Die Nationalsozialisten und das Nacktbaden: Zur Vorgeschichte einer badischen Verbotsverfügung vom Juli 1933
Im Frühjahr 1933 wurden die Nationalsozialisten, die die Landesministerien in Karlsruhe und in Stuttgart okkupiert hatten, mit Gesuchen und Beschwerden überflutet, die von Einzelnen oder Interessengruppen vorgetragen wurden, die sich von dem politischen Systemwechsel persönliche Gunsterweisungen oder die Abstellung vermeintlicher allgemeiner Missstände versprachen. Im badischen Kultusministerium zum Beispiel reagierte man hierauf mit einer strikten Begrenzung des Publikumsverkehrs im Hause und bereits Ende März 1933 mit einer über das Amtsblatt verbreiteten Anordnung, Gesuche und Beschwerden nur über den Dienstweg vorzutragen.
Auf eben diesem Weg hat sich in den Akten über den Naturschutz, der damals in die Zuständigkeit des Kultusministeriums fiel, das Gesuch eines Durlacher Bürgers erhalten, dessen Identität sich wegen unleserlicher Handschrift nicht mehr klären ließ. Er wandte sich am 10. April 1933 mit einem Brief an den kommissarischen Leiter des Kultusministeriums, Otto Wacker, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass das „landschaftliche reizvolle, botanisch und zoologisch interessante Moorgebiet“ bei Weingarten seit einigen Jahren nicht mehr besucht werden könne: Der „frühere (marxistische) Bürgermeister von Weingarten“ nämlich habe den See und das Ufergebiet an eine Karlsruher Nacktbadegesellschaft verpachtet – die gleiche Gesellschaft habe in Karlsruhe einen „Gymnastikabend eingerichtet, woselbst Männer u. Frauen völlig nackt zusammen turnen“. Er selbst sei, so der Durlacher Bürger, „absolut nicht prüde und glaube, dass in der Freikörperkulturbewegung ein gesunder Kern steckt und bin auch für Abschaffung des Badebekleidungszwangs in von nur gleichgeschlechtlichen Personen besuchten Bädern, wie es bei unseren nordischen Stammverwandten üblich ist“. Allerdings halte er es doch für erforderlich, dass die Verpachtung an die Karlsruher Nacktbadegesellschaft zurückgezogen und das Weingartner Moorgebiet unter Naturschutz gestellt „und der Allgemeinheit wieder zugänglich gemacht wird“.
Im Kultusministerium hielt man diesen Hinweis für so relevant, dass Erkundigungen bei der badischen Landesnaturschutzstelle eingeholt wurden. Deren Leiter Max Auerbach griff den Gedanken, das Weingartener Moor zum Naturschutzgebiet zu erklären, gerne auf, da dies „schon seit Jahren einer der Hauptwünsche der Landesnaturschutzstelle“ sei: Dieser „letzte Überrest eines grossen Moorgebietes, das sich von Wiesloch bis nach Durlach hinzog“, sei unbedingt erhaltenswert und lasse sich „auf Empfehlung des Herrn Unterrichtsministers hin“ vermutlich „leicht“ unter Naturschutz stellen, meinte Auerbach, der auch darauf verwies, dass sich die dortige „Nacktbadegesellschaft“ schon „des öfteren unliebsam bemerkbar gemacht“ habe. Es sei „auch schon Beamten der Landessammlungen, die auf Exkursion im Moor waren, begegnet, dass sie in eine solche Nacktkulturgesellschaft hinein geraten sind“.
Obwohl in diesen Wochen im Kultusministerium Hochbetrieb herrschte – unter anderem wurden die Schulen und Universitäten im Vollzug des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums rassistisch und politisch „gesäubert“ –, wurde für das Weingartener Nacktbadeproblem eine rasche Lösung angebahnt. Am 24. Mai 1933 erging an die Landesnaturschutzstelle die Aufforderung, „alle vorbereitenden Schritte für die Erklärung des Weingartener Moores zum Naturschutzgebiet zu unternehmen“, und knapp einen Monat später legte Wacker dem badischen Innenministerium Erhebungen vor, die das Landespolizeiamt Karlsruhe auf seine Veranlassung über den hiesigen „Freikörperkulturbund“ gemacht hatte. Zwar hätten die Ermittlungen ergeben, dass entgegen dem Anfangsverdacht auf dem Grundstück des Bundes „eigentliche Nacktkultur“ nicht „getrieben“ worden sei; Wacker wollte gleichwohl die Gelegenheit nutzen, grundsätzlich auf das Problem hinzuweisen: „Gegen die heutige Freiluftbewegung ist an sich, soweit sie sich in den Grenzen von Sitte und Anstand hält, nichts einzuwenden. Diese Grenzen sind eingehalten, wenn die Badenden mit einer ordnungsgemäßen Badebekleidung versehen sind und wenn ihr Verhalten einwandfrei ist“. Genauere Vorschriften hierüber, wie sie in Preußen gemacht wurden, hielt Wacker nicht für ratsam, „weil derartige Bestimmungen leicht kleinlich und lächerlich wirken“.
Sei eine nähere Definition „ordnungsgemäßer Badebekleidung“ auch untunlich, so meinte Wacker doch, „dass ein polizeiliches Eingreifen immer dann erforderlich wird, wenn eigentliche Nacktkultur getrieben wird, d. h. vor allem, wenn Personen verschiedenen Geschlechts ohne Badebekleidung zusammen Luft- oder Wasserbäder nehmen. Ein Einschreiten wird m. E. auch dann erforderlich sein, wenn ein solcher Freiluftbadebetrieb innerhalb eines gegen Sicht abgeschlossenen Grundstückes stattfindet und wenn nur Mitglieder einer bestimmten Vereinigung teilnehmen“. Ein derartiges Verhalten entspreche nicht „der sittlichen Auffassung unseres Staates“ – das im Entwurf vor „Staates“ platzierte Attribut „christlichen“ wurde vor Ausfertigung des Schreibens gestrichen. Von der Auffassung des Innenministers zu der im Raum stehenden Frage „und der etwa getroffenen Entschliessung“ bat Wacker um Verständigung.
Der Meinungsbildungsprozess im Innenministerium über das Nacktbadeproblem lässt sich anhand der eingesehenen Akten nicht nachvollziehen. Sein Ergebnis jedoch ist klar: Am 3. Juli 1933 verbot Innenminister Karl Pflaumer unter Berufung auf den ersten Paragraphen der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat – der berüchtigten Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 – die „bestehenden Verbände und Gruppen der Anhänger der sogenannten Nacktkulturbewegung im Lande Baden“. In einem erläuternden Schreiben an die Bezirksämter und Polizeipräsidien des Landes teilte er dazu in Ausschmückung der Argumente Wackers mit: „So sehr es im Interesse der Volksgesundheit zu begrüssen ist, dass immer weitere Kreise, insbesondere auch der großstädtischen Bevölkerung, bestrebt sind, die Heilkraft von Sonne, Luft und Wasser ihrem Körper dienstbar zu machen, so sehr muss die sogenannte Nacktkulturbewegung als eine kulturelle Verirrung abgelehnt werden“; sie sei „eine der grössten Gefahren für die deutsche Kultur und Sittlichkeit“. Das Verbot gebe der Polizei die Möglichkeit „zu einem Einschreiten auch in den Fällen, wenn der Nacktbadebetrieb in abgeschlossenen, und nur bestimmten Personengruppen zugänglichen Badeplätzen durchgeführt wird. Durch das Verbot soll die gesamte Tätigkeit der sogenannten Nacktkulturverbände unterbunden werden“.
Wie das Verbot in Baden angewendet wurde, vermag der Verfasser dieser Zeilen nicht zu sagen; er verweist aber gerne auf einen Beitrag von Gernot Horn im Karlsruher „Blick in die Geschichte“ (Nr. 98 vom 15. März 2013), in dem das weitere Schicksal der Nacktbadefreunde im Weingartener Moor skizziert wird: Wie etliche andere Freikörperkulturvereine beschritten auch sie den Weg einer Selbstgleichschaltung und schlossen sich dem nationalsozialistischen „Kampfring für völkische Freikörperkultur“ und später dem „Bund für Leibeszucht“ an – Nacktbaden war also fortan nur unter völkischen Prämissen erlaubt. Die Badestelle im Weingartener Moor konnte der Karlsruher Vereinsvorsitzende Adolf Schaffert, der sie offenkundig persönlich gepachtet hatte, nach etlichen Kontroversen mit dem Durlacher Forstamt und den benachbarten Sportfischern bis zum Sommer 1939 erhalten. Dann fand das Nacktbaden dort ein Ende, weil das Weingartener Moor mit sechsjähriger Verspätung nun tatsächlich zu einem Naturschutzgebiet erklärt wurde.
Quelle:
GLA 235 47678