Akten geben Auskunft – Quellen zu Biografien von Verwaltungsbeamten: Teil III – Die Spruchkammerakte
Einer der Schwerpunkte des Forschungsprojekts ist die Untersuchung der beruflichen und politischen Biografien der Ministerialbeamten. In der Archivarbeit begegnen hierzu im Wesentlichen vier Aktentypen: Personalakte, politische Beurteilung, Spruchkammerakte und Versorgungsakte. Diese werden nun in einer Reihe von Beiträgen vorgestellt.
Akten geben Auskunft – Quellen zu Biografien von Verwaltungsbeamten: Teil I – Die Personalakte
Akten geben Auskunft – Quellen zu Biografien von Verwaltungsbeamten: Teil II – Die politische Beurteilung
Akten geben Auskunft – Quellen zu Biografien von Verwaltungsbeamten: Teil IV – Die Versorgungsakte
Ein retrospektiver Blick auf die Biographien der Beamten und Angestellten der badischen Landesverwaltung in der NS-Zeit ergibt sich aus deren Spruchkammerakten. Diese entstanden im Zuge der Entnazifizierungsverfahren nach 1945 und versammeln verschiedene Dokumente, die unter anderem Auskunft über persönliche Daten, die berufliche Laufbahn, Aktivitäten in nationalsozialistischen Organisationen und die jeweilige Einstufung nach dem „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ vom 5. März 1946 als Entlasteter, Mitläufer, Minderbelasteter, Belasteter oder Hauptschuldiger geben. Im Generallandesarchiv in Karlsruhe finden sich die Spruchkammerakten im Bestand 465. Die Findkartei ist nach den Orten, an denen das Spruchkammerverfahren stattfand, gegliedert. Um die zu einer bestimmten Person gehörigen Akten zu finden, muss also die jeweils zuständige Spruchkammer (meist der Wohnort des Betroffenen) bekannt sein.
Chronologisch – die Akten sind allerdings nicht immer so strukturiert – findet sich zunächst der Meldebogen, der von jedem Deutschen, der im März 1945 das 18. Lebensjahr vollendet hatte, abgegeben werden musste. Außer rein biographischen Daten wie Name, Geburtsdatum, Wohnort und Familienstand waren dort von den Betroffenen selbst ihre Mitgliedschaften in der Partei und ihren Gliederungen, SS und SA und sonstigen nationalsozialistischen Organisationen mit Eintrittsdaten und ggf. Funktionen anzugeben. Auch Zugehörigkeit unter anderem zu Wehrmacht, Polizeiformationen und Reichsarbeitsdienst wurden abgefragt. Weiterhin lassen sich den zweiseitigen Bögen die beruflichen Tätigkeiten und der Karriereverlauf während des „Dritten Reichs“ entnehmen, wobei auch Angaben über Einkommen und Vermögen gemacht werden mussten. Konkret waren diese Informationen für die Jahre 1932, 1934, 1938, 1943 und 1945 anzugeben. Schließlich wurde nach Entlassung und/oder Genehmigung der Beschäftigung durch die Militärregierung gefragt. Am Ende hatte der Betroffene eine Einschätzung zu geben, in welche Gruppe des Gesetzes er sich selbst eingliedern würde. Auf der Grundlage des Meldebogens wurde dann über die Eröffnung eines Verfahrens gegen den Betroffenen entschieden.
Teilweise enthalten die Spruchkammerakten auch den Fragebogen der alliierten – im Falle Badens der amerikanischen oder französischen – Militärregierung, der detaillierter als der Meldebogen war. Die 131 Fragen des amerikanischen Fragebogens betrafen über zum Meldebogen äquivalente Fragen hinaus zum Beispiel auch persönliche Kennzeichen wie Größe, Gewicht und Augenfarbe, Religionszugehörigkeit, Schulbildung und berufliche Ausbildung oder Aufenthalte im Ausland sowie Veröffentlichungen und Reden seit 1923. Hinsichtlich der Mitgliedschaften wurden mehr Organisationen und auch Parteimitgliedschaften vor 1933 abgefragt, auch die berufliche Laufbahn und die Vermögensverhältnisse waren ausführlicher anzugeben als im Meldebogen. Weitere Fragen betrafen erlittene Verfolgungsmaßnahmen aus „rassischen“, religiösen oder politischen Gründen, aber auch Beteiligungen an nationalsozialistischem Unrecht wie zum Beispiel der „Arisierung“.
Die wichtigsten Dokumente des eigentlichen Spruchkammerverfahrens sind die Klageschrift, mit der das Verfahren eröffnet wurde und auf die eine Klageerwiderung seitens des Betroffenen bzw. seines Rechtsanwalts erfolgte, sowie Spruch und Sühnebescheid, also der Entscheid der Spruchkammer über die Einstufung und die zu leistende Sühnezahlung. In der Klageschrift wurden die beantragte Eingruppierung und in der Begründung die formalen Verdachtsgründe sowie das Ergebnis der bisherigen Ermittlungen mitgeteilt; auch Beweismittel – beispielsweise wurden Auskünfte bei dem unter anderem die zentrale NSDAP-Mitgliederkartei umfassenden Berlin Document Center (BDC) eingeholt – und Zeugen wurden genannt. Für das Verfahren bzw. den Betroffenen spielten Zeugenaussagen eine wichtige Rolle. Zumeist als eidesstattliche Erklärungen schriftlich abgegeben, sollten diese von Bekannten, Kollegen oder auch prominenten Persönlichkeiten ausgestellten „Persilscheine“ in der Regel den Betroffenen entlasten. Aufgrund dieses Zwecks und der sehr subjektiv gefärbten, teils auch parteiischen Aussagen ist ihr Inhalt quellenkritisch besonders zu prüfen – ebenso natürlich die Aussagen und Erklärungen des Betroffenen selbst, die außer in erläuternden Anlagen zum Meldebogen und der Klageerwiderung auch in den ebenfalls in den Akten enthaltenen Protokollen der Spruchkammersitzungen festgehalten sind.
Da die Aussagen zumeist darauf zielten, die Arbeit der Ministerialbeamten als völlig unpolitisch erscheinen zu lassen, und die Thematisierung heikler Punkte wie zum Beispiel die Zuständigkeit von Referenten des Finanz- und Wirtschaftsministeriums für die „Arisierung“ oder der Gesundheitsabteilung des Innenministeriums für Zwangssterilisationen nach Möglichkeit vermieden wurde, geben sie teils nur wenig Aufschluss über die konkreten Aufgaben und Abläufe der ministeriellen Tätigkeit. Interessant sind sie aber für Fragen der nationalsozialistischen Personalpolitik, geben sie doch (wiederum gegenzuprüfende) Informationen darüber, welche Stellen mit „zuverlässigen Parteigenossen“ besetzt werden sollten, in welchen Fällen dies gelang und in welchen nicht oder inwiefern Beförderungen abhängig von der NSDAP-Mitgliedschaft waren. Auch diesbezügliche Konflikte mit Parteistellen werden erwähnt. Mit Blick auf die Entlastungsstrategien lassen sich außer der vorgeblich unpolitischen Tätigkeit weitere immer wiederkehrende Argumente und Muster konstatieren: So beriefen sich die Betroffenen durchgängig auf ihre fachliche Qualifikation, die allein ausschlaggebend für ihre Beförderung gewesen sei. Ministerialbeamte mit Personalverantwortung führten häufig an, bedrängten Kollegen geholfen zu haben. Auch die Unterstützung und Hilfe für jüdische Mitbürger findet sich oftmals als Entlastungsargument in den Erklärungen des Betroffenen und auch der Zeugen. Letztere entlasteten sich zum Teil in ihren Aussagen auch selbst, ebenso wie der vorgesetzte Minister, jedenfalls im Fall von Walter Köhler, vor allem als sachorientierter und in erster Linie im badischen Interesse handelnder Finanz- und Wirtschaftsminister geschildert wurde.
Die Entlastungsstrategien und Persilscheine taten durchaus ihre Wirkung: Unter den drei badischen Ministern und ihren Ministerialdirektoren findet sich kein „Hauptschuldiger“; der Großteil der Beamten wurde in den unteren Kategorien als „Mitläufer“ oder „Entlastete“ eingestuft. Nicht umsonst hat Lutz Niethammer das Wort von der „Mitläuferfabrik“ für die Entnazifizierung geprägt.
[Aktenbeispiel: Auszug aus der Spruchkammerakte von Dr. Wilhelm Mühe, Ministerialdirektor im badischen Finanz- und Wirtschaftsministerium (GLA 465 h/14154): Meldebogen, eidesstattliche Erklärungen von Dr. Ludwig Sammet, Dr. Alfred Bund und Dr. Gustav Strohm sowie der Badenwerk A.G., Klageschrift, Spruch]