„Auf ein Mindestmaass herabgedrückt“: Die Protokolle der Sitzungen des badischen Staatsministeriums von 1933 bis 1936
Zu den wiederkehrenden Erfahrungen der Archivarbeit gehört, dass sich die Inaugenscheinnahme von Akten, die nach ihrer Beschreibung in den Findmitteln höchst attraktiv erscheinen, mitunter als ernüchternd erweist. Als ein Musterbeispiel solcher enttäuschter Erwartungen können die im Generallandesarchiv Karlsruhe verwahrten „Niederschriften über die Sitzungen des Staatsministeriums“ gelten, die keineswegs, wie in projektseitigem Entdeckereifer zunächst erhofft, eine Schlüsselquelle zur Geschichte der badischen Landesministerien im „Dritten Reich“ darstellen, sondern in ihrer geringen Frequenz und ihrem zumeist spärlichem Umfang nur illustrieren, dass kontroverse Diskussionen und deren Dokumentation eben nicht zum Wesen nationalsozialistischer Herrschaft gehörten.
Die Beschaffenheit der Protokolle ist geeignet zu stützen, was der ressortlose Staatsminister Paul Schmitthenner in seinen Lebenserinnerungen über die Arbeitsweise der badischen Regierung festgehalten hat: Die „politische Arbeit im Kabinett oder im Ministerrat“ sei „auf ein Mindestmaass herabgedrückt“ worden. „Anfangs und noch einige Zeit lang fanden regelmässige Sitzungen statt um schliesslich einzugehen. Doch wurde hier kaum je die Gesamtpolitik in ihren grundsätzlichen Zielen und praktischen Umbaumassnahmen besprochen oder gar diskutiert. Vielmehr erstatteten die 4 Ressortminister auf Geheiss Wagners diesem, nicht dem Kabinett, kurze Berichte aus ihrem Geschäftsbereich. Es wurde dabei klar, dass die Berichte stets die Durchführung bestimmter Maassnahmen betrafen, die offenbar der einzelne Minister mit dem Reichsstatthalter besprochen hatte. Meist hielt dann Wagner eine längere Ansprache, oft Einzelheiten aber auch manchmal allgemeinere Entwicklungen berührend. Er redete wie ein Oberst zu seinem Offizierskorps, durchaus ex cathedra, weder gewärtig noch gewillt, Einwändungen hinzunehmen“.
Das Konvolut der „Niederschriften über die Sitzungen des Staatsministeriums“ umfasst 164 Blatt, wobei der Umfang der einzelnen Protokolle stark variiert. Das mit 16 Seiten ausführlichste Protokoll stammt von der Sitzung vom 27. März 1933, während mehrere Protokolle nur eine oder zwei Seiten umfassen. In seiner Dürftigkeit sticht das Protokoll der Sitzung vom 26. April 1934 hervor; neben den Teilnehmern und der Sitzungsdauer („nachmittags 3 ½ Uhr“ bis „520 Uhr“) hält es lediglich fest: „Die Gegenstände der Tagesordnung“ – dies waren einer anhängenden Notiz zufolge „Konkordatsfragen“ und die „Hitlerjugend“ – „wurden besprochen“. Sowohl der Frequenz als auch dem Umfang nach sind die Protokolle aus dem Jahr 1933 am ergiebigsten; auch finden sich dort entgegen Schmitthenners rückschauender Darstellung Hinweise darauf, dass im Staatsministerium durchaus über politische Grundsatzfragen gesprochen worden ist, etwa über die Kriterien bei der Ausführung des Gesetzes über die „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ oder darüber, gegen welche Personengruppen das Repressionsinstrument der „Schutzhaft“ angewendet werden sollte. Schmitthenners Mitteilung, dass die Sitzungen des Staatsministeriums allmählich „eingingen“, wird dagegen durch die archivalische Überlieferung bestätigt. Für das Jahr 1936 existieren nur noch fünf Protokolle: vom 30. März, 30. Mai, 3. Juni, 17. Juni und vom 7. Dezember, an dem der einzige Tagesordnungspunkt die Finanzierung des Neubaus eines „Gauhauses“ der NSDAP in Karlsruhe war.
Dass sich trotz des zunächst enttäuschten Entdeckereifers aus den Protokollen der Sitzungen des badischen Staatsministeriums manche für das Forschungsprojekt relevante Information ziehen lässt, sei anhand eines Beispiels verdeutlicht, der Niederschrift der Sitzung vom 8. Juni 1934, bei der sehr heterogene Themen auf der Tagungsordnung standen. Reichsstatthalter Robert Wagner, der an diesem Tag tatsächlich, wie Schmitthenner berichtet, wie ein Oberst zu seinem Offizierskorps gesprochen zu haben scheint, brachte zunächst seine Verärgerung darüber zum Ausdruck, dass etliche nationalsozialistische Parteigenossen meinten, die Verkehrsregeln würden für sie nicht gelten. Wagner legte die „Notwendigkeit einer umfassenden Verkehrsschulung dar“ und „betonte dabei, daß er kein Vorrecht der nationalen Verbände auf besondere Geschwindigkeit anerkennen könne“. Auch der zweite Tagesordnungspunkt bot Unmutsäußerungen des Reichsstatthalters Platz, der ausführte, „daß in der Pflege der staatlichen Baulichkeiten und Parke das alte Regime versagt habe“, und in dieser Frage „eine Wendung zum Besseren“ anmahnte.
Den breitesten Raum nimmt im knappen Protokoll der dritte Tagesordnungspunkt ein, unter dem Wagner einen Monolog über die politischen Pflichten der Beamten hielt. Dieser verdient insofern Beachtung, als die Einschätzung des Anpassungsdrucks, der auf den Beamten lastete, eines der Kernanliegen unseres Forschungsvorhabens berührt, nämlich die Frage, bis zu welchem Grad die Landesministerialbürokratie „nazifiziert“ wurde beziehungsweise sich „nazifiziert“ hat. Die Zusammenfassung von Wagners Ausführungen über die Beamtenpflichten in dem Protokoll deutet auf einen hohen Anpassungsdruck hin, denn der Reichsstatthalter gab die Parole aus, „daß eine Betätigung der Beamtenschaft in den Organisationen, insbesondere denjenigen der nationalen Erhebung im Interesse von Staat und Beamten selbst liege, um auch bei den Beamten die wahre Volksverbundenheit zum Durchbruch zu bringen. Es käme in Frage Teilnahme der Beamten in erster Linie an den politischen Organisationen“, wozu die Ministerien die „Beamten, welche sich hier noch nicht eingereiht hätten“, anhalten sollten. „Natürlich genüge nicht bloß Mitgliedschaft, sondern darüber hinaus müsse es sich der Beamte angelegen sein lassen, sich aktiv … zu betätigen; das würde dann auch den Beamten gegenüber zur völligen Durchsetzung des Gedankens der Volksgemeinschaft führen“.
Während sich die vier Landesminister bis hierin und auch beim folgenden Tagesordnungspunkt, bei dem es um den „Kampf gegen die unerhörte Belastung des ganzen Volkes wie auch insbesondere der Beamtenschaft durch das Überwuchern der Sammeltätigkeit“ ging, ausweislich des Protokolls lediglich als Zuhörer betätigt hatten, nahmen Finanz- und Wirtschaftsminister Walter Köhler und Innenminister Karl Pflaumer zum nächsten Gesprächsgegenstand, der akuten „Futterknappheit“ und einer drohenden „Verschleuderung des Viehstandes“, Stellung. Was sie zu einer weiteren Frage meinten, die der Reichsstatthalter außerhalb der Tagesordnung ansprach, geht aus dem Protokoll nicht hervor – leider, denn auch dieses Thema berührt mit der Fortdauer, Bedrängung und Pflege regionaler Traditionen während der nationalsozialistischen Herrschaft eine der Leitfragen unseres Projekts. Immerhin gibt das Protokoll zu erkennen, dass der badische Gauleiter und Reichsstatthalter den alten Landesfarben keine große Achtung mehr entgegenbrachte. Wagner wünschte nämlich, „daß die staatlichen und gemeindlichen Gebäude nur noch mit der schwarz-weiß-roten Flagge und der Hakenkreuzflagge beflaggt würden (…). Die gelb-rot-gelbe Flagge solle als überholt verschwinden“.
Quelle: GLA 233 24318