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Novizen in der „Quasselbude“: Zum 90. Jahrestag des Einzugs der Nationalsozialisten in den badischen Landtag

Fraktionen und Gruppen des Badischen Landtags. Quelle: Verhandlungen des Badischen Landtags IV. Landtagsperiode (28. Oktober 1929 bis 27. Oktober 1933), Protokollheft, S. 2-30. | Klicken für Gesamtansicht.

Am 6. November 1929 nahmen im badischen Landtag erstmals Abgeordnete der NSDAP Platz. Der sechsköpfigen Fraktion gehörten zwei Männer an, die nach 1933 die Geschicke der badischen Ministerialbürokratie prägen sollten: Robert Wagner als Reichsstatthalter und Walter Köhler als Ministerpräsident und Finanz- und Wirtschaftsminister. Bei der ersten Sitzung des 1929 neu gewählten Landtags traten sie als Repräsentanten einer extremistischen Partei auf, die aus ihrer Verachtung des parlamentarischen Systems von Anfang an keinen Hehl machten.

Das parlamentarische Debüt der badischen Nationalsozialisten erfolgte – im Vergleich mit dem Reich oder auch mit Bayern – relativ spät, was indes nicht einer Schwäche der badischen Parteiorganisation geschuldet war, sondern den Zufälligkeiten des Wahlturnus: Die letzte vorangegangene Wahl hatte im Herbst 1925 stattgefunden, als sich die badischen Nationalsozialisten nach der Aufhebung des allgemeinen NSDAP-Verbots gerade erst neu organisiert hatten und noch zu schwach waren, um Mandate zu erringen. Auch wenn der Eintritt der sechs NSDAP-Abgeordneten in den Landtag für die dortigen Mehrheitsverhältnisse – Zentrum und SPD hatten weiterhin eine breite Mehrheit – zunächst irrelevant blieb, brachten die Landtagswahlen im Herbst 1929 für die NSDAP einen entscheidenden Entwicklungsimpuls. Wichtiger als das Gesamtergebnis von sieben Prozent der Wählerstimmen war, dass sich einige erste Hochburgen der NSDAP herauskristallisierten. In immerhin neun badischen Amtsbezirken wurden zweistellige Ergebnisse erzielt. An der Spitze standen Kehl (32 Prozent) und Weinheim (20 Prozent), und auch die übrigen Hochburgen waren Amtsbezirke sowohl mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil von Protestanten als auch mit einer besonderen landwirtschaftlichen Prägung. Dass der NSDAP dort zahlreiche Wähler zuliefen, war in erster Linie das Verdienst lokal verankerter Aktivisten, und die von ihnen aufgebauten Kleinzentren strahlten weiter auf die Region aus, was dazu führte, dass sich der Charakter der Landespartei als eine auf die protestantisch-ländlichen Gebiete in Nordbaden beschränkte Protestbewegung bald aufweichte.

SPD-Fraktionsvorsitzender und stellvertretender Landtagspräsident Emil Maier. Quelle: GLA 231 Nr. 2937 (781) Bild 1, | Klicken für Gesamtansicht.

Zu der Eigendynamik, die der erste bescheidende Wahlerfolg im Jahr 1929 entfaltete, kamen noch die handfesten Vorteile, die die NSDAP durch den Eintritt in den Landtag erlangte, wie Walter Köhler rückblickend festhielt: „Der Einzug in den Landtag brachte der Partei verschiedene Vorteile. Die Landtagsberichte der Zeitungen brachten, wenn auch gefärbt, für uns eine verbesserte Publizität, für die Partei [und] ihre Repräsentanten. Die Abgeordneten der Partei wurden durch die Freifahrkarten beweglicher und durch die Diäten wirtschaftlich entlastet. Die Arbeit im Parlament und in den Ausschüssen gewährte uns Einblicke in den Staatsapparat, die für uns im Hinblick auf die laufenden politischen Auseinandersetzungen sowie als Vorbereitung für die Übernahme von Verantwortung wertvoll waren“. Dass es die Strategie der NSDAP gewesen sei, „im Landtag Skandalszenen zu provozieren“, stellte Köhler in der Rückschau in Abrede; allerdings konzedierte er: „Wahr ist jedoch, daß nur solche Szenen Publizität hatten“.

Um solche Skandale bemühten sich die Nationalsozialisten gleich zu Beginn der Sitzungsperiode 1929/30, als sie beim Nachruf des Landtagspräsidenten auf den verstorbenen badischen Fürsten und früheren Reichskanzler Max von Baden, der in rechtsradikaler Perspektive ein Wegbereiter der verhassten Novemberrevolution von 1918 gewesen war, den Sitzungssaal verließen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende und stellvertretende Landtagspräsident Emil Maier nahm dies zum Anlass, die rechtsradikalen Parlamentsnovizen über den Komment des Landtags zu unterrichten: „Bisher war es Tradition in diesem Hause, sich – wenn man auch in politischer Beziehung noch so entschieden und scharf einander gegenübergestanden war – menschlich und gesellschaftlich dennoch nicht als Barbaren entgegenzutreten“. Heute jedoch habe es „sich zum ersten Mal ereignet, daß man in diesem Hause der Hoheit des Todes nicht Reverenz erwies“. Dies habe seine Fraktion mit Bedauern festgestellt, weil man „in solchen Fällen bisher keine Parteiunterschiede gemacht“ habe – „auch dann nicht, wenn es sich um Kommunisten handelte. Und wir werden einen solchen Unterschied auch nicht gegenüber Nationalsozialisten machen“. Zu einer Entgegnung auf Maiers Moralpredigt zeigten sich die Nationalsozialisten nicht bereit. Köhler gab lediglich zu Protokoll, dass seine Fraktion es ablehne, „uns mit dem Herrn Angeordneten Maier und mit der Sozialdemokratischen Partei über Takt und Anstand auseinanderzusetzen“.

Walter Köhler, Quelle: GLA 231 Nr. 2937 (980) | Klicken zum Vergrößern.

Auf das Debüt der Nationalsozialisten im Landtag reagierten die Vertreter der Regierungsparteien indes nicht nur defensiv mit scharfem Protest gegen diese würdelose Provokation, sondern ergriffen ihrerseits die Initiative: Innenminister Adam Remmele (SPD) nämlich ließ gleich zur Landtagseröffnung ein in seinem Ressort zusammengestelltes Memorandum verteilen, das die nationalsozialistischen Ausschreitungen während der Wahlkämpfe der Vormonate dokumentierte. An der Spitze der dort mitgeteilten Vorfälle standen polizeilich ausgesprochene Redeverbote gegen den Magdeburger Gauleiter Wilhelm Loeper, der auf einer Versammlung in Karlsruhe die Mitglieder der Reichsregierung als „infame Zuhälter eines internationalen Finanzkapitals“ geschmäht und den „eisernen Gustav“ (Reichsaußenminister Stresemann) als einen jener Minister deklariert hatte, „die ins Zuchthaus gehören“, sowie gegen den „Reichsredner“ der NSDAP Ludwig Münchmeyer, der auf einer Agitationsreise durch Baden das Gerücht – heute würde es wohl fake news heißen – verbreitet hatte, der zur Revision der Reparationspflichten aufgestellte Young-Plan sehe vor, „deutsche Söhne und Töchter in das europäische und außereuropäische Ausland“ zu exportieren. So wie die verbalen Exzesse auswärtiger Parteiredner dokumentierte das Memorandum auch die rednerischen Entgleisungen und Provokationen badischer Nationalsozialisten während des Wahlkampfes: etwa pauschale Verleumdungen wie die des SA-Führers Max Fröhlich, die „Mitglieder des Landtags“ seien „Scheißkerle, der Landtag eine Quasselbude, die Minister […] Schweinigel“.

Die Ankündigung der Vorlage des Memorandums durch den Landtagspräsidenten quittierte der NSDAP-Fraktionsführer Köhler mit den Zwischenrufen „Remmele-Schmus“ und „Quatsch“, wofür er mit einem Ordnungsruf bedacht wurde. Dies war der Auftakt einer langen Reihe von Geschäftsordnungssanktionen, die die nationalsozialistischen Landtagsabgeordneten in der Folgezeit auf sich zogen – mit dem Höhepunkt zweimaliger mehrwöchiger Sitzungsausschlüsse gegen Herbert Kraft, der handgreifliche Auseinandersetzungen mit Zentrumsabgeordneten anzettelte. Auch Kraft reüssierte 1933 in einflussreicher Stellung in der badischen Ministerialbürokratie: als Ministerialrat und Leiter der Abteilung Höhere Schule im Kultusministerium.

Quellen:
Verhandlungen des Badischen Landtags IV. Landtagsperiode (28. Oktober 1929 bis 27. Oktober 1933), Protokollheft, S. 2-30.
Stadtarchiv Weinheim Rep 36 4298, Walter Köhler, Erinnerungen, S. 90f.

Nr 2 Ausschreitungen bei den Vorbereitungen zur Landtagswahl 1929
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