„Schule der nationalsozialistischen Weltanschauung“: Die Auseinandersetzung über den Bezug der NS-Presse durch Beamte
Die Beziehungen und Machtverhältnisse zwischen den Gauleitungen der NSDAP und den Landesministerialverwaltungen bilden eines der Kernthemen des Projekts. Der stetige Kampf um die Oberhoheit im nationalsozialistischen Staat, der diese Beziehungen kennzeichnete, manifestierte sich nicht zuletzt in zahlreichen symbolischen Fragen wie beispielsweise dem Besuch von Parteiveranstaltungen durch Ministerialbeamte oder dem Bezug der Parteipresse. Gerade dem Bezug der NS-Presse maß die NSDAP eine hohe Bedeutung bei, und zwar aus verschiedenen Gründen. Zum einen waren die Versuche, die Beamten zum Abonnement nationalsozialistischer Kampfblätter zu drängen, als Machtdemonstration der Partei gegenüber der Beamtenschaft und dem Staat gedacht, den sie in den Beamten verkörpert sahen. Zum anderen spiegelte sich darin das grundsätzliche Misstrauen der NSDAP gegenüber der ideologischen Treue der Beamtenschaft wider. Vielen „Alten Kämpfern“ und führenden Parteifunktionären, zu denen auch Gauleiter Robert Wagner gehörte, galten die Verwaltungsbeamten als zu passiv, zu regelfixiert und zu sehr von den Werten des Weimarer „Systems“ beeinflusst. Ihre Loyalität gegenüber den neuen nationalsozialistischen Herrschaftsträgern, die sie im Zuge der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 an den Tag gelegt hatten, wurde deshalb in vielen Fällen als rein äußerlich angesehen.
Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde die Frage der Lektüre und des Abonnements nationalsozialistischer Zeitungen von den Parteistellen immer wieder zu einer wichtigen Angelegenheit stilisiert: Sie stellte für die NSDAP einen zentralen Lackmus-Test für die ideologische Zuverlässigkeit der Beamten dar. Es war daher kein Zufall, wenn die Frage des Abonnements nationalsozialistischer Zeitungen ein wichtiges Kriterium bei der „Politischen Beurteilung“ bildete, die die NSDAP im Falle anstehender Beförderungen von Beamten abzugeben hatte. Darüber hinaus erhoffte sich die Gauleitung von der regelmäßigen Lektüre der NS-Presse eine allmähliche ideologische Umorientierung der Beamten hin zu einer auch innerlichen Identifikation mit den programmatischen Zielen der Partei.
Indessen bissen die Nationalsozialisten mit ihren Versuchen, die Beamtenschaft zur Lektüre nationalsozialistischer Blätter zu verpflichten, immer wieder auf Granit. Dies zeigt ein weitgehend erfolgloser Vorstoß der badischen Gauleitung Ende des Jahres 1934. Auslöser des Vorstoßes waren Informationen der nationalsozialistischen Verlage an die Gauleitung, wonach im Jahr 1934 der Bezug der NS-Presse durch Beamte stark abgenommen hatte. Dies nährte bei den Parteiaktivisten den Verdacht, dass der vermehrte Bezug von Parteizeitungen im Jahre 1933 lediglich ein taktisches Manöver vieler Beamter gewesen war, um Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit gegenüber dem neuen Staat zu zerstreuen, ohne dass eine innerliche Hinwendung zur nationalsozialistischen „Weltanschauung“ erfolgt war. Wagner nahm diese Nachricht deshalb umgehend zum Anlass, sich am 3. Dezember 1934 in einem Brief an Ministerpräsident Walter Köhler (NSDAP) zu wenden. Darin bezeichnete er den Rückgang der Abonnements als „eine Gefahr für die Beamten selbst. Es ist die Aufgabe der Partei und der verantwortlichen Männer in der Staatsverwaltung, eine weltanschaulich einheitlich denkende Beamtenschaft heranzubilden. Diese Aufgabe kann nur erfüllt werden, wenn die Beamtenschaft sich laufend durch die Parteipresse unterrichten lässt. Die Parteipresse kann hier gewissermaßen die Aufgabe einer Schule übernehmen.“ Wagner bat Köhler daher, „durch entsprechende Anweisungen an die Dienstvorstände (= die Landesminister, R.N.) die Beamtenschaft anzuhalten, die parteiamtliche nationalsozialistische Presse zu lesen und zu abonnieren“. Dabei solle zwar keinerlei Zwang auf die Beamtenschaft ausgeübt werden. Doch solle jedem Beamten klargemacht werden, „welche Gefahren er eingeht, wenn er die nichtparteiamtliche Presse liest und sich dauernd durch sie informieren und beeinflussen lässt.“
Köhler leistete Wagners Bitte wenig später Folge und sandte am 7. Januar 1935 über die Staatskanzlei ein Rundschreiben an die Minister und den Rechnungshof, in dem er einerseits betonte, dass sich weite Kreise der Beamtenschaft in „erfreulicher Weise in die Weltanschauung des Nationalsozialismus eingelebt“ hätten. Andererseits bleibe aber, so Köhler, „auf dem Gebiete der Heranbringung des nationalsozialistischen Gedankenguts an die Beamtenschaft immer noch manches zu tun“. Aus diesem Grunde halte er es für besonders wichtig, dass sie sich „mit der Ideenwelt des Nationalsozialismus durch die Lektüre der nationalsozialistischen Literatur und vor allem der nationalsozialistischen Tageszeitungen vertraut“ mache. Er bitte die Minister deshalb, den Beamten und Angestellten ihres Dienstbereichs von seinem Anliegen Kenntnis zu geben.
Trug Köhler Wagners Ansinnen zunächst noch mit, kamen ihm aber offenbar Skrupel, als das Amt für Beamte der NSDAP-Gauleitung Anfang Januar 1935 damit begann, Fragebogen an öffentliche Verwaltungen zu schicken, auf denen jeder einzelne Beamte angeben musste, ob er nationalsozialistische Blätter abonniert hatte. Hinter der Aktion steckte vermutlich Wagner, der den Gauamtsleiter des Amts für Beamte, Leopold Mauch, am 3. Dezember 1934 angewiesen hatte, für eine „nachhaltige Werbung für die parteiamtliche Presse unter der Beamtenschaft besorgt zu sein“. Wagners Behauptung, keinen Zwang auf die Beamtenschaft ausüben zu wollen, war also reine Rhetorik; in Wirklichkeit sollten die Beamten durch die Partei zumindest stark unter Druck gesetzt werden. Hierzu passte, dass das „Amt für Volkswohlfahrt“ der badischen Gauleitung die staatlichen Behörden zur gleichen Zeit massiv damit behelligte, eine größere Anzahl der nationalsozialistischen Zeitschrift „Kampf der Gefahr“ zu beziehen.
Damit hatte die Gauleitung den Bogen überspannt. Auf einer Sitzung führender Beamter aller Ministerien am 11. Februar 1935 in der badischen Staatskanzlei, die von Ministerialdirektor Müller-Trefzer in Anwesenheit von Vertretern der in Karlsruhe ansässigen Landesdienststellen der Reichsverwaltung geleitet wurde, wurden nun erhebliche Bedenken gegen die Aktionen der Gauämter geltend gemacht. Sowohl Köhler als auch Müller-Trefzer und Ministerialrat Roderich Straub vom badischen Innenministerium formulierten grundsätzliche Einwände gegen die Fragebogenaktion des Amts für Beamte: Es sei rechtlich problematisch, wenn staatliche Beamte von parteiamtlichen Stellen zur Beantwortung solcher Fragen gezwungen würden; eine Rechtsverpflichtung der Beamten hierzu könne es nicht geben. Dabei versicherten sie sich per Telefonat der Rückendeckung des Reichsinnenministeriums, das eine solche Pflicht zumindest für Nichtparteimitglieder ebenfalls ablehnte. Auf der gleichen Sitzung verwahrten sich die leitenden Beamten auch gegen jeglichen Versuch der NSDAP, den Bezug nichtparteiamtlicher Zeitungen zu unterbinden. Welche Zeitung eine Behörde beziehe, sei, so Müller-Trefzer am Schluss der Sitzung „unter allgemeiner Zustimmung“ der Teilnehmer, wie bei der Auswahl der Akten zu bewerten: „Dritte könnten hierauf keinen Einfluss nehmen“.
Die Gauleitung musste daraufhin einen Rückzieher machen. Wagner höchstselbst war es, der angesichts des Gegenwindes aus der Ministerialverwaltung die Verteilung der Fragebögen nun missbilligte. Mauch blieb nichts anderes übrig, als vorerst zum Rückzug zu blasen: In einem Telefonat mit Müller-Trefzer sicherte er zu, die Verteilung der Fragebögen unverzüglich einzustellen. Ohnehin sei die Aktion völlig missverstanden worden, heuchelte er nun, denn es sei nie seine Absicht gewesen, irgendwelchen Druck auf die Beamten auszuüben.
Wie dieser Vorgang exemplarisch zeigt, hatte die Gauleitung die Beharrungskräfte unter der Ministerialbeamtenschaft unterschätzt. Ähnlich wie in Fragen der Personalpolitik war sie in der Debatte um den Bezug nationalsozialistischer Zeitungen nicht bereit, allzu weitreichende Eingriffe der Partei in die Entscheidungsautonomie der Ministerialverwaltung hinzunehmen. Eine Kritik am nationalsozialistischen Regime und seiner Ideologie ist hierin deshalb nicht zu erblicken. Doch sollte der Staat auch unter der nationalsozialistischen Diktatur gegenüber der Politik gewisse Reservatsphären bewahren. Dies änderte freilich nichts daran, dass die allermeisten Beamten bis auf wenige Ausnahmen loyale Staatsdiener blieben, die die Gewaltpolitik des nationalsozialistischen Regimes zuverlässig umsetzten und dem Führer oftmals sogar „entgegenarbeiteten“.
Quelle: GLA 233 27965.
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