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Die pädagogische Mobilmachung – Schule in Baden im Zeichen des Nationalsozialismus

Ingeborg Wiemann-Stöhr hat im vergangenen Jahr ihre Doktorarbeit über die „pädagogische Mobilmachung“ in Baden im „Dritten Reich“ veröffentlicht. Ihre Arbeit bietet zahlreiche thematische Anknüpfungspunkte zu kultur- und bildungsgeschichtlichen Fragestellungen, die auch in unserem Forschungsprojekt eine Rolle spielen, und wir freuen uns deshalb, dass Frau Wiemann-Stöhr ihre Arbeit an dieser Stelle selbst knapp porträtiert.

Buchumschlag – Wiemann-Stöhr, Ingeborg, Die pädagogische Mobilmachung | Klicken zum Vergrößern

Die vorliegende Untersuchung hat sich zum Ziel gesetzt, zu erforschen, in welchem Maße das badische Schulsystem von den Nationalsozialisten okkupiert und mit welcher Intensität es auf die „nationalsozialistische Weltanschauung“ umgestaltet worden ist. Um diesen Forschungsansatz durchzuführen, war es erforderlich, die Lehrer- und Schülerschaft, Lehrpläne und Lehrwerke, den Unterricht selbst, die Schulverwaltung, die HJ und die politisch Verantwortlichen in den Blick zu nehmen. Der Einfluss der regionalen „Hoheitsträger“, etwa in Person der Kreisleiter, auf die Schulen ist ebenso in die Untersuchung einbezogen wie die Handlungsräume der Schulleiter und Lehrer.

Besonders die Tätigkeit der „Funktionselite“ der Schulräte, die, anders als in Darstellungen in der Literatur, ab 1937 ausnahmslos Parteigenossen waren und die sich fast vollständig aus „alten Kämpfern und alten Parteigenossen“ rekrutierten, leistete einen wichtigen Beitrag bei der Nazifizierung von Schule im Bereich der Volksschulen, beim Unterricht und bei der „Umerziehung“ der Lehrerschaft. Die Arbeit der Schulräte war doppeldeutig, das heißt mit einem offenen und einem verdeckten Arbeitsauftrag. Denn über den gesetzlichen Auftrag hinaus auf „Beratung und Unterstützung“ eines „jeden Lehrers“ hatten sie einen inoffiziellen Auftrag, weitergegeben in einem als „vertraulich“ eingestuften Erlass, auf „Führung und Erziehung eines Lehrers“. Damit wurde den Schulräten große Verantwortung für die „Umerziehung“ der Lehrerschaft und die Durchführung des Unterrichts im Sinne des Systems auferlegt. Aber kraft ihrer Parteimitgliedschaft aus der „Kampfzeit“ war ihnen (bis auf zwei Schulräten, die 1933 unter Druck eingetreten waren) die Nazifizierung der Schulen auch ein persönliches Anliegen, das aus ihren langjährigen politischen Überzeugungen resultierte.

Da an den Höheren Schulen nicht genug „Parteigenossen“ als Direktoren zur Verfügung standen, wurde die als unverzichtbar erachtete – formelle und informelle – politische Aufsicht über die Arbeit der Gymnasien durch „Vertrauensmänner“ des Gauamtsleiters Karl Gärtner, Parteigenossen innerhalb der Lehrerschaft sowie von den Kreisleitern durchgeführt. Ein dichtes Netz von „Vertrauensmännern“ durchzog das gesamte Schulsystem. Die „Vertrauensmänner“ (Frauen sind an keiner Stelle erwähnt) wurden regelmäßig zu Tagungen einberufen, denen der Gauamtsleiter selbst oder ihm vertraute „Mitarbeiter“ beiwohnten. Zweck der Tagungen war nicht nur die emotionale „Einschwörung“ auf die „Weltanschauung des Nationalsozialismus“ und die „Ziele des Führers“, sondern auch das Abfragen entsprechender Informationen.

Amtsblatt des Badischen Ministeriums des Kultus, des Unterrichts und der Justiz Nr. 3, Februar 1934 | Klicken zum Vergrößern

Die Grundlage für die gesamte Umgestaltung aller Schulen lag in den gesetzlichen Maßnahmen, die als direkte Arbeitsanweisungen für alle Beteiligten verstanden und auch realisiert wurden, wobei der badische Nationalsozialistische Lehrerbund eine im Sinne des Systems wichtige Rolle übernahm. Schon unmittelbar nach der Machtübernahme begann die badische Schulverwaltung mit der „Neuausrichtung“ badischer Schulen, die planvoll und systematisch durchgeführt wurde. Das „Gesetz für die Grund- und Hauptschule vom 29. Januar 1934“ wurde „in Eile durchgepeitscht“ und einen Tag vor dem „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches“ am 30. Januar 1934 in Kraft gesetzt (dabei in seiner Geltung auf dem 18. Januar zurückdatiert), bevor die Hoheitsrechte der Länder aufgehoben und auf das Reich übertragen wurden.

Unter Rückgriff auf „alte nationalsozialistische Grundsätze“ wurde der Grund- und Hauptschule in §1 die Aufgabe zugewiesen, die Jugend „auf dem Baugrund von Blut, Boden, Volksgemeinschaft und Religiosität“ zum „charaktervollen deutschen Menschen zu erziehen.“ Dies sollte durch die Unterrichtsfächer, zum Beispiel „Deutsch mit Volkskunde und Geschichte auf völkischer Grundlage“ unterstützt werden. Das Schulgesetz vollzog auch einen gewichtigen Eingriff in die Rechte von Städten und Gemeinden. Deren Mitentscheidungsrechte wurden bei der Besetzung von Stellen vollständig abgeschafft. Dieses Schulgesetz war eine unmittelbar geltende Arbeitsanweisung für alle am Prozess Beteiligen und die Grundlage für badische Entscheidungen bis zum Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Diese Arbeit mit Konzentration auf die Volksschulen und das Höhere Schulsystem untersucht viele der in der Literatur allgemein akzeptierten Thesen, kann eine Vielzahl von ihnen für Baden falsifizieren und schafft einen Forschungsstand, den man vom als liberal geltenden Baden nicht erwartet hätte. Die Vorgaben des Reichserziehungsministeriums in Form von Richtlinien und Lehrplänen wurden mit der Realisierung in Baden verglichen. Die Analyse ergab (fast) immer eine ideologisch verschärfte Umsetzung durch die badisch-nationalsozialistische Kultusbürokratie, für die der vom Hauptlehrer zum Ministerialdirektor aufgestiegene Karl Gärtner und seine Entourage standen. Sein „verlängerter Arm“ in alle Schulen war der NSLB, der planvoll, mit großer politischer Zuverlässigkeit und großem Fleiß die Vorgaben des Abteilungsleiters und Gauamtsleiters umsetzte, sodass die normativen Vorgaben „unverfälscht“ bei den Lehrern und Lehrerinnen ankamen und umgesetzt werden konnten. Anders als Darstellungen in der Literatur es beschreiben, verfügte die badisch-nationalsozialistische Kultusverwaltung in Gestalt von Karl Gärtner (und seiner Entourage) über ein schulpolitisches Konzept, das von Anfang an planvoll, systematisch und mit großem Einsatz auf verschiedenen Ebenen umgesetzt wurde. Ungeplante ad-hoc-Entscheidungen sind in Baden hingegen nicht festzustellen, auch wenn flexibles Handeln nicht ganz ausgeschlossen war.

Titelseite – Bausteine für den neuzeitlichen Unterricht, hrsg. v. Karl Gärtner, 1934 | Klicken für Gesamtansicht

Alle Entscheidungen, zum Beispiel über Lehrwerke und Lehrpläne, wurden frühzeitig getroffen und systematisch ausgeführt. Schon im Mai 1933 wurde der Gebrauch von Schulbüchern aus der Zeit der demokratischen Republik im Unterricht der Volksschule massiv eingeschränkt. Nur wenige Wochen nach der Machtübernahme begannen Arbeitsgruppen unter Leitung des Ministerialrates und Gauamtsleiters Gärtner mit der Ausarbeitung von Arbeitsmitteln, Lehrwerken und sogenannten Ergänzungsheften, die kein vorübergehender Ersatz waren, sondern als „Träger der Ideologie“ in allen Schularten eingesetzt wurden. Schon ab Mitte 1934, viele Jahre vor den Druckerzeugnissen des Reiches, standen die ersten Unterrichtsmaterialien zur Verfügung und machten frühzeitig einen nationalsozialistisch geprägten Unterricht in allen Schulen Badens möglich.

Es kann also zusammengefasst werden, dass sich in Baden eigene, vielfach abweichend-verschärfte Verhältnisse und eine nahezu vollständige Nazifizierung aller Schulen finden. Die weiteren Kapitel des Buches beziehen sich unter anderem auf die „Umerziehung der Lehrerschaft“, die Rolle der Unterrichtsprinzipien „rassenpolitische Erziehung“ und „Pflege der Luftfahrt“, die die Einführung der neuen Lehrpläne überlagerten, aber auch auf Einfluss und Stellenwert der Hitlerjugend, die Höheren Schulen, den Geschichtsunterricht und die „wehrgeistige Erziehung“ als Grundlage der „pädagogischen Mobilmachung“ der Jugend im nationalsozialistischen Baden.

Wiemann-Stöhr, Ingeborg, Die pädagogische Mobilmachung. Schule in Baden im Zeichen des Nationalsozialismus, Bad Heilbrunn 2018. (ISBN 978-3-7815-2217-6, 49,00 €)

Quellen:
GLA 235 Nr. 37530, GLA 235 Nr. 35436

 

Quelle

 

 

 

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