Amtsübernahme auf die rabiate Art: Wie Otto Wacker am 11. März 1933 ins badische Kultusministerium einzog
Vor einiger Zeit ist an dieser Stelle darüber berichtet worden, wie die badischen Nationalsozialisten mit ihrem Versuch scheiterten, ihrer Machtübernahme in Karlsruhe im März 1933 einen Platz im politischen Festkalender des „Dritten Reiches“ zu sichern. Neben äußeren Widrigkeiten – etwa einem Besuch Hitlers in Karlsruhe gerade an jenen Tagen des Jahres 1936, an denen man die „badische Machtübernahme“ hätte feiern können – spielte dabei vor allem eine Rolle, dass diese ein ziemlich unspektakuläres Ereignis war, das kaum für irgendwelche Heroisierungen taugte: Gegen die telegraphische Mitteilung des Reichsinnenministers vom Abend des 8. März, dass ein Reichskommissar eingesetzt worden sei, um die Polizeigewalt in Baden zu übernehmen, hatte die zentrumsgeführte badische Regierung zwar Rechtsverwahrung eingelegt, aber keine weiteren Maßnahmen zum eigenen Schutz getroffen. Der Einzug dieses Reichskommissars, des badischen NSDAP-Gauleiters Robert Wagner, in Karlsruhe am 9. März war keinen Widerständen begegnet – der Parteijournalist Franz Moraller ulkte im Rückblick auf diesen Tag, dass „ein Spazierstock genügt“ hätte, „um diesen Staat aus den Angeln zu heben“. Und auch die Absetzung der bisherigen Regierung am 11. März war – abgesehen von einer kurzzeitigen „Inschutzhaftnahme“ des Staatspräsidenten Josef Schmitt in seiner Wohnung – reibungslos verlaufen.
Wie die Absetzung der badischen Minister im Detail verlief, lässt sich für das Kultusministerium schildern, da der von Wagner als kommissarischer Leiter dieses Ressorts eingesetzte Otto Wacker über seine Übernahme der Amtsgeschäfte ein Protokoll angefertigt hat. Aus diesem geht hervor, dass der seit 1931 amtierende Kultusminister Eugen Baumgartner, ein früherer Gymnasialprofessor, Kreisschulrat und hochrangiger Zentrumspolitiker, der lange Zeit auch Präsident des badischen Landtags gewesen war, gegen seine Absetzung Protest erhob. Er erwiderte Wacker, der am 11. März zwischen „13 und 14 Uhr“ in Begleitung von vier Polizisten und vier SS-Männern das Ministerialgebäude betreten hatte, „dass er weder einen tatsächlichen noch einen rechtlichen Grund für die Einsetzung eines Kommissars in sein Ministerium anzuerkennen vermöge“. Baumgartner stellte auch die Legitimität der Einsetzung Wagners als Reichskommissar in Frage, da „wohl niemand behaupten“ könne, „dass die badische Regierung im gesamten oder die einzelnen Minister im besonderen ihre Pflicht gegenüber dem Reich, der Verfassung und den Gesetzen oder gegen rechtmässige Anordnungen der Reichsorgane verletzt hätten. Für Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sei die Einsetzung von Kommissaren weder notwendig noch rechtlich irgendwie begründet. Von einer Übernahme von Geschäften könne deshalb keine Rede sein“. Wenn Wacker nun „Räume und Dienstgeschäfte des Ministers in Anspruch nehme“, so könne er ihn nicht daran hindern, „da er nicht im Besitze der Polizeigewalt sei. Er weiche der brachialen Gewalt“, meinte Baumgartner und legte „in aller Form Rechtsverwahrung ein“.
Wacker entgegnete Baumgartner daraufhin das, was von Wagner am gleichen Tag in der Presse zur Rechtfertigung der Absetzung der badischen Landesregierung vorgetragen wurde: Durch den am Vortag erfolgten Rücktritt der Regierung, die ihre Geschäfte nur noch bis zum Wiederzusammentritt des Landtags führen wollte, habe sich die „Beunruhigung der Öffentlichkeit […] wesentlich verschärft, insbesondere seien starke Meinungsverschiedenheiten zwischen örtlichen Polizeistellen und nationalen Verbänden in Erscheinung getreten, darüber hinaus habe der Rücktritt der Regierung den Beginn von Kompetenzstreitigkeiten eingeleitet“. Die nun erfolgende Übernahme der gesamten Regierungsgewalt durch den Reichskommissar sei die einzige Möglichkeit, „einem entstehenden Chaos vorzubeugen“.
Die Ablehnung einer „ordnungsmässigen ‚Übernahme‘ der Geschäfte“ durch Baumgartner, dessen Rechtsverwahrung Wacker Wagner mitzuteilen in Aussicht stellte, hinderte den frisch ernannten Kommissar für das Kultusministerium nicht daran, die Geschäfte zu übernehmen. In dem Protokoll hielt Wacker fest, dass hierbei jedoch von „Anwendung brachialer Gewalt keine Rede sein könne“; vielmehr habe die von ihm „lediglich zu seiner persönlichen Begleitung“ mitgenommene Polizei und SS-Mannschaft das Ministerialgebäude bald nach seiner Ankunft wieder verlassen. Er sei überzeugt gewesen, „dass der Herr Minister Baumgartner im Hinblick auf die gespannte Lage keine Schwierigkeiten machen werde“, und somit habe eine „Gewaltanwendung […] gar nicht in seiner Absicht gelegen“. Wacker habe Baumgartner dann anheimgestellt, „sein gesamtes hier vorhandenes Privateigentum, das sich in den Diensträumen befände, abholen zu lassen oder mitzunehmen; eine Prüfung desselben läge nicht in seiner Absicht“. Seine Schlüssel zu den Amtsräumen habe Baumgartner zunächst behalten, aber „auf besondere Aufforderung am 13. März 1933 unter nochmaligem Hinweis auf die von ihm abgegebene Erklärung übergeben“.
Anders als bei der Machtübernahme im Kultusministerium, bei der es zu einem verbalen Scharmützel zwischen Baumgartner und Wacker kam, verlief die „Amtsübernahme“ im Finanzministerium ganz friedlich – glaubt man den retrospektiven Schilderungen des für dieses Ressort ernannten Kommissars, des späteren badischen NS-Ministerpräsidenten Walter Köhler, in seinen Lebenserinnerungen: Köhler erschien am 11. März, ebenfalls gegen 13 Uhr, an seinem neuen Arbeitsplatz in Begleitung nur eines Polizisten, den er vor dem Ministerium zurückließ. Der amtierende Minister Wilhelm Mattes empfing ihn in seinem Arbeitszimmer, wo ihm Köhler den Auftrag des Reichskommissars überreichte, „über den er natürlich nicht überrascht war. Er verzichtete auf Protest, den die anderen für nötig hielten, und wich auch nicht der Gewalt, die ich, da ich in Zivil erschienen war, bestimmt nicht repräsentierte“. Mattes bat ihn dann, so Köhler in seinen Lebenserinnerungen, „einen Augenblick im Empfangszimmer“ zu warten, „da er seine persönlichen Sachen zusammenpacken wollte, wogegen ich natürlich nichts einzuwenden hatte“. Wenn denn überhaupt etwas den Stabwechsel im Finanzministerium trübte, dann geschah es unabsichtlich: Köhler nämlich hatte ein Auge auf das Zigarrenkästchen auf der Spiegelkonsole des Empfangszimmers geworfen und freute sich schon darauf, in Kürze im Ministersessel sitzend eine Zigarre zu rauchen und über seine künftigen Aufgaben zu räsonieren, als Mattes „mit den Worten: die Zigarren sind mein Eigentum! das Zigarrenkästchen unter den Arm“ nahm „und verschwand. Das war meine erste Enttäuschung als Minister“, so Köhler, der an dieser Stelle wie generell in seinen Lebenserinnerungen in sichtlich selbstzufriedener Rückschau den Eindruck zu vermitteln versuchte, Machtübernahme, Gleichschaltung und nationalsozialistischer Herrschaftsausbau seien ganz alltägliche politische Dinge gewesen.
Quelle: Generallandesarchiv Karlsruhe 235 Nr. 8123
Protokoll Wacker 235 8123