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„Unser bester Landsmann“ – Aus privaten und offiziellen Kondolenzschreiben an Otto Wackers Witwe

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Quelle 1. Mitteilung der Badischen Historischen Kommission | Klicken zum Vergrößern

Der Tod des badischen Kultusministers Otto Wacker am 14. Februar 1940 kam für viele unerwartet, selbst für diejenigen, die wussten, dass er im Winter des Vorjahres, als er noch in Berlin im Reicherziehungsministerium tätig gewesen war, einen Herzinfarkt erlitten hatte. Die Hoffnung, dass er sich davon während eines mehrwöchigen Kuraufenthaltes im Sanatorium Bühlerhöhe erholen würde, war wohl trügerisch gewesen. Der Ausdruck großer Überraschung findet sich daher in all jenen Kondolenzschreiben, die direkt an die Witwe Mercedes Wacker gerichtet waren und mehr als die üblichen Standardsätze enthielten.

Nicht weniger als 91 Kondolenzschreiben, die meisten davon in Form eines Briefes, einzelne auch als Telegramm oder Karte, haben sich im Familienbesitz erhalten. Da Wacker im aktiven Dienst starb, stammt ein größerer Teil der Beileidsschreiben von staatlichen und kommunalen Ämtern, von Schulen und Hochschulen, aber auch von Firmen und von Vereinen, mit denen Wacker in seiner Funktion als Kultusminister in Kontakt gestanden hatte. 37 sind an Wackers Dienststelle adressiert und wurden dort auch abgeheftet, worauf die charakteristische Lochung der Blätter hindeutet. Wenn sie nicht allgemein an das Ministerium des Kultus und Unterrichts adressiert waren, dann wendeten sie sich an Ministerialdirektor Karl Gärtner. Meist sind sie infolgedessen förmlich gehalten. Für uns heute eher ungewöhnlich, wurde in ihnen der Dienststelle kondoliert: „Dem Badischen Ministerium des Kultus und Unterrichts möchten wir zu dem Ableben des Herrn Staatsministers unser herzlichstes Beileid aussprechen“, schrieb beispielsweise die Leitung des Kindergärtnerinnen-Seminars aus Gengenbach.

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Quelle 2. Kondolenzschreiben des Vereins „Die Freunde der Bildenden Kunst“ | Klicken zum Vergrößern

Unter den Schreiben der Stadtoberhäupter (u.a. aus Bruchsal, Rastatt und Singen) fällt dasjenige aus Heidelberg auf, da Oberbürgermeister Carl Neinhaus über die üblichen Floskeln hinaus die Verbundenheit mit dem Verstorbenen begründete: Wacker habe „als Betreuer des badischen Unterrichtswesens stets ein warmes Herz für die Belange der Universität und die schulischen Einrichtungen unserer Stadt“ gehabt. „Sein tiefes Verständnis für die kulturpolitische Stellung Heidelbergs im Reich und insbesondere in der Westmark hat der Stadt über manche in ihrer Finanznot begründeten Schwierigkeiten hinweggeholfen.“

Die meisten Schreiben stammen jedoch aus dem Bereich Kultur und Bildung. Mit mehreren Schreiben ist das Staatstheater Karlsruhe vertreten. Auch Verleger (C.F. Müller, Kunstdruckerei Künstlerbund, Urban, Boltze), die Staatliche Volksbüchereistelle Freiburg, das Karlsruher Lehrinstitut des Reichsverbandes Deutscher Dentisten und verschiedene Hochschuleinrichtungen finden sich. Dass die Schulen, deren oberster Dienstherr Wacker gewesen war, besonders reagierten, versteht sich. Gleiches gilt für die Vereine, in denen Wacker eine Rolle spielte, wie den Freunden der Bildenden Kunst e.V., wo er lange Jahre dem Ehrenvorstand angehört hatte, oder der Badischen Historischen Kommission. Deren Geschäftsführer, Archivdirektor Karl Stenzel, erinnerte an die Verdienste Wackers um die Neubildung der Kommission: Er habe 1935 „ihrer künftigen Arbeit im nationalsozialistischen Reiche klare und großzügige Richtlinien vorgezeichnet“.

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Quelle 3. Kondolenzschreiben des Generalvikars Rösch | Klicken zum Vergrößern

Da Otto Wacker gegenüber den Kirchen einen rigorosen Kurs verfolgte, ist es bemerkenswert, dass auch das Erzbischöfliche Ordinariat in Freiburg, wenn auch in denkbar knappster Form, kondolierte; hinter die von Generalvikar Adolf Rösch benutzte übliche Floskel der „aufrichtigen Teilnahme“ wird man in diesem speziellen Fall wohl ein Fragezeichen setzen dürfen. Ganz anders die Schreiben aus dem Evangelischen Oberkirchenrat. Im ersten ließ die Finanzabteilung des Evangelischen Oberkirchenrates durch Dr. Emil Adolf Doerr, den Stellvertreter des Vorsitzenden, dem Ministerium „ihre herzlichste Teilnahme an dem schweren Verluste“ ausrichten. „Sie wird dem unermüdlichen Kämpfer für Deutschlands Ehre und Freiheit ein bleibendes Andenken bewahren.“ Im zweiten entschuldigte Dr. Doerr seinen Chef, Bürgermeister Dr. Otto Lang, nicht an der Trauerfeier teilnehmen zu können, da er im Dezember 1939 wieder zum Wehrdienst eingezogen worden sei, unterzeichnet mit „Heil Hitler“. Wie in vielen anderen Fällen auch offenbaren die Kondolenzschreiben meistens mehr über ihre Verfasser als über den Verstorbenen. Das gilt sicherlich auch für den Gruß „Heil Hitler“, der von genau 25 Absendern verwendet wurde. In der an die Witwe gerichteten Post ist er die Ausnahme und eher den Amtspersonen vorbehalten.

Hinweise auf mögliche Hintergründe für Wackers frühen Tod finden sich in der Kondolenzpost so gut wie nicht. Zu denjenigen Personen, denen Wackers problematische Position im Reichserziehungsministerium nicht verborgen geblieben war, zählte Heinrich Mohr aus Freiburg. Er hatte Wacker zuletzt im Frühjahr 1939 bei der Verleihung des Hebelpreises an Eduard Reinacher gesehen, wo ihm aufgefallen war, dass Wacker deutlich schlanker, aber auch sehr unruhig geworden sei und sein Herz schon nicht mehr richtig gegangen sei, was Mohr auf „all den Berliner Ärger“ zurückführte. Er habe Wackers „Heimweh nach dem Süden“ mitgefühlt: „So ein helles Bäumlein, gewachsen an der Grenzscheide des alemannischen und fränkischen Stammes, verträgt es nicht gut, nach dem Norden verpflanzt zu werden“, schrieb er an Ministerialdirektor Karl Gärtner.

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Quelle 4. Kondolenzschreiben Heinrich Mohrs | Klicken zum Vergrößern

Unter den 54 an Frau Wacker oder die Familie gerichteten Kondolenzschreiben findet sich durchweg der Hinweis, vom plötzlichen Tod Otto Wackers sehr überrascht worden zu sein. Zu den stereotyp benannten Eigenschaften des Verstorbenen zählte natürlich die Verbundenheit mit der badischen, genauer gesagt, Ortenauer Heimat: Wacker sei „unser bester Landsmann“, „ein aufrechter Sohn des alemannischen Landes“, ein „Urbild alemannischer Lebenskraft und alemannischer Zähigkeit“ gewesen. „Seine Deutschheit, seine Großzügigkeit, seine Heimatliebe und Kameradschaftlichkeit ließen uns ihn immer ein Vorbild sein“, befand ein Freund.

Und ein anderer, Karl Berckmüller, 1933 erster Leiter der Geheimen Staatspolizei in Karlsruhe, ab 1937 Oberbürgermeister von Villingen, erinnerte an die gemeinsame, 1925 einsetzende Zeit der „alten Kämpfer“ sowie an die zusammen mit Robert Wagner, Franz Moraller und anderen Parteigenossen auf der Sohlberghütte (Renchtal, Mittlerer Schwarzwald) verbrachten Abende; der Witwe versicherte er, dass sich ihr Gatte „einen bleibenden, ehrenvollen Namen in der Geschichte des Wiederaufstieges unseres Volkes“ erworben habe.

Auf die gemeinsam verlebten „fröhlichen Jagdtage“ kamen die befreundeten Jäger zu sprechen, darunter Baron Böcklin von Böcklinsau (Rust), Otto von Blanquet (Gaggenau) und Franz Burda (Offenburg).

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Quelle 5. Kondolenzschreiben Karl Berckmüllers, Oberbürgermeister von Villingen | Klicken zum Vergrößern

Die Schulkameraden erinnerten natürlich an die Schulzeit, wie etwa der Offenburger Fabrikant Dr. Wilhelm Bauer: „Immer wieder hatte ich das Glück, mit Ihrem Mann zusammenzutreffen in der Volksschule, im Gymnasium in der gleichen Klasse, auf der Hochschule, in der Partei, bei der Wehrmacht.“

Die Nachricht vom Tode Wackers ging natürlich durch die Presse, stand im „Völkischen Beobachter“ und selbst in den Zeitungen der 1939 von Deutschland besetzten Ostgebiete. So erreichte die Witwe beispielsweise ein privater Brief aus Krakau; aus dieser Stadt kam überdies ein Beileidstelegramm von Hans Frank, dem in Karlsruhe geborenen Generalgouverneur des besetzten Polen. Ohne Absenderangabe blieb naturgemäß die Feldpost, darunter ein Brief von einem Kraftfahrer, möglicherweise einem früheren Chauffeur des Ministers. Anteil nahm natürlich auch der Direktor des Sanatoriums Bühlerhöhe, Chefarzt Dr. Stroomann, der medizinische Auskunft erteilte: „Als Arzt kann man verzweifeln. Solche Herzkrämpfe sind immer lebensgefährlich.“ Der südwestdeutsche Adel war spärlich vertreten; neben einem Telegramm aus Donaueschingen von Prinz Max zu Fürstenberg und seiner Gattin findet sich ein Brieflein aus Freiburg; „Ihre Königliche Hoheit“ Großherzogin Hilda überließ es ihrer Hofdame, in ihrem Namen ihr tiefstes Bedauern auszurichten: „Die Großherzogin wird dem Heimgegangenen, den sie in Badenweiler in Audienz empfing, ein gutes Andenken bewahren.“

Der ebenfalls aus Baden stammende Ministerialrat im Reichserziehungsministerium Siegfried Federle kam in seinem Brief an Mercedes Wacker auf eine gemeinsame abendliche Autofahrt mit seinem späteren Vorgesetzten zu sprechen, bei der Otto Wacker über seinen künftigen Lebensweg philosophiert habe; er, Federle, sei danach überzeugt gewesen, „daß Otto Wacker voller Selbstvertrauen auf eine weitere starke Aufwärtsentwicklung in seinem Lebensweg wartete. […] Eine so selbstsichere, in sich ruhende Persönlichkeit, ausgestattet mit allen Gaben unseres liebenswerten Volkstums am Oberrhein, klug und energisch, aufgeschlossen u. von tiefem und weitem Blick in Wachstum und Geschichte unseres Volkes, gleichzeitig ein alter und verdienter Nationalsozialist, mußte einmal an obersten Stellen für unser Vaterland tätig sein.“ Warum Wacker in seiner neuen Position scheiterte, schreibt Federle nicht.

Angeblich war Wackers Tod auch ein Verlust für die deutsche Wissenschaft. Aus Berlin schrieb Klaus Vogel: „Es wird nicht leicht wieder einen Mann geben, der mit so viel feinem Verständnis, mit so viel frischen u. fruchtbaren Gedanken, mit so viel unwiderstehlicher Energie u. solch völliger Unanfechtbarkeit seiner Person für die Erhaltung u. Förderung der Wissenschaft eintreten konnte wie er. Was hätte er noch alles leisten können, wo er doch noch lange nicht auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung angelangt war!“

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Quelle 6. Kondolenzschreiben an das Badische Ministerium des Kultus und Unterrichts | Klicken zum Vergrößern

Dr. Ernst Heymann, ein Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft schrieb, Wacker habe noch im Sommer in Breslau in voller Frische lebhaften Anteil an den Verhandlungen des Senats genommen und sei eine große Hoffnung der Wissenschaftsverwaltung gewesen; es sei jedoch ein Trost, dass Wacker, „einst vom Weltkrieg verschont, jetzt sein Leben im Kampfe für Führer und Reich durch aufreibende Tätigkeit geopfert hat.“ Ein anderes Senatsmitglied, Dr. Friedrich Schmidt-Ott, dankte ihm für „verständnisvolle Würdigung der deutsch-englischen Belange“ und lobte seine großzügige Förderung der wissenschaftlichen Bedürfnisse. Wacker war Vizepräsident des 1937 gegründeten Reichsforschungsrats und Mitglied des Senats sowie stellvertretender Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gewesen, der Vorläuferin der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Landrat und Familienforscher Dr. Paul Strack aus Lahr war der Meinung, dass die badische Sippenforschung „einen ihrer besten und tüchtigsten Vertreter“ verloren habe; „mit seiner ausgezeichneten Arbeit über die Stammfolge Wacker im 1. Band des Bad. Geschlechterbuchs hat er sich ein bleibendes Denkmal gesetzt.“

Das mit drei Seiten längste und maschinengeschriebene Schriftstück stammt aus der lyrischen Feder von Hermann Eris Busse, dem Freiburger Heimatschriftsteller, der die nationalsozialistische Blut- und Bodenrhetorik intensiv verkörperte. Er erinnerte an Wackers Plan zur Schaffung einer „grundlegenden Arbeit über das Volk und seine Geschichte am Oberrhein“ und an Wackers dichterische Begabung, die ihren Ausdruck offenbar in einem weiteren Fischart-Buch hätte finden sollen: „Es wäre sehr gut geworden, männlich, warmblütig, witzig und charaktervoll aus seiner gesunden Art gewachsen.“ Aber: „Die Fackel ist erloschen in des Knaben Hand, der große Mann am Oberrhein musste dem ewigen Abruf folgen.“ Busse war überzeugt, dass Wacker eine NS-Karriere bevorgestanden hätte: „Und wir glauben auch, dass es der Führer wusste, denn die Männer sind längst auserwählt, die zukünftig an höchste Aufgaben gesetzt werden müssen.“

Über die eingangs erwähnten rund 90 Kondolenzschreiben hat es weitere gegeben, die sich möglicherweise in anderen Aktenbeständen erhalten haben. Telegramme wichtiger Persönlichkeiten wurden auch von der Presse abgedruckt. So veröffentlichte beispielsweise die Ortenauer Rundschau am 17. Februar 1940 unter anderem das nichtssagende Beileidstelegramm Adolf Hitlers an die Witwe Mercedes Wacker; dass Wacker zu den „Auserwählten“ gehörte, lässt sich den Zeilen wahrlich nicht entnehmen.

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