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Vom Fundus zum Kubus II – Seit drei Jahren mit jungen Menschen Akten sichten und sichtbar machen

Foto: Felix Grünschloss | Klicken zum Vergrößern

Einen ersten Bericht zum Projekt finden Sie hier.

Als im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft „NS in Karlsruhe“ 2014 ein schulübergreifender Seminarkurs entstand, war den Beteiligten nicht wirklich bewusst, was für eine einmalige Verbindung und Möglichkeit damit geschaffen wurde, lokale NS-Geschichte gemeinsam mit SchülerInnen der Oberstufe des Bismarck-, Goethe- und Helmholtz-Gymnasiums, näher kennenzulernen, aufzuarbeiten und sie mithilfe einer künstlerischen Arbeit informativ und zugleich emotional in unsere Zeit zu übertragen.

Im vergangenen Schuljahr waren erneut SchülerInnen dreier Karlsruher Gymnasien aufgefordert, im Rahmen des Seminarkurses „NS in Karlsruhe“ einen kritischen Blick auf mehr als 70 Jahre zurückliegende Zeit zu wagen.  Gleich zwei Projekte stützten sich dabei auf die Auswertung von Zeitzeugengesprächen, mit Menschen, die einen entscheidenden Teil ihrer Kindheit und Schulzeit unter den Nationalsozialisten verbracht haben. Nicht zuletzt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in dem, was dem Einzelnen im Gedächtnis geblieben war, sensibilisierten für die Herausforderung, Geschichte zu rekonstruieren. Andere KursteilnehmerInnen arbeiteten sich durch hunderte Seiten Archivmaterial und erwarben dabei einen Eindruck von einer im hohen Maße bürokratisch unterstützten, alle Bereiche des öffentlichen Lebens durchdringenden Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten, auch und gerade im Gau Baden und in dessen Hauptstadt Karlsruhe. Anhand von Verordnungen, Erlassen, amtlichen wie privaten Schreiben aus den Jahren 1933 bis 1945 konnten sie nachvollziehen, wie Schule oder Theater, Stadtplanung oder universitäre Forschung kontrolliert und von den Nationalsozialisten für ihre Zwecke und Ziele in Dienst genommen wurden.

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Dabei konzentrierten sie sich immer wieder auf den Einzelnen, der zum Beispiel aufgrund seiner oft schon vor 1933 erworbenen politischen Überzeugung den Nationalsozialisten zuarbeitet – so der Journalist Dr. Otto Gillen – oder sich wie Gustav Ritz und Friedrich Dietz gegen diese wendete. Wie brisant ideologisch aufgeladene Positionen aus dieser Zeit bis heute sind, verdeutlicht eindrucksvoll eine Arbeit, die sich mit der Eugenik in der NS-Zeit, aber auch mit deren Vorgeschichte und Nachwirkungen beschäftigt. Ohnehin fallt auf, dass die SchülerInnen sehr schnell bemerkten, dass die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 weder aus dem Nichts kamen noch sich in Nichts auflösten und dieser Erkenntnis in ihren Arbeiten Tribut zollten, indem sie sowohl auf Entwicklungen vor 1933 eingingen als auch Entwicklungen nach 1945, insbesondere die Entnazifizierungs- und die Wiedergutmachungsverfahren mit berücksichtigten.

Die Herangehensweise an wissenschaftliches Arbeiten und die Themenfindung wurde in zwei Aspekten modifiziert: Anhand eines Aktenfundes aus dem vorangegangenen Schuljahr entwickelten die SchülerInnen Fragen, auf die sie sowohl im Generallandesarchiv als auch an der Universität Heidelberg bei Prof. Dr. Frank Engehausen und seinen MitarbeiterInnen Methoden vermittelt bekamen, wie das jeweilige Fachgebiet mit den Quellen umgeht. Bedingt durch die Themenwahl entstanden zudem neue Kooperationen zu außerschulischen Partnern. So wurden die SchülerInnen zur Aufführung des Dokumentartheaters „Stolpersteine“ in das Badische Staatstheater eingeladen. Für das Schuljahr 2015/16 wurde ein Antrag an das Gedenkstättenreferat der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg gestellt, der positiv beschieden wurde und der es erneut möglich machte, mit Kunstvermittlern des ZKM die Ideen der SchülerInnen künstlerisch umsetzen. Der Kubus, der im vergangenen Projekt entstanden war, veränderte sich. Das Material war noch dasselbe, doch er wurde anders zusammengefügt und mit neuen Inhalten gefüllt. Er ist ein lebendiger Gedenkort geworden, in dem Kontinuitäten sichtbar sind, und den trotzdem jede Gruppe auf ihre Weise mit Substanz und Haltung füllen kann.

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Die künstlerische Forschung erlaubt ein persönliches Selbsterlebnis, das den SchülerInnen – wie im vorliegenden Kontext deutlich wurde – helfen kann, sich für die künstlerische Auseinandersetzung mit Geschichte zu begeistern. Die InitiatorInnen des Projektes „NS in Karlsruhe“ hatten im Zeitplan drei ZKM-Workshops an jeweils zwei Tagen zu den Themen Visuals, Sound und Installation vorgesehen. Entstehen sollten visuelle Arbeiten, also Zeichnungen, Fotografien, Objekte und Videos, sowie akustische Arbeiten, die anschließend in Form einer Ausstellung oder Installation präsentiert werden sollten. Doch es blieb keineswegs bei diesen drei kleinen Workshops. Und am Ende ist auch nicht irgendeine Schulkunstausstellung im Schulgebäude entstanden, sondern ein mobiles Museum, ein POP-UP-AUSSTELLUNGSRAUM, der auch erneut bei der KAMUNA 2016 zu sehen war.

„Nie wieder!“ lautete das programmatische Motto des Stadtrundganges in den 1980er-Jahren – und dieser Leitspruch gilt genauso noch heute. Frieden und Demokratie sind keine Selbstverständlichkeiten. Sie bleiben nicht erhalten ohne Menschen, die sich aktiv dafür einsetzen und diese Werte auch verteidigen. Doch über das kategorische „Nie wieder!“ hinaus ist es wichtig zu wissen, was man verteidigt und wodurch Demokratie und Frieden bedroht sind. Und darin liegt eine Stärke dieses Projekts: Es startet nicht mit Gewissheiten, die es zu vermitteln gilt, sondern mit Fragen, die SchülerInnen an die Vergangenheit richten. Sie suchen und finden ein Thema, das sie interessiert. Die Forderung einer auf Neugierde beruhenden, aber auch kritischen Medienkompetenz sowie die Verknüpfung von analogem und digitalem künstlerischen Arbeiten steht hier im Vordergrund. Sie nähern sich forschend, oft auch mithilfe von bisher unerschlossenen Quellen. Sie lernen, genau hinzusehen und das „Nie wieder!“ zu ergänzen: um ein ganz individuell formuliertes WAS und WARUM.

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In dieser Zeit des Wandels haben wir gelernt, dass es möglich ist, Geschichte ein neues Gesicht zu geben, ohne das alte zu verlieren. Und wir nutzen seitdem unseren Bildungsauftrag, um (unsere) Geschichte an die kommenden Generationen weiterzugeben; in einer (Bild-)Sprache, die es zu der Zeit, als die Geschichte Gegenwart war, noch nicht gegeben hat. – Wie die Zukunft aussieht, kann man nur erahnen, ihre Gestaltung können wir jedoch aktiv angehen.

Mittlerweile wurde an den beteiligten Gymnasien der zweite schulübergreifende Seminarkurs erfolgreich abgeschlossen und der Kurs ist im Gange. Die Stadt soll Erinnerungsort werden. Der Stadtrundgang und die damit verbundenen Projekte sind Teil der Erinnerungskultur Karlsruhes und werden als solche dargestellt.

Der neugestaltete Stadtrundgang wird im Rahmen der Heimattage 2017 der Öffentlichkeit vorgestellt.

 

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