer sind‘“.
Die nach Düsseldorf übermittelte Erklärung Bohns wurde dort offenkundig als starkes Indiz dafür gewertet, dass Federles Aufstieg 1933/34 nicht in fachlicher Qualifikation, sondern in politischer Protektion begründet gewesen war, denn im April 1956 teilte das nordrhein-westfälische Innenministerium dem Karlsruher Oberschulamt mit, dass die Ernennungen „des Herrn Federle zum Oberregierungsrat und Ministerialrat unberücksichtigt bleiben“. Federles Widerspruch gegen die Nichtanerkennung seiner Beförderung zum Ministerialrat führte also dazu, dass er auch die Anerkennung der Beförderung zum Oberregierungsrat, die er zwischenzeitlich erlangt hatte, wieder verlor. Damit indes war das Prüfungsverfahren noch immer nicht beendet, da nach einem Umzug Federles aus dem Sauerland in den Schwarzwald die Feststellungsbefugnis gemäß Paragraph 7 des „131er-Gesetzes“ auf das baden-württembergische Kultusministerium überging.
Dieses stellte im Juni 1958 – seit Federles erster Bitte um Wiederaufnahme in den badischen Gewerbeschuldienst waren also fast neun Jahre vergangen – in der abschließenden Entscheidung fest, dass die Beförderungen zum Oberregierungsrat 1933 und zum Ministerialrat 1934 „wegen enger Verbindung zum Nationalsozialismus vorgenommen worden“ seien, folglich bei der Festsetzung des Ruhegehalts unberücksichtigt bleiben müssten. Allerdings kam man Federle, erneut in der Konstruktion eines fiktiven beruflichen Werdegangs, ein Stück weit entgegen: Bei der Prüfung der Frage, ob Federle bei „regelmäßig verlaufender Dienstlaufbahn“ eine der wenigen Schulleiterstellen an den großen Gewerbeschulen Badens, die ähnlich hoch eingestuft waren wie Oberregierungsratsstellen, hätte erreichen können, kam man zu dem Ergebnis, dass diese Möglichkeit als „sehr gering bezeichnet“ werden müsse. Allerdings glaubte das Kultusministerium „nicht mit genügender Sicherheit annehmen zu können, daß Federle die Oberregierungsratsgruppe ohne die Machtergreifung durch den Nationalsozialismus […] nicht mehr erreicht hätte“. Diese Option, so unwahrscheinlich sie auch war, hätte nach Mutmaßung des Kultusministeriums frühestens zum 1. Januar 1943 eintreten können, da Federle zunächst eine Studienratsstelle, die er vor der nationalsozialistischen Machtübernahme nicht innehatte, hätte erlangen müssen – hierfür wurde anhand von Vergleichsfällen das Jahr 1938 angenommen.
Die in seinen Spitzfindigkeiten nicht immer leicht nachzuvollziehende Auseinandersetzung um die Versorgungsansprüche Federles endete also mit einem Kompromiss: Einerseits behauptete das baden-württembergische Kultusministerium seine Grundposition, dass Federles beruflicher Aufstieg 1933/34 nur seinen politischen Meriten zu verdanken war; andererseits ermöglichte es eine vergleichsweise großzügige Regelung seiner Versorgungsansprüche, die einem ehemaligen Nationalsozialisten, der möglicherweise nicht nur der vergangenen Blüte der eigenen Berufsbiographie nachtrauerte, die Integration in die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft erleichtert haben könnte.
Quelle: GLA 235-1 Nr. 9860
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Ich habe soeben mit großer Spannung Ihre neuesten Recherchen gelesen, chapeau! Was sich das „deutsche Berufsbeamtentum“ alles erlaubt (hat), raubt einem den Atem.
Gerne hätte ich im letzten Jahr meine eigenen „Forschungen“ zum Thema „Die Mannheimer Gewerbeschulen 1933-45“ als ehemalige Gewerbeschullehrerin und -leiterin fortgesetzt, doch musste ich mich im Herbst einer (erfolgreichen) Magen-OP unterziehen. Doch jetzt bin ich wieder hergestellt und gehe ans Werk.