„Die regionale NS-Täterforschung voranbringen…“ – Interview mit Dr. Wolfgang Proske, Herausgeber der Buchreihe „Täter Helfer Trittbrettfahrer“
2016 erscheint der fünfte Band der Reihe „Täter Helfer Trittbrettfahrer“ zur regionalen Täterforschung in Baden-Württemberg. Moritz Hoffmann sprach mit Dr. Wolfgang Proske, dem Initiator des Projekts, über die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit durch ehrenamtliche Autorinnen und Autoren und die Wahrnehmung der nationalsozialistischen Vergangenheit in regionalen Strukturen.
Moritz Hoffmann: Sie haben 2008 das Projekt „Täter Helfer Trittbrettfahrer“ initiiert, das auf nichtinstitutioneller Ebene individuelle Fälle von NS-Belasteten im deutschen Südwesten aufarbeitet. Wie kam es zu diesem Entschluss?
Dr. Wolfgang Proske: Am Anfang steht meine Not als Geschichtslehrer, dass eine regionale NS-Täterforschung vor Ort nicht existiert und dass es Kräfte gibt, die es dabei belassen wollen. Dann folgten erste Frustrationen in lokalen Archiven, wo – nach offensichtlichen „Säuberungen“ – über die NS-Zeit kaum aussagekräftiges Quellenmaterial vorliegt. Danach aber kam es zum erfolgreichen „Blutlecken“ im Staatsarchiv, für die Ostalb insbesondere im Staatsarchiv Ludwigsburg und im Hauptstaatsarchiv Stuttgart.
Moritz Hoffmann: Wie Sie selbst sagen, dient das Projekt dazu, Forschungsdefizite abzubauen. Aus Ihrer Erfahrung heraus, wieso bestehen diese Defizite? Gerade im Gespräch mit Nichthistorikern begegnet man oft dem Vorurteil, die NS-Geschichte sei doch vollkommen aufgearbeitet?
Dr. Wolfgang Proske: Grundsätzlich gilt: Je ländlicher ein Ort oder eine Region ist, desto stärker existiert in NS-Sachen weiterhin das „Große Schweigen“. Forschungseinrichtungen fokussieren offenbar lieber auf prestigeträchtigere und weniger sperrige Forschungsfelder. Der Eindruck, die NS-Geschichte sei „vollkommen aufgearbeitet“, mag unter Nichthistorikern entstanden sein, weil populäre kleine Teilbereiche, zu Hitler etwa oder zu Rommel oder allgemein zum 2. Weltkrieg, auf Spartensendern im Fernsehen beständig wiederholt werden. Tatsächlich aber ist die NS-Geschichte nicht ausreichend aufgearbeitet, weil viele Fragen unter Einbeziehung des Forschungsstandes anderer sozialwissenschaftlicher Disziplinen bisher gar nicht gestellt wurden und eine NS-Geschichtsschreibung unter Einbeziehung der Region flächendeckend kaum existiert.
Moritz Hoffmann: Sie richten Ihren Aufruf, als Autor oder Autorin tätig zu werden, ausdrücklich nicht nur an studierte Historiker – ist dieser interdisziplinäre Ansatz Ihrer Erfahrung nach besonders hilfreich, etwa wenn es um bestimmte Berufsfelder der Täter, Helfer und Trittbrettfahrer geht?
Dr. Wolfgang Proske: Ursprünglich dachte ich, es müssten unbedingt auch die anderen Geistes- und Sozialwissenschaften zum Zuge kommen. Dann aber meldeten sich zusätzlich viele Professionen darüber hinaus zu Wort, auch Menschen ohne Studium, und im Ergebnis gab es ungewöhnliche Herangehens- und Sichtweisen, die – soweit sie veröffentlicht wurden – sehr bereichernd wirkten. Es ist aber ein Irrtum zu glauben, dass die Einbeziehung bestimmter Berufsgruppen deren Berufsfelder näher beleuchten würde. Tatsächlich ist das jeweilige private Forschungsinteresse nicht voraussehbar.
Moritz Hoffmann: Wie genau gehen Sie vor – haben Sie eine Liste von Personen, deren Tätigkeit im und für das NS-Regime noch zu erforschen ist? Lassen Sie sich von Anlässen, wie beispielsweise runden Jahrestagen bestimmter Ereignisse, lenken?
Dr. Wolfgang Proske: Offen gesagt: Ich arbeite immer noch mit möglichst wenig Vorgaben. Listen wären ja gut und schön. Aber wer fertigt sie an, wer hat diesen Überblick? Und nach welchen Kriterien würden bestimmte Fälle berücksichtigt, andere unberücksichtigt bleiben? Weil es mit der Basisforschung nicht weit her ist, bleibt nur der Weg, das wie auch immer zustande gekommene Spezialwissen der momentan knapp 100 Autorinnen und Autoren, alle ausgewiesen durch einschlägige Veröffentlichungen, anzuzapfen. Sie berichten dann nach vorher kommunizierten wissenschaftlichen Grundregeln und unter Einsatz ihrer Reputation nach bestem Wissen und Gewissen und dabei in der Aussage selbstverantwortlich. Runde Jahrestage haben bisher keine Rolle gespielt.
Moritz Hoffmann: Wenn Sie biografisch arbeiten und dabei nicht nur die großen Köpfe der NS-Geschichte in den Blick nehmen und darüber hinaus auch noch einen regionalen Fokus haben; arbeiten Sie auch mit Nachkommen zusammen und wenn ja, welche Chancen bieten sich dort? Führt Ihre Arbeit auch zu Problemen, etwa wenn die Verstrickung den Nachkommen bislang nicht (umfassend) bekannt war?
Dr. Wolfgang Proske: Eigentlich sollte nur in Archiven geforscht werden. Dieser Anspruch erwies sich als unrealistisch, bleibt aber grundsätzlich als Ziel bestehen, um im Einzelfall zu möglichst gesicherten Aussagen zu kommen. In manchen Artikeln wird, weil entsprechende Quellen fehlen, mit Zeitzeugen gearbeitet, was aber angesichts von unhinterfragbaren Interessen der Auskunftgeber und begrenztem Erinnerungsvermögen zweite Wahl sein sollte. Verwandte sind vor allem hilfreich, wo es um bisher unbekannte Fotoquellen geht; ihnen fehlt im Inhaltlichen oft die nötige Distanz zum Geschehen. In Ausnahmefällen waren Angehörige allerdings empört, was ihnen im Familienkreis so alles verschwiegen wurde – und so wurden sie zu wichtigen Helfern von THT.
Moritz Hoffmann: Wie gut verläuft Ihrer Erfahrung nach die Zusammenarbeit mit den oft sicherlich sehr kleinen lokalen Archiven?
Dr. Wolfgang Proske: Meine Erfahrung mit Archiven ist durchweg sehr gut. Inzwischen arbeitet eine Generation von Archivaren, die sich freuen, wenn alle ihre Arbeitsgebiete auf öffentliches Interesse stoßen. Gerade Orts- und Kreisarchive sind allerdings, was die NS-Zeit betrifft, sehr oft „gesäubert“ worden, mit welchen Absichten auch immer. Die vier Staatsarchive sind bei NS-Themen also weitaus wichtiger.
Moritz Hoffmann: Welche Quellen außer Archivalien verwenden Sie noch? Ist es Ihrer Ansicht nach beispielsweise sinnvoll, einen Aufruf an die Öffentlichkeit zu starten, bislang unbekannte Quellen aus Privatbesitz zur Verfügung zu stellen?
Dr. Wolfgang Proske: Das ist nicht eindeutig zu beantworten. Der Quellenwert privater, bisher ungenutzter Quellen ist meist begrenzt. Vor allem: wir kommt man an sie ran? Im Fall Oskar Farny hatten wir in Wangen einen entsprechenden Aufruf in der Zeitung gestartet, der – neben den üblichen Schmähanrufen – 25 Mitteilungen erbrachte, meist Zeitzeugenaussagen, die sich allerdings meist nicht als belastungsfähig erwiesen. In den zwei Fällen, wo es konkret wurde, haben wir die angedeuteten Quellen am Ende doch nicht bekommen. Man muss also genau überlegen, wo man wieviel Zeit investiert. Angesichts unserer begrenzten Arbeitskapazitäten ist es sinnvoller, in die Archive zu gehen.
Moritz Hoffmann: Bislang haben Sie ausschließlich Bände über Württemberg veröffentlicht, haben nun aber auch Süd- und Nordbaden im Blick. Was versprechen Sie sich von diesem erweiterten Fokus, und gibt es dort landesübergreifende Verknüpfungen, die Sie nachzeichnen können?
Dr. Wolfgang Proske: Ziel des Projekts THT ist, am Ende das gesamte Bundesland Baden-Württemberg abzudecken. Im Band 5 „Bodenseeraum“, der Anfang 2016 erscheinen wird, blicken wir darüber hinaus noch nach Vorarlberg, Liechtenstein und in die deutschsprachige Schweiz. Schon im jetzigen Stadium ergeben sich ungeahnte Querverbindungen, die über die Orts- und Personenregister auch relativ leicht nachvollziehbar sind. Die ganz großen Verknüpfungen werden später, wenn das Projekt abgeschlossen ist, in einer Meta-Studie nachzuzeichnen sein.
Moritz Hoffmann: Sind die württembergischen und badischen Landesministerien in der bisherigen Arbeit Ihres Projekts bereits in den Blick gekommen?
Dr. Wolfgang Proske: In der momentanen Phase des Projekts geschieht das zufällig und eher selten, abhängig vom Forschungsinteresse der jeweiligen Autorin oder des jeweiligen Autors.
Moritz Hoffmann: Haben Sie für das Projekt einen Schlusspunkt avisiert, oder ist das Ende im Prinzip offen? Aktuell sind ja zehn Bände veröffentlicht oder angedacht, soll es danach weitergehen?
Dr. Wolfgang Proske: Im Grunde ist alles möglich. Die Autorinnen und Autoren, die untereinander vernetzt sind und die sich jährlich zu einer Autorentagung treffen, entscheiden durch ihre konkrete Arbeit, ob und wie es weitergeht. Ideen alleine genügen nicht. Natürlich besteht die Hoffnung, auch außerhalb von THT weitere Täterforschung anzuregen. Hilfreich ist dabei unsere Website, auf der alles Wichtige auch von Außenstehenden nachvollzogen werden kann.
Moritz Hoffmann: Wie werden Ihre Veröffentlichungen finanziert?
Dr. Wolfgang Proske: Die Finanzierung ist schwierig. Das Projekt THT erhält keine regelmäßigen öffentlichen Zuwendungen; die Arbeitsleistung für die Artikel wird ehrenamtlich erbracht. An Kosten verbleiben insofern die eigentliche Buchherstellung, seit Band 4 im dafür gegründeten Kugelberg Verlag. Außerdem erhält jeder Autor zurzeit 200 Euro symbolische Aufwandsentschädigung, dazu etwas Unterstützung bei aufwändigeren Recherchen zum Beispiel in ausländischen Archiven sowie Fahrtkostenzuschüsse zur Autorentagung, die 2016 am 22. und 23. April in Rastatt stattfinden wird. Für all dies gibt es Zuwendungen von Privatpersonen, aber auch von öffentlichen Institutionen, denen der Herausgeber Bettelbriefe schickt. Manchmal wird ein begrenztes Projekt im Projekt unterstützt, wie z.B. die Erstellung einer Website. Klar ist; THT wird erstens dank seiner vielen Autorinnen und Autoren und zweitens dank seiner Sponsoren betrieben. Ich möchte hiermit potenzielle Mäzene bitten, eine Förderung von THT wohlwollend in Erwägung zu ziehen, ebenso wie auch weitere Autorinnen und Autoren sehr willkommen sind.
Über die Veröffentlichungen von Wolfgang Proske nichtt informiert. Wie komme ich an alle fünf Bände ran? Ich möchte sie alle käuflich errwerben.
Mit freundlichen Grüßen!
Eberhard Kugler
Lieber Herr Kugler,
weitere Infomationen zu „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ finden Sie auf der Website des Projekts. Bestellen können Sie die Bände hier: https://ns-belastete.de/bestellung.html
Mit freundlichen Grüßen,
Philipp Haase
Ich finde die Tatsache, dass jemand solche Mammutaufgabe angeht und Zug um Zug abarbeitet hervoragent.. Hochachtung!
Mit freundlichen Grüßen!
Eberhard Kugler
Wann wird sich Herr Proske mit den Quellen über Gröber auseinander setzen? Und zwar geht es z.B. um dessen Rolle im Zusammenhang der Ermordung von „geistig behinderten“ Menschen ?
Lieber Herr Löbbert,
das ist bereits geschehen. Ich habe selbst einen Artikel zu Gröber und dessen NS-Belastung in THT 6 (NS-Belastete aus Südbaden, S. 104-136) geschrieben. Meines Erachtens gibt es nach heutigem Stand zwei Hauptvorwürfe gegen den früheren Erzbischof von Freiburg:
a) er war ab 1933 der vielleicht prominenteste Helfershelfer der Nazis bei der Durchsetzung der NS-Herrschaft in Baden, weil er zwangsläufig Vorbild für seine Gläubigen war, u.a. wegen fördernder SS-Mitgliedschaft (bis er 1938 ausgeschlossen wurde). Gröber hat auch danach nicht etwa Widerstand geleistet, sondern lediglich manchmal genörgelt, nachdem die Nazis seiner Unterstützung zunehmend weniger bedurften.
b) er hat eine enge persönliche Freundin, die (jüdische) Konstanzer Juristin Dr. Irene Fuchs, mit Brief vom 21.10.1936 beim Gauleiter Robert Wagner denunziert, nachdem die (geheime) Beziehung, vermutlich wegen seiner NS-Freundlichkeit, gescheitert war.
Was seine Rolle bei den Krankenmorden betrifft, ist die Quellenlage m. E. anders, zumindest, wo es Katholiken betrifft. Es gibt sogar einen Brief an den Chef der Reichskanzlei, Lammers, in dem er sich bereit erklärt, alle Kosten übernehmen zu wollen, die im Zusammenhang mit dem Überleben dieser Menschen entstehen, sollten sie überleben. Aber das blieb eine reine Absichtserklärung, ohne weitere Konsequenz, und wurde später auch nie wiederholt.
Mein Fazit: Conrad Gröber ist, bei einer Vielzahl von im Artikel belegten Gründen, eindeutig ein NS-Belasteter. Jede Ehrung bis heute (Straßenbenennungen, Ehrenbürgerschaften) sollte umgehend beendet werden!
Mit freundlichen Grüßen