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Dem Berufsbeamtengesetz keine ausdehnende Auslegung geben: Die Entlassung der Heidelberger Lehrerin Dr. Dora Busch im Juli 1933

Dora Busch mit ihren Töchtern, 1932 | Klicken zum Vergrößern

Über die Beteiligung der Landesministerien an den personellen „Säuberungen“ des öffentlichen Dienstes nach rassistischen und politischen Kriterien ist in unserem Blog schon mehrfach berichtet worden. Im Folgenden soll dieses Thema aus zwei Gründen erneut aufgegriffen werden: zum einen, um zu verdeutlichen, dass es beim Vollzug des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums im Jahr 1933 auf Seiten der regionalen Entscheidungsträger, entgegen den von ihnen später vielfach vorgebrachten Rechtfertigungen, durchaus beträchtliche Handlungsspielräume gab, zum anderen, um auf ein exemplarisches Verfolgungsschicksal aufmerksam zu machen.

Als der von der Berliner Regierung nach Karlsruhe entsandte Reichskommissar Robert Wagner mit einem Erlass vom 5. April 1933 die Beurlaubung sämtlicher „Juden“ im badischen Staatsdienst anordnete, wurde von dieser einer reichsrechtlichen Regelung vorgreifenden Zwangsmaßnahme auch die Heidelberger Lehramtsassessorin Dora Busch betroffen. Sie war 1888 in Wien als Tochter des Staatsrechtsprofessors Georg Jellinek und seiner Frau Camilla, die sich als Frauenrechtlerin einen Namen machte, geboren worden. In Heidelberg aufgewachsen, wo ihr Vater seit 1890 lehrte, hatte sie dort 1911 den österreichischen Psychiater Friedrich Busch geheiratet. Nach dem frühen Tod ihres Mannes, der 1915 als Bataillonsarzt gefallen war, nahm die junge Mutter zweier Töchter ein Studium der Philologie in Heidelberg auf, das sie 1922 mit der Promotion abschloss. Danach war Busch zehn Jahre als Lehramtsassessorin am Heidelberger Mädchenrealgymnasium, dem späteren Hölderlin-Gymnasium, tätig, bis sie im Zuge der rassistischen „Säuberungen“ des öffentlichen Dienstes im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme als „nichtarisch“ eingestuft wurde, obwohl bereits ihr Vater, der einer Rabbinerfamilie entstammte, sich vom jüdischen Glauben abgewandt hatte und sie selbst evangelisch getauft worden war.

Kultusminister mit kurzzeitigen Gewissenszweifeln: Otto Wacker | Klicken zum Vergrößern

Nach der Beurlaubung Buschs infolge des badischen „Judenerlasses“ vom 5. April 1933 wurde seitens des Kultusministeriums wie in allen anderen Fällen auch in ihrem geprüft, wie das zwei Tage später ergangene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums anzuwenden sei. Über diese Prüfung berichtete Minister Otto Wacker in einem Schreiben an das Staatsministerium vom 26. Juli 1933: „Aufgrund des § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums musste sie entlassen werden, obwohl ihr Mann gefallen ist. Der § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums sieht vor, daß das Gesetz keine Anwendung findet, auf diejenigen, deren Väter oder Söhne im Weltkrieg gefallen sind. M. E. ist diesen Fällen der Fall, daß der Ehemann auf dem Feld der Ehre geblieben ist, durchaus gleichzuachten“, meinte Wacker und deutete damit an, dass das hastig zustande gekommene Säuberungsgesetz hier eine Lücke aufweise. Ob beabsichtigt sei, diese zu schließen, habe er durch eine private Anfrage beim Reichsinnenministerium zu erfahren gesucht. Mit der von dort erhaltenen Auskunft, dass eine Ergänzung des Gesetzes „in dieser Richtung“ nicht beabsichtigt sei, wollte sich Wacker nicht begnügen und plädierte gegenüber dem Staatsministerium dafür, im Fall Busch eigenmächtig eine Ausnahme zu machen: „Derartige Fälle werden sehr selten sein, da die wenigsten Frauen die Tatkraft gehabt haben werden, nach dem Tode ihres Mannes sich eine Beamtenstelle zu erringen. Es besteht daher wohl tatsächlich kein Bedürfnis, für diese Fälle eine Änderung des Gesetzes herbeizuführen“. Auf der anderen Seite sei nicht zu verkennen, „daß der vorliegende Fall eine ausserordentliche Härte bedeutet, umsomehr, als Frau Busch als ausserplanmässige Beamtin noch nicht ruhegehaltsberechtigt ist. Sie könnte lediglich Übergangsgebührnisse erhalten“.

Um sein Anliegen zu bekräftigen, zitierte Wacker aus einem Schreiben, das Busch als Reaktion auf ihre Entlassung an das Kultusministerium gerichtet hatte. Sie könne es nicht recht glauben, „daß unsere Regierung sich mit dem Vorwurf beflecken will, daß sie den Kriegsopfern nun nach vielen Jahren noch einen solchen Dank des Vaterlandes zuteil werden lässt“. Wacker hielt dies für einen stichhaltigen Einwand und meinte, „daß es im Sinne des Herrn Reichspräsidenten, auf den ja die Ausnahmebestimmungen für Frontkämpfer im Berufsbeamtengesetz zurückzuführen sind, liegt, wenn man in einem Falle wie dem der Frau Busch dem Berufsbeamtengesetz eine ausdehnende Auslegung gibt“. Er würde die Lehrerin, „die sich zur Lebensaufgabe gestellt hat, die Kinder ihres Mannes in entsprechender Weise zu versorgen und zu erziehen“, gerne weiter im Schuldienst beschäftigen, „für den sie auch in jeder Beziehung vereigenschaftet ist“. Wacker beantragte deshalb, dem Reichsstatthalter vorzuschlagen, einer „in Aussicht genommenen Weiterbeschäftigung der Lehramtsassessorin Dr. Dora Busch geb. Jellinek zuzustimmen“.

Dora Busch nach 1945 | Klicken zum Vergrößern

Wacker erhielt sowohl von seinen Ministerkollegen als auch von Reichsstatthalter Wagner die erbetene Zustimmung, sich in diesem Einzelfall über die Regelungen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums hinwegzusetzen. Letztlich nutzte er diese jedoch nicht. Am 25. August 1933 teilte der Kultusminister dem Staatsministerium mit, dass er „von der mir durch den Reichsstatthalter erteilten Ermächtigung keinen Gebrauch“ machen werde, „vor allem weil andere entlassene nichtarische Lehrer den Fall Busch benutzen wollen, um auch für sich eine Ausnahme vom Gesetz zu erreichen“; bei „wiederholten Berufungen“ aber sei „die gerechte Durchführung des Gesetzes in Frage gestellt“. Er habe „deswegen verfügt, daß es bei der Entlassung der Lehramtsassessorin Frau Dr. Busch sein Bewenden hat“. Ob Wacker neben der genannten Furcht vor der Schaffung eines unerwünschten Präzedenzfalles noch andere Motive für seinen Meinungswandel hatte – ob er etwa nicht riskieren wollte, innerhalb der NSDAP, mit dem Image eines „Judenfreundes“ behaftet, in eine Außenseiterrolle zu geraten –, ergibt sich aus den überlieferten Ministerialakten nicht.

Busch blieb nach ihrer Entlassung aus dem Schuldienst in Heidelberg und besserte das karge Unterstützungsgehalt, das ihr vom badischen Staat widerruflich gewährt wurde, durch die Erteilung von Privatunterricht auf, um die Ausbildung ihrer Töchter zu finanzieren. Als Witwe wurde sie nach 1933 noch ein zweites Mal besonders hart von der nationalsozialistischen Repressionspolitik getroffen: Anders als ihr Bruder Walter Jellinek, der, Staatsrechtler wie sein Vater, 1935 seine Heidelberger Professur verlor, dem aber sein Status als „Nichtarier“ in einer „Mischehe“ einen gewissen Schutz bot, wurde sie zu einem der zahlreichen Opfer der nationalsozialistischen Deportationspolitik. Busch wurde im Januar 1944 mit einem „Abwanderungstransport“ in das Konzentrationslager Theresienstadt verbracht. Von dort kehrte sie nach der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee im Juni 1945 nach Heidelberg zurück. Im Gegensatz zu vielen anderen 1933 Entlassenen wurde sie beruflich rasch rehabilitiert: Von 1946 bis 1948 unterrichtete sie als Studienrätin wieder am Heidelberger Hölderlin-Gymnasium, bis sie, unter den Haftfolgen leidend, als Sechzigjährige in den vorzeitigen Ruhestand trat. Dora Busch starb 1992 in Heidelberg.

 

Quellen:
GLA 233 24139, 480 1820

Literatur:
Norbert Giovannini, Claudia Rink u. Frank Moraw, Erinnern, Bewahren, Gedenken. Die jüdischen Einwohner Heidelbergs und ihre Angehörigen 1933-1945. Biographisches Lexikon mit Texten, Heidelberg 2011, S. 68-71.

Klaus Kempter, Die Jellineks 1820-1955. Eine familienbiographische Studie zum deutschjüdischen Bildungsbürgertum, Düsseldorf 1998.

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