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„Der Austausch mit der heutigen Beamtenschaft kann sehr hilfreich sein“ – Interview mit Dr. Stefanie Middendorf, Teil 2

bild_middendorf_vortragDen ersten Teil des Interviews mit Dr. Stefanie Middendorf können Sie an dieser Stelle lesen.

Sina Speit: Inzwischen gibt es mehrere Forschungsprojekte zu ehemaligen Ministerien und Behörden auf Reichsebene, wie auch zum Reichsarbeitsministerium. Ist das „Reichsfinanzministerium“ darunter eine Organisation, dessen Geschichte auf ein spezielles öffentliches Interesse stößt?

Dr. Stefanie Middendorf: Das Projekt hat seinen Ursprung im Finanzministerium selbst, etwa im Jahr 2008. Gründe waren, dass das Ministerium bis heute mit Restitutionsfragen beschäftigt ist und intern das Bedürfnis existierte, etwas in der Hand zu haben, um das historisch einschätzen zu können. Überlagert wurde das in der Anfangsphase dann von der Debatte zu der Publikation über das Auswärtige Amt, die das Thema plötzlich sehr präsent machte. Zu dem Zeitpunkt gab es für das Projekt zum Reichsfinanzministerium ein sehr großes mediales Interesse, weil es erst das zweite Projekt dieser Art war und daher zunächst auch unter einer ähnlichen Form von Aufregung wahrgenommen wurde. Dieses Interesse ist durchaus geblieben, es ist jedoch nicht so politisiert und auch nicht so personalisiert, wie das beim Auswärtigen Amt der Fall war. In der Hinsicht, Schuldfragen auf Biografien Einzelner zuzuspitzen, ist es meines Erachtens in der Öffentlichkeit insgesamt etwas ruhiger geworden. Dennoch spielt zum Beispiel das Thema der fiskalischen Verfolgung in den Medien natürlich immer wieder eine Rolle, hier wurden etwa die Befunde der bereits erschienenen Studie von Christiane Kuller rezipiert und präsentiert. Innerhalb des Ministeriums ist das Interesse durchaus hoch zum Beispiel dahingehend, wie Finanzpolitik eigentlich unter anderen historischen Bedingungen funktioniert hat. Dabei geht es weniger um die medial inszenierten Fragen, ob es „Verstrickungen“ gab oder „Nazis“, sondern um die Ebene der Fachpolitik – etwa um die Frage, wie man Staatsverschuldung unter diktatorischen Bedingungen organisiert hat oder darum, wie Ausbeutung und vermeintlich normale Routinen der Finanzpolitik miteinander verknüpft waren. Darüber hinaus gibt es auch ein Interesse im politischen Raum, etwa durch die Anfragen an die Regierung zur Erforschung der Geschichte der Ministerien, die das Thema in der parlamentarischen Öffentlichkeit präsent gemacht haben. Schließlich wurden Mitglieder der Kommission auch in tagesaktuellen Fragen, wie zum Beispiel zu den Reparationsforderungen Griechenlands, als Experten wahrgenommen und gehört.

Sina Speit: Sie haben den Austausch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesfinanzministeriums angesprochen. Haben Sie dafür bestimmte Formate entwickelt, in denen dieser Austausch stattfindet?

Das Reichsfinanzministerium in Berlin, 1935

Das Reichsfinanzministerium in Berlin, 1935

Dr. Stefanie Middendorf: Wir haben einmal im Jahr einen Werkstattbericht in Form von Vorträgen für die ministeriale Öffentlichkeit mit anschließender Diskussion ausgerichtet. Auf unserer Homepage werden das Projekt und aktuelle Veranstaltungen vorgestellt, sowie die Publikationen, die jetzt nach und nach erscheinen. Dann gibt es auf der Ebene der Kommission Treffen mit den betreffenden Abteilungsleitern oder dem Staatssekretär. Ich selbst habe im Ministerium ein Büro bekommen, so dass ich dem Abteilungsleiter zwischendurch einfach berichten konnte, was wir so machen. Ich hatte auch den Eindruck, dass das eine gute Möglichkeit ist darüber zu diskutieren, welche Rolle eigentlich Historikerinnen und Historiker mit ihrer Forschung nicht nur für eine mediale Öffentlichkeit, sondern auch für die Bereitstellung von Handlungswissen und Erfahrungswissen für die Ministerialbeamtenschaft spielen. Für Soziologen oder Juristen ist das ja ganz selbstverständlich, dass sie für Ministerien auch Forschungsexpertise bereitstellen. Bei uns Historikerinnen ist das schwieriger oder auch mit einem unguten Gefühl verbunden, vor allem wenn der Eindruck entsteht, man betreibe unmittelbare Auftragsforschung. Es geht mir dabei gar nicht um die öffentliche Debatte und die stark aufgeregten Inszenierungen von NS-Geschichte, sondern darum, wie Forschung dazu beitragen kann, dass Finanzpolitik (oder Innen- oder Wohnungsbaupolitik) um ihre historischen Hintergründe weiß und um die Kontinuitäten oder Diskontinuitäten zu früheren Zeite. Ich könnte mir vorstellen, dass man da noch viel mehr machen kann, zum Beispiel in Form kleinerer Besprechungen oder Workshops als Angebot für einzelne Abteilungen, in denen Interesse dafür besteht.

Sina Speit: Haben Sie auch die Erfahrung gemacht, dass Sie von dem Wissen der heutigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter profitieren, dass also ein beidseitiger Austausch stattfinden kann?

Dr. Stefanie Middendorf

Dr. Stefanie Middendorf

Dr. Stefanie Middendorf: Auf jeden Fall. Je nachdem, wie speziell das Politikfeld ist, das man bearbeitet – und Finanzpolitik ist ja schon sehr speziell, hat eigene technische Instrumentarien und Regeln – nimmt man Sachverhalte eventuell fälschlicherweise als spezifisch für die NS-Zeit wahr. In Bereichen wie Steuerpolitik oder Anleihepolitik ist es so, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums einiges aus den alten Akten als überhaupt nicht neu wahrnahmen und über andere Bereiche oder Handhabungen stolperten, die ich als Historikerin so vielleicht nicht als ungewöhnlich wahrgenommen hätte. Auch zeigte sich, dass es für das Reichsfinanzministerium in der Überlieferung wenig programmatisches Material gibt – zum Beispiel ganz wenige Besprechungsprotokolle oder Denkschriften, etwa im Vergleich zu anderen Organisationen wie der Reichsbank. An solchen Unterlagen kann man aber so etwas wie eine grundsätzliche Ausrichtung des Ministeriums oder strategische Entscheidungsprogramme gut abbilden. Wir haben uns das lange damit erklärt, dass vieles verbrannt oder absichtlich vernichtet worden sei. Dann merkten wir aber im Gespräch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des heutigen Ministeriums, dass dies möglicherweise bis heute ein Spezifikum dieser Organisation ist. Es gibt zwar inzwischen eine finanzpolitische Grundsatzabteilung, die hat aber eine andere Bedeutung als in anderen Ressorts. Diese scheinbare programmatische Zurückhaltung macht es bis heute auch so schwer, die Verantwortung des Ministeriums für bestimmte politische Entscheidungen festzustellen. Wir haben auch bemerkt, dass es fast keine Überlieferung des Ministerbüros gibt. Auch das liegt möglicherweise daran, wie Material institutionenspezifisch bis heute aufbewahrt wird, und hier kann der Austausch mit der heutigen Beamtenschaft sehr hilfreich sein.

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