Beamtenbildung im Sinne des Nationalsozialismus: Die Verwaltungsakademien
In der Frage nach Leitbildern des Beamtentums im Nationalsozialismus hatte die nationalsozialistische Regimeführung nur sehr vage Vorstellungen: Der Ablehnung des „Parteibuchbeamtentums“ der Weimarer Republik und der argwöhnischen Abneigung gegenüber allem Bürokratischen, wie sie beispielsweise Hitler deutlich formulierte, steht kein klar umrissener alternativer Leitgedanke zum Wesen der Beamtenschaft gegenüber. Leitvorstellungen der NS-Akteure für den „nationalsozialistischen Beamten“ lassen sich daher in der Regel nur indirekt erschließen. Ganz besonders die Quellen im Kontext der Schulungs- und Fortbildungseinrichtungen für die Beamten des Reiches liefern Hinweise darauf, wie der Beamte im nationalsozialistischen Staat zu sein hatte: Die Verwaltungsakademien, organisiert im „Reichsverband Deutscher Verwaltungs-Akademien“, waren zentrale Fortbildungseinrichtungen für die Beamten des gehobenen mittleren Dienstes. Deswegen ist die Frage relevant, was die Arbeit jener Akademien und des Reichsverbandes auszeichnete und was sich als „spezifisch nationalsozialistisch“ beschreiben lässt.
1936 publizierte der Reichsverband eine Informations- und Werbebroschüre, die die Beamten des Reiches über die Weiterbildung in den Verwaltungsakademien informieren und bei ihnen dafür werben sollte. Die Bedeutung des Beamtentums für den NS-Staat wurde darin in propagandistischem Duktus formuliert: „Dem Beamten sind bei der Errichtung des Dritten Reiches gewaltige Aufgaben gestellt. Der Beamte steht darin vor dem Richterstuhl der Geschichte.“ Der Besuch der Verwaltungsakademien, so hieß es weiter, ermögliche dem Beamten „die nationalpolitische Erziehung und die berufliche Weiterbildung“, um einen „Standpunkt höherer Warte“ zu erreichen. Die Beamten sollten neben der fachlichen Weiterbildung nun auch „politisch-weltanschaulich“ im Sinne der NSDAP geschult und damit auf die neuen Aufgaben des Beamten im „Dritten Reich“ vorbereitet werden. Die Teilnahme an Weiterbildungen war offiziell freiwillig – aus zahlreichen internen Erlassen und Veröffentlichungen geht indes hervor, dass den Beamten der Besuch der Akademien nachdrücklich nahegelegt wurde, deren Zeugnisse zu den Personalakten gelegt und bei Stellenbesetzungen „begünstigend“ hinzugezogen werden sollten. In bis zu achtsemestrigen Abendveranstaltungen sollte es den „ordentlichen Hörern“ möglich sein, sich in systematischen Lehrgängen (432 Stunden), Fachkursen (24 Stunden) und Einzelvorträgen bzw. Vortragsreihen fortzubilden und im Anschluss eine Prüfung abzulegen. Auch Gasthörer waren erwünscht, die einzelne Fortbildungsmaßnahmen besuchen konnten.
Im „Reichsverband Deutscher Verwaltungs-Akademien“ waren zu Beginn der NS-Herrschaft 24 Verwaltungsakademien und zugehörige Außenstellen zusammengeschlossen, die zur Fortbildung der Beamten der mittleren Laufbahn bereits zwischen 1919 und 1933 geschaffen worden waren. Mit der Machtübernahme stellte sich der Vorstand des Akademie-Verbandes dem Hitler-Regime ohne jeglichen Widerstand zur Verfügung. Die Nationalsozialisten – allen voran der Leiter der Reichskanzlei unter Hitler, Hans-Heinrich Lammers – kündigten noch im Jahr 1933 an, die zuvor demokratische Satzung außer Kraft zu setzen und das „Führerprinzip“ einzuführen. Die im März 1935 erlassene Satzung setzte diese Ankündigung konsequent um, indem der von Adolf Hitler ernannte „Führer“ des Reichsverbandes nahezu die gesamte Entscheidungsgewalt über die Organisation des Reichsverbandes und der Akademien in sich vereinigte. Der von Hitler geschätzte Jurist Lammers, Leiter der Reichskanzlei von 1933 bis 1945, ab 1937 im Range eines Reichsministers, verstand sich selbst als „höchster Beamter des Reiches“. Er gehörte zu den wenigen politischen Akteuren mit unmittelbarem Zugang zu Hitler und besaß daher großen Einfluss. Lammers verstand es, die Akademien und den Reichsverband zügig in den Einflussbereich der Partei zu bringen. Im Dezember 1933 übernahm er mit Genehmigung Hitlers die Leitung des Reichsverbandes und war später als Vorträger in verschiedenen Akademien und als Vorsitzender des „Führerrats des Reichsverbandes Deutscher Verwaltungs-Akademien“ tätig. Die im Mai 1935 von Lammers erlassenen „Richtlinien für Organisation und Studium an den deutschen Verwaltungs-Akademien“ formulieren folgenden Anspruch: „Die Verwaltungs-Akademie […] will […] zu verantwortungsbewussten, charakterfesten und zu selbstständiger Leistung fähigen Persönlichkeiten erziehen, die sich b e w u ß t in den Dienst der deutschen Volksgemeinschaft und des nationalsozialistischen Staates stellen.“
Aus den Richtlinien geht deutlich hervor, die Beamten im NS-Staat mehr als nur fachlich schulen zu wollen: Die dortigen Lehrgänge sollten zu „charakterfesten“ Persönlichkeiten erziehen und ein offenkundig ideologiekonformes Dienstbewusstsein erschaffen. Die Akademien waren für die Machthaber des NS-Staates zentrale Institutionen: Die Fortbildung und weltanschauliche Ausbildung der Beamten im Sinne des Nationalsozialismus war im Fokus der NS-Elite – denn ohne die verlässliche Mitarbeit der Beamten war eine Diktatur nicht ohne Weiteres zu verwirklichen.
Zur Sicherstellung einer „erfolgreichen“ politischen und fachlichen Schulung wurden „Gewährsmänner“ aus Partei, Staat und Wirtschaft, aber auch Experten aus speziellen Fachbereichen der Beamtenschaft, als Dozenten der Akademien eingesetzt. Die Leitung übernahmen parteinahe Funktionäre: In der Württembergischen Verwaltungsakademie Stuttgart fungierte beispielsweise Staatssekretär Karl Waldmann als Leiter, die Akademie Baden in Karlsruhe stand unter der Aufsicht von Dr. Eugen Fehrle, seit 1936 Professor für „Volkskunde“ in Heidelberg und 1933-36 Ministerialrat im badischen Kultministerium. Die größte Akademie in Berlin leitete Reichsbeamtenführer Hermann Neef persönlich. Die Bedeutung der Akademien für die nationalsozialistischen Machthaber zeigt sich auch in dem enormen Ausbau der Fortbildungsanstalten. Bis 1944 wuchs das Akademienetz auf 41 Hauptanstalten mit 59 Außenstellen an. Auch außerhalb des sogenannten „Altreichsgebietes“ entstanden Akademien und Außenstellen, so etwa in Prag, Posen, Karlsbad oder Straßburg.
Quellen wie Werbebroschüren, Erlasse, Satzungen, Vorlesungsverzeichnisse oder Presseartikel und andere Publikationen bieten nur eine einseitige, normative Perspektive der von den Machthabern gewünschten Verwaltungspraxis. Sichtbar wird darin lediglich das „offizielle“ Selbstverständnis einer Fortbildungsanstalt, die sich erwartungsgemäß NS-konform und propagandistisch aufgeladen präsentiert. Aus quellenkritischer Perspektive muss das schon deshalb hinterfragt werden, weil es die Intention der NSDAP-Akteure war, diese Akademien als Erfolgsmodell darzustellen. Letztlich sagen diese Quellen viel darüber, was in den Akademien geschehen sollte, aber geben kaum Auskunft, was tatsächlich dort stattfand.
Unerlässlich ist daher auch eine andere Perspektive: Die der Teilnehmer und Zeitzeugen. Diese spiegelt sich ganz besonders in Quellen von Kursteilnehmenden dieser Einrichtungen in Baden und Württemberg, wie beispielsweise in Berichten, Erinnerungen, Zeugnissen, Unterrichtsmaterial oder gar im Briefwechsel zwischen Teilnehmern, womöglich auch Fotos von Veranstaltungen und Jahrgangstreffen. Sollten Sie solches Material besitzen, so können Sie dem Forschungsprojekt damit einen erheblichen Gewinn ermöglichen – machen Sie mit!
Quelle:
Reichsverband Deutscher Verwaltungs-Akademien (Hrsg.): „Die deutschen Verwaltungs-Akademien“, Berlin 1936.