Vertreibung durch den Gauleiter oder Selbstopferung aus Spargründen? Der Rücktritt des Leiters des badischen Justizministeriums Johannes Rupp nach fünfwöchiger Amtszeit im April 1933
Über die Vorgeschichte und die Begleitumstände der Bildung der kommissarischen Regierung, deren Einsetzung am 11. März 1933 das Schlüsselereignis der nationalsozialistischen Machtübernahme war, liegen nur spärliche zeitgenössische Quellen vor. Wem die kommissarische Leitung des Justizministeriums zufallen sollte, war, glaubt man der viel später entstandenen politischen Autobiographie des Vorsitzenden der NSDAP-Landtagsfraktion und kommissarischen Leiters des Finanzministeriums Walter Köhler, unstrittig: „[F]ür das Justizministerium wurde Rupp vorgesehen. Rupp war kein Starjurist, aber eine zuverlässige und ausgewogene Persönlichkeit, die auch über den Kreis der Partei hinaus Ansehen genoß“.
Johannes Rupp, im nordbadischen Reihen 1903 geboren und damit jüngster der am 11. März 1933 ins Amt gelangten Kommissare, war der Sohn des gleichnamigen Landwirts, Bürgermeisters und rechtskonservativen Reichstagsabgeordneten (1907 bis 1918 für den Bund der Landwirte). Da in seinem Elternhaus „stets ein politischer Wind“ wehte, hatte Rupp schon „von frühester Jugend an“ die „Absicht, die politische Laufbahn einzuschlagen“. Um diese zu verwirklichen, nahm Rupp nach dem 1921 in Bruchsal abgelegten Abitur ein Studium der Rechtswissenschaft und Geschichte in Heidelberg auf, das er zügig abschloss. 1927 wurde Rupp zum Gerichtsassessor ernannt und ließ sich als Rechtsanwalt beim Landgericht in Karlsruhe nieder.
Bereits während seines Studiums war Rupp in dem „völkisch“ orientierten Deutschen Hochschulring aktiv gewesen, und noch als Referendar war er dem Karlsruher Kreisverein der DNVP beigetreten, in dem er rasch zum zweiten Vorsitzenden und Landtagskandidaten avancierte. Mit der NSDAP hatte er, so Rupp in einem Lebenslauf aus dem Jahr 1947, „ursprünglich nichts zu tun, ich lehnte sie ab. In Berührung mit ihr kam ich erstmals als Verteidiger von Angehörigen derselben in meiner Eigenschaft als Rechtsanwalt. Der Idealismus ihrer Anhänger, das stete Einsetzen für ihre Idee und die Opferfreudigkeit machten tiefen Eindruck auf mich. Gerade diese Eigenschaften vermisste ich bei den Angehörigen meiner Partei. Durch meine berufliche Tätigkeit bekam ich auch Umgang mit den Führern der NSDAP in Baden. Dieselben gefielen mir. Nach harten inneren Kämpfen entschloss ich mich zum 1.12.1929, der NSDAP beizutreten“.
In der NSDAP machte Rupp eine steile Karriere, denn er wurde bereits im September 1930 in den Reichstag gewählt. Popularität gewann Rupp mit einer regen Rednertätigkeit für die NSDAP und auch, indem er sich der Gauleitung als „Justiziar“ zur Verfügung stellte. „Als solcher hatte ich vor allen Dingen die Aufgabe, als politischer Strafverteidiger tätig zu sein und die Gauleitung in Rechtsfragen zu beraten. Aus dieser Tätigkeit entstand das Gaurechtsamt. Ich glaube, dass es erst seit 1934 so benannt wurde“. Als „Justiziar“ der badischen NSDAP trat Rupp nicht nur als Verteidiger einzelner Parteigenossen vor den badischen Gerichten auf, sondern suchte auch die größere Bühne, zum Beispiel schon im Juli 1930 mit einer Klage beim Staatsgerichtshof in Leipzig, mit der ein verfassungswidriges Verhalten der badischen Regierung in ihrer Beamtenpolitik festgestellt werden sollte.
Mit seinem Amt in der Gauleitung und dem Renommee als Reichstagsabgeordneter konnte Rupp im März 1933 als „ministrabel“ gelten, auch wenn er sich selbst in seinem Spruchkammerverfahren klein machte und behauptete, nur die zweite Wahl für die kommissarische Leitung des Justizministeriums gewesen zu sein: „Es war ursprünglich vorgesehen, dass eine andere nicht der NSDAP angehörende Persönlichkeit dieses Amt übernehmen sollte. Ich wurde eines Morgens am Tag der Uebernahme der Tätigkeit des Reichskommissars für mich unvermutet telefonisch angerufen mit dem Ersuchen, die Justizverwaltung zu übernehmen“. Dem habe er sich nicht entziehen wollen, zumal ihm der zufällig anwesende, kurz zuvor amtsenthobene Karlsruher Polizeipräsident Paul Haußer geraten habe zuzusagen: „Uebernimm es, es ist dann wenigstens ein Vernünftiger dabei“. Von der Vernunft und nicht vom Parteieifer habe er sich auch in seiner Amtsführung leiten lassen: „Ich übernahm das Ministerium und hatte einen sehr schweren Stand. Ich übernahm alle alten Beamten, welche sich auch vorbehaltlos zur Verfügung stellten. Lediglich der Generalstaatsanwalt wurde, obwohl er auch sich dem neuen Regime zur Verfügung stellen wollte, vorläufig beurlaubt. Sogar den Sekretär des bisherigen Ministers übernahm ich als meinen eigenen. Den Versuchen, in die Justiz einzugreifen, Richter und Staatsanwälte unter Druck zu setzen, setzte ich mich mit aller Entschiedenheit entgegen“.
In seinem Spruchkammerverfahren, das mit seiner letztlichen Einstufung als „Minderbelasteter“ endete, konnte Rupp seine These, er sei ein Mann der Kontinuität gewesen, damit glaubhaft machen, dass er sich in einem Fall tatsächlich für den Erhalt rechtsstaatlicher Prinzipien eingesetzt hatte. Hierbei handelte es sich um die in der nationalsozialistischen Presse weidlich erörterte und zu einem badischen Äquivalent des Reichstagsbrandes skandalisierte Erschießung zweier Freiburger Polizeibeamter durch den sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten Christian Daniel Nußbaum, der sich in den frühen Morgenstunden des 17. März 1933 in seiner Wohnung der „Inschutzhaftnahme“ mit Waffengewalt widersetzte. Nußbaum wurde wegen Mordes und dreifachen versuchten Mordes in Untersuchungshaft genommen, aus der er nach dem Willen des Reichskommissars nicht mehr hätte freikommen sollen. Wagner nämlich forderte von Rupp, so zumindest gab dieser es später zu Protokoll und ließ er es auch von seinem früheren Staatskommissarskollegen Köhler bestätigen, dass Nußbaum „zum Tode verurteilt werden“ müsse, „und zwar innerhalb 3 x 24 Stunden“.
Dieses Ansinnen habe er, so Rupp, abgelehnt und sich geweigert, dem zuständigen Gericht eine entsprechende Weisung zu erteilen. Wagner habe daraufhin „getobt“ und am nächsten Tag Rupps Rücktrittsgesuch gefordert. Die Nachfrage des Vorsitzenden der Spruchkammer, wann genau dies gewesen sei, brachte Rupp in einige Verlegenheit, und er musste die Tötung der Freiburger Polizeibeamten durch Nußbaum um drei Wochen auf den „5. oder 6. April“ verschieben, um einen engen zeitlichen Zusammenhang mit seinem Rücktrittsgesuch vom 18. April – dieses datierte Rupp der Spruchkammer gegenüber vorsichthalber um einige Tage auf den 13. April vor – herstellen zu können. Den Zusammenhang seines Rücktritts mit dem Fall Nußbaum bekräftigte Rupp dann vorsichtshalber auch noch apodiktisch: „Es war so: denn ich bin Knall und Fall hinausgeschmissen worden. Das wird auch Demmer bezeugen können, der damals mein Sekretär war“. Der Justizbeamte Friedrich Demmer war dazu allerdings nicht in der Lage. An den Fall Nußbaum konnte er sich „nur schwach“ erinnern. Es sei seinerzeit zwar viel darüber gesprochen worden, aber er könne „nicht viel dazu sagen, warum Rupp nach so kurzem Gastspiel aufhörte“.
Aus den vom März und April 1933 überlieferten Quellen lässt sich nicht klären, welcher genaue Zusammenhang zwischen dem Fall Nußbaum und dem Rücktritt Rupps bestand; deutlich zu erkennen ist dort aber, dass die von Rupp später behauptete enge zeitliche Folge – unmittelbar nach seiner Weigerung, einen Schnellprozess gegen Nußbaum zu veranlassen, sei er von Wagner zur Vorlage seines Rücktrittsgesuchs aufgefordert worden – nicht stimmte. Vielmehr brachte Rupp die Einsparung einer separaten Leitung des Justizministeriums und damit seinen eigenen Rückzug aus der kommissarischen Regierung bereits bei deren Sitzung am 27. März ins Spiel. Rupp führte dort aus, so das Protokoll, „die badische Justizverwaltung sei klein. Der Posten des Justizministers sei nach seiner sachlichen Bedeutung und Arbeit einsparbar. Das Justizministerium werde am besten dem Unterrichtsministerium angegliedert“. Wagner allerdings wollte davon am 27. März noch nichts wissen und hielt „ein selbständiges Justizministerium zum mindesten für die Zeit der Rechts- und Verwaltungsreform für unentbehrlich“.
Das in der Kabinettssitzung vorgebracht Sparargument machte Rupp in seinem Schreiben vom 18. April 1933 an Wagner erneut geltend, in dem er darauf hinwies, „daß für ein so kleines Land wie Baden drei Minister mehr als ausreichend sind. Da das Justizministerium den weitaus kleinsten Aufgabenkreis hat, ist die Stelle des Justizministers am ehesten überflüssig“. Meinungsverschiedenheiten mit Wagner über seine Amtsführung sprach Rupp dort nicht an – auch nicht in verklausulierter Form. Da sonst keine Quellen aus diesen Wochen zu den Umständen seines Rücktritts vorliegen, bleibt der Verdacht, dass Rupp seinen Streit mit Wagner in der Causa Nußbaum vielleicht nicht frei erfunden, aber wohl doch erheblich dramatisiert hat, um vor der Spruchkammer Pluspunkte zu sammeln, die er für eine Entscheidung, die ihm die berufliche Integration in die Nachkriegsgesellschaft ermöglichte, dringend benötigte.
Quelle: GLA 465 f 1727
Quelle Rupp