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„dks u hhi…“ [Danke schön und Heil Hitler]: Zur Datierung politischer Entscheidungen bei der Besetzung des Elsass

Compiegne 1940, Generaloberst Keitel überreicht die Waffenstillstandsbedingungen

Compiegne 1940, Generaloberst Keitel überreicht die Waffenstillstandsbedingungen | Bundesarchiv, Bild 146-1982-089-18 CC-BY-SA

Am 22. Juni 1940 unterzeichnete Frankreich ein Waffenstillstandsabkommen mit dem deutschen Reich – und zwar in Compiègne, am selben Ort, an dem das besiegte Deutsche Reich 1918 einen Waffenstillstand mit Frankreich unterzeichnet hatte. In dem Abkommen von 1940 wurden Elsass und Lothringen mit keinem Wort erwähnt. Und doch sollte dieser symbolische Akt den Beginn der deutschen NS-Herrschaft im Elsass markieren. Denn um dieselbe Zeit fanden im Verborgenen bereits Vorbereitungen statt, die den politischen Status des Elsass und somit das Leben der elsässischen Bevölkerung für die nächsten vier Jahre bestimmen sollten. Das hier einsehbare Fernschreiben, das am 19. Juni 1940 im badischen Innenministerium in Karlsruhe einging, war Bestandteil dieses Vorganges.

Mit dem Dokument lassen sich wichtige Entscheidungen bei der Okkupation des Elsass genauer datieren. Die Forschungsliteratur ist sich unsicher in der Frage, wann Hitler entschied, was mit dem im Mai und Juni 1940 eroberten Elsass passieren sollte. Fest steht lediglich, dass die NS-Führung zögerte, das Elsass sofort und explizit ins Reich einzuverleiben, da dadurch die Kollaboration Frankreichs aufs Spiel gesetzt würde, die aber unbedingt für die Fortsetzung des Kriegs gegen England benötigt wurde. Eine genauere Datierung, wann bereits ernsthaft über den Aufbau einer zivilen Verwaltung im Elsass nachgedacht wurde, wäre daher äußerst spannend. An ihr ließe sich erkennen, wie wichtig dem nationalsozialistischen Regime die Westerweiterung des Reichs im Vergleich zur Achtung der Souveränität Vichy-Frankreichs war.

Der Waffenstillstand zwischen den zwei Ländern trat am 25. Juni 1940 in Kraft. Am 30. Juni bestärkte die deutsche Waffenstillstandskommission die französische Regierung noch in der Annahme, dass es sich bei der Besetzung der Gebiete westlich des Rheins um eine militärische handelte, indem sie die Rückkehr der französischen  Verwaltungsorgane dorthin gestattete. Feste Beweise über die Einrichtung einer dauerhafteren zivilen (und nicht etwa kurzweiligen militärischen) Verwaltung im Elsass waren bisher nur aus der Zeit nach den Waffenstillstandsverhandlungen bekannt. Aus Aufzeichnungen des Staatssekretärs Wilhelm Stuckart vom 1. Juli 1940 geht beispielsweise eindeutig hervor, dass Hitler zu diesem Zeitpunkt „definitiv entschieden“ habe, „in Elsaß-Lothringen deutsche Verwaltung einzurichten.“ Und auch die offizielle Amtsbestätigung des Chefs der Zivilverwaltung Robert Wagner vom 2. August 1940 ist mit schriftlichen Quellen belegt – wenngleich auch immer noch mit äußerster Diskretion vorgegangen wurde. Der Erlass sollte nicht im Reichsgesetzblatt erscheinen, lediglich eine kurze Pressemitteilung wurde einige Tage später herausgegeben.

All dies hat der Historiker Lothar Kettenacker, der das Standardwerk über die Geschichte der NS-Herrschaft im Elsass geschrieben hat, in beeindruckend akribischer Arbeit, trotz ihm verschlossen gebliebener Quellenbestände, herausfinden können. Er kommt zu dem Schluss, dass zumindest bis zum 20. Juni „völlig unklar gewesen zu sein [scheint], was mit Elsaß-Lothringen tatsächlich geschehen sollte“, und dass Hitler mit einer endgültigen Entscheidung noch bis Anfang Juli 1940 gewartet haben muss.

Doch die mir nun zugänglichen Quellen aus dem Departementalarchiv in Straßburg ergeben ein anderes Bild. Das hier gezeigte Dokument macht deutlich, dass am 19. Juni 1940 nicht nur bereits entschieden war, dass eine deutsche zivile Verwaltung ins Elsass kommen würde, sondern bereits, welche höheren Beamten diese übernehmen würden – und das zu einem Zeitpunkt, als der Krieg zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich noch gar nicht beendet war. Tatsächlich habe ich auch eine Abschrift des Telegramms, mit dem Reichsstatthalter und Gauleiter Robert Wagner vom Oberbefehlshaber des Heeres „im Einvernehmen mit dem Herrn Reichsminister des Innern“ zum Chef der Zivilverwaltung ernannt wurde, ausfindig machen können. Es datiert vom 15. Juni 1940. Zwei Tage später wurde Wagner vom Reichsinnenministerium aufgefordert, „umgehend […] Vorschläge für die Aufstellung des CdZ-Stabes [Chef der Zivilverwaltung, die Verfasserin]“ einzureichen. Ein langes Zögern seitens der NS-Führung ist hier nicht erkennbar.

Das Fernschreiben vom 19. Juni zeigt bereits das Resultat des Austauschs zwischen Reichs- und Landesbehörden bezüglich der personellen Besetzung des Besatzungsregimes. Es behandelte die Besetzung des Stabs, der den Chef der Zivilverwaltung (CdZ) für das Elsass in seiner Arbeit unterstützen sollte. Wer genau die Vorschläge machte – ob der Reichsstatthalter selbst, sein Umfeld in der Partei oder die landesministerialen Behörden – wird aus den Quellen nicht ersichtlich. Das badische Innenministerium schlug jedoch in darauffolgenden Schreiben personelle Änderungen sowie die Bestellung weiterer Beamten vor, was auch vollständig umgesetzt wurde.

Die Vorbereitungen zur zivilen und damit ganz klar nicht französischen Verwaltung des Elsass waren also sowohl in den Reichs- als auch in den Landesbehörden schon längst in vollem Gange als die Wehrmacht am 19. Juni in Straßburg einmarschierte. Das bezeugt ein Dokument, das mit der fast schon komisch anmutenden Zeile voller Abkürzungen endet: „dks u hhi   vielen dank+  bs. hh. aus+“ [Danke schön und Heil Hitler. Vielen Dank. Bitte schön. Heil Hitler. Aus.]

Quelle:

Fernschr. 19.06.40 RIMin an bad. IMin ADBR 126 AL 916

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