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Kontaktzonen zwischen Land und Reich – Zum Potenzial historischer Quellen

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Glückwunschtelegramm an den württembergischen Gauleiter Murr, 3. Februar 1942, Bundesarchiv R43/4055a, Bl. 121

Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers beglückwünschte den inzwischen zum SS-Obergruppenführer beförderten Gauleiter Württembergs, Wilhelm Murr, Anfang Februar 1942 mit den knappen Worten: „Zu Ihrer Beförderung zum SS-Obergruppenführer übermittle ich Ihnen herzliche Glückwünsche. Heil Hitler“. Murr antwortete wenig später „vielmals“ dankend. Ähnliche, stets formal gehaltene, Höflichkeiten tauschte der Reichsminister mit dem Gauleiter zu Geburtstagen aus: Murr zeigte sich im Dezember 1942 über Geburtstagsglückwünsche „sehr erfreut“ und bat, den „aufrichtigen Dank entgegenzunehmen“. Nicht viel anders verhielt sich der Kontakt zum württembergischen Kollegen in Baden, Robert Wagner. Sogar dem Staatssekretär im württembergischen Innenministerium, Karl Waldmann, widmete Lammers im Juni 1942 ein Brieftelegramm zum Geburtstag. Waldmann hingegen dankte nicht nur „herzlich“, sondern wusste private Angelegenheiten zu berichten und einen kurzen Abriss des Jahres zu geben: Die Blinddarmoperation habe den Abschluss eines unangenehmen Jahres bedeutet – eine Kur in Wildbad solle ihm helfen, „den jeden Tag grösser werdenden Anforderungen wieder gewachsen“ zu sein.

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Antwortschreiben Murrs, 17. Februar 1942, Bundesarchiv R43/4055a, Bl. 122

Solchen Kommunikationspraktiken kann man mit einem Schmunzeln begegnen. Doch welche Bedeutung hat diese Art von Quellen für Forschungskontexte? Können profan anmutende Glückwunschschreiben – mehr oder weniger ein gepflogener und alltäglicher Austausch von Höflichkeiten in routinierter Sprachpraxis – irgendeine Auskunft geben, gar wissenschaftlicher Forschung von Nutzen sein und Erkenntnisse liefern?

Das Forschungsprojekt zur „Geschichte der Landesministerien im Nationalsozialismus“ geht neben der Ergründung der jeweiligen Institutionshistorie auch der Frage nach, wie sich die Beziehungen der Institutions- und Personalebene zwischen Land und Reich charakterisieren lassen. Mit den Prozessen der „Verreichlichung“ und dem zunehmenden Bestreben, die NS-Diktatur auch auf institutioneller Ebene in straffer Organisation von Berlin aus zu regieren, gewann nicht zuletzt der personelle Kontakt und Zugang zur Berliner Bürokratie der Reichsministerien nicht zu unterschätzende Bedeutung, wollte man lokale, regionale oder persönliche Interessen ins Gewicht bringen. Dies galt für die Landesministerien und deren Akteure ebenso wie für die unmittelbaren  Reichsvertreter, etwa Gauleiter und Reichsstatthalter. Obwohl die individuellen Handlungsspielräume und Befugnisse regionaler Partei- und Staatsmänner durchaus sehr groß sein konnten, war die Verfolgung eigener Interessen, die beispielsweise Belange des Reiches betrafen, nur über den Zugang zum „Führer“ und dessen Zustimmung – etwa mittels Führererlass – erfolgsversprechend. Bis auf sogenannte „Sonderkommissare“ und einen sehr kleinen Kreis von altgedienten Vertrauensleuten der NS-Führung aus Partei und Staat, die Hitler unmittelbar verpflichtet waren und dadurch Zugang zum „Führer“ hatten, war für alle anderen vor allem staatlichen Akteure des Regimes der Zugang nur über die Reichskanzlei und dessen Chef und Reichsminister Hans Heinrich Lammers möglich. Lammers´ Reichskanzlei war für viele Jahre eine „Clearingstelle“ (Mommsen) aller staatlichen Belange und damit eine der zentralen Institutionen des NS-Apparates: Ob Terminwünsche bei Hitler, die Regulierung der staatlichen Regierungsgeschäfte, wie die formale Prüfung von eingebrachten Gesetzesinitiativen, oder gar ressortabhängige Aufgaben, wie etwa die Besetzung hoher Beamtenstellen – alles verwaltete der Chef der Reichskanzlei. Der Jurist wurde von Hitler aufgrund seiner Fähigkeiten der Verwaltungspraxis geschätzt und war für viele Stellen ein sehr wichtiger Ansprechpartner in der Berliner Ministerialbürokratie. Während der zweiten Kriegshälfte gelang es Martin Bormann, dem Leiter der NSDAP-Parteikanzlei, zunehmend den Zugang zu Hitler zu kontrollieren und Lammers damit ins Abseits zu drängen. Insofern gehörten unter anderem die Leiter dieser Kanzleien zu dem Personenkreis, dessen persönliche Fürsprache oder gar Freundschaft enorme Auswirkungen auf die eigene Amtsgewalt haben konnte.

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Glückwunsch-Schreiben von Lammers an den württembergischen Staatssekretär Waldmann, 20. Juni 1942, Bundesarchiv R43/4055a, Bl. 267

Doch wo lassen sich die Kontaktzonen der einzelnen Ressortmitarbeiter, seien es die der Landesministerien oder der Reichsinstitutionen, aufspüren und wie können dadurch Erkenntnisse gewonnen werden? Hauptsächlich konsultiert die historische Forschung Verwaltungsakten der Ministerien und Personalakten (wie sie bereits vorgestellt wurden), die Einblicke in die Beziehungen beispielsweise zwischen Akteuren der ministeriellen Landes- und Reichsebene zu geben versprechen. Nicht überall bilden sich aber persönliche Kontakte ab, besonders der informelle, private und mündliche Austausch, der sich nicht vordergründig in Akten niederschlägt, ist mitunter gar nicht oder nur schwer zu fassen. Auf den ersten Blick weitaus unbedeutendere Aktenbestände können ergänzende Auskünfte darüber geben, wie sich vor allem Kommunikationsprozesse zwischen den staatlichen Akteuren gestalteten; wer mit wem wie korrespondierte und wie sich diese Interaktion – etwa in Sprache, Umfang und Inhalt – niederschlug. In den persönlichen Beständen des Reichministers und Chefs der Reichskanzlei befinden sich Vorgänge, die u.a. Korrespondenzen zwischen dem Minister und staatlichen Beamten und hochrangigen Parteimitgliedern beinhalten. Die eingangs zitierten Korrespondenzen zu Jubiläen, Geburtstagen, Einladungen zu Staatsakten oder beruflichen Beförderungen haben zumeist einen dienstlichen Charakter und sind nicht selten in sich stark gleichenden Sprachmustern verfasst. Diese Form der Korrespondenz gehörte zweifellos zum dienstlichen Alltag, und dem wurde wohl auch von den Akteuren kaum Aufmerksamkeit geschenkt, war es doch politische Routine, dem Kollegen zu gratulieren.

Waldmanns ausführliche Antwort auf Lammers´ Glückwunschtelegramm erfolgt am selben Tag, 20 Juni 1942, Bundesarchiv R43/4055a, Bl. 268

Waldmanns ausführliche Antwort auf Lammers´ Glückwunschtelegramm erfolgt am selben Tag, 20 Juni 1942, Bundesarchiv R43/4055a, Bl. 268

Dennoch können diese Korrespondenzen auf ihr Potenzial hin für die historische Forschung untersucht werden: Allein die Beobachtung, wer überhaupt angeschrieben wird, lässt Schlüsse darüber zu, wer den Akteuren in der alltäglichen Regierungspraxis gegenwärtig war. Hinzu kommen Kriterien wie Sprachformeln – etwa persönliche Ansprache oder formale Anrede –, die Länge des Schreibens, der Inhalt oder schlicht die formale Gestaltung: Treten die Schreiber beispielsweise in Form einer persönlichen Unterschrift auf oder finden sich nur Kürzel? Wird überhaupt dankend geantwortet und eine Korrespondenz aufrechterhalten, werden gar weitere Briefe ausgetauscht und private Inhalte mitgeteilt? Finden sich womöglich  Beziehungen, die im Charakter weit über dienstliche Belange hinausgehen? Teilen die Akteure gemeinsame Interessen oder soziale Erfahrungsräume? Nicht jeder Gauleiter erhielt von Lammers Glückwunschtelegramme. Einige Reichsminister bekamen durchaus kostspielige Geschenke, anderen wurde gar nicht gratuliert. Dem gegenüber existieren umfangreichere Korrespondenzen mit Amtsträgern, die weitaus privater, sprachlich herzlicher und umfangreicher formuliert sind. Dass Lammers zu den Gauleitern Murr oder Wagner intensiver als üblich dienstliche oder gar private Kontakte unterhielt, ist nirgends zu erkennen – auch die Telegramme sagen darüber nichts aus. Andere Akteure des Regimes jedoch unterhielten intensivere Kontakte zum Chef der Reichskanzlei – was sich mitunter erst deutlich in diesen Beständen zeigt – und konnten daraus persönliche oder dienstliche Vorteile ziehen. Dass einem württembergischen Staatssekretär von einem Reichsminister gratuliert wird, ist erst einmal beachtlich. Dies erscheint allerdings vor dem Hintergrund weniger verwunderlich, dass Lammers und Waldmann viele Jahre über den „Reichsverband der deutschen Verwaltungsakademien“ Kontakt hatten und zudem beide im Regime Verwaltungsfachmänner per excellence waren.

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Einladung des badischen Landesforstmeisters Hug für die Auerhahnjagd im Frühjahr 1941, Bundesarchiv R43/4033, Bl. 238

Ganz ähnlich verhält es sich mit persönlichen Einladungen zu Festveranstaltungen oder privaten Vergnügungen, etwa zur gemeinsamen Ausübung einer Freizeitbeschäftigung. Hans Heinrich Lammers war passionierter Jäger und investierte in diese Beschäftigung viel Zeit und finanzielle Ressourcen. Ohnehin war es in der NS-Führung nicht unüblich, gemeinsam auf extra dafür eingerichteten Anwesen der Jagd zu frönen. Der badische Landesforstmeister Hug lädt Lammers mehrmals im Frühjahr zur Auerhahnjagd in den Schwarzwald ein. Unter offiziellem Anschreiben des Finanz- und Wirtschaftsministers – Forstabteilung wird freundschaftlich mit einem „Weidmanns Heil und Heil Hitler“ korrespondiert. Auch Jagdkontakte zum Bürgermeister aus Baden-Baden, Hans Schwedhelm, offenbaren, dass sich der Bürgermeister und der Reichsminister in der Schorfheide, in der Lammers ein großes Anwesen unterhielt, gemeinsam zur Jagd verabredeten.

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Ausführliche Antwort Lammers´ auf die Einladung zur Jagd, 15. April 1941, Bundesarchiv R43/4033, Bl. 239

Die detaillierten Planungen und die herzlich und freundschaftlich formulierten Korrespondenzen zeigen, wie die Akteure des NS-Regimes Kontakte und Verbindungen aufbauten, die in den Verwaltungsakten der Ministerien selbst nicht immer sichtbar werden – auch wenn Lammers aufgrund dienstlicher Inanspruchnahme nicht selten im letzten Moment eine Absage erteilte. Dass derartige Ereignisse oftmals mit dienstlichen Beratungen verbunden wurden, zeigen detailliert geplante Tagesabläufe mit thematischen Besprechungsterminen. Der damit verbundene soziale Kontakt zwischen den Akteuren sollte ebenso wenig unterschätzt werden wie damit vorhandene Optionen der persönlichen Besprechungen für diverse besondere Anliegen. Einen Reichsminister mit großen Handlungsspielräumen und dem Zugang zur Machtelite des Reiches in ungezwungener Atmosphäre sprechen zu können, war keinesfalls regelmäßig möglich.
Freilich bleibt neben solider Quellenkritik darauf zu achten, dass sich die argumentative Tragkraft derartiger Quellen als sehr begrenzt darstellt und große Sensibilität sowie Vorsicht geboten erscheinen, um den interpretativen Rahmen nicht zu überstrapazieren. Aber auch wenn sich an diesen kleinen Beispielen keine generellen Aussagen verfestigen lassen: Eine Beachtung und Auswertung solcher Bestände besitzt zweifellos Potenziale, ein Stück weit dienstliche (und soziale) Netzwerke sichtbar zu machen, vielleicht sogar schwer aufzudeckende Verbindungen offen zu legen, die wiederum Rückschlüsse auf Regierungspraktiken und Entscheidungsvariablen des politischen Alltages zulassen.

Quellen:
Bundesarchiv R43/4033
Bundesarchiv R43/4055a

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