https://ns-ministerien-bw.de/wp-content/themes/nslmbw

Badische Koalitionsverhandlungen am Vorabend des nationalsozialistischen Staatsstreichs vom 9. März 1933

Beitrag aus der Karlsruher Zeitung am 8. März | Klicken zum Vergrößern

Über die unmittelbare Vorgeschichte der Einsetzung der zunächst provisorischen nationalsozialistischen Landesregierung in Baden am 11. März 1933 ist recht wenig bekannt. So konnten die Ereignisse bislang im Wesentlichen nur anhand der zeitgenössischen Presseberichterstattung rekonstruiert werden, auf die sich auch die einschlägige Darstellung Horst Rehbergers in seinem 1966 erschienenen Buch „Die Gleichschaltung des Landes Baden 1932/33“ stützt. Die Hauptquellen sind zwei kurze Berichte in der „Karlsruher Zeitung“: Am 8. März teilte das Blatt mit, dass am Vortag in einer Aussprache über allgemeine Fragen zwischen den Führungskräften der NSDAP und des Zentrums erste Beratungen über eine Regierungsumbildung stattgefunden hätten. Bei einer zweiten Besprechung am 8. März sei ein Vertreter der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) hinzugezogen worden, und von „nationalsozialistischer und deutschnationaler Seite“ sei ein „positiver Vorschlag“ zu „der Zusammensetzung einer neu zu bildenden Regierung und der Besetzung der Ministerien“ gemacht worden. Der Verhandlungsführer des Zentrums habe diesen Vorschlag entgegengenommen, „ohne selbst dazu Stellung zu nehmen“. Einen Tag später, am 9. März, meldete die „Karlsruher Zeitung“, dass die Gauleitung der NSDAP den Abbruch der Koalitionsverhandlungen beschlossen habe: „Durch die neue politische Entwicklung, die in der Entsendung des Reichskommissars Robert Wagner nach Baden ihren Ausdruck findet“, seien die „seither geführten Verhandlungen über die Umbildung der badischen Regierung illusorisch geworden“.

Was im Einzelnen bei den letztlich fruchtlosen Koalitionsverhandlungen zwischen NSDAP, Zentrum und DNVP am 7. und 8. März 1933 besprochen wurde, lässt sich inzwischen anhand zweier Quellen rekonstruieren, die Rehberger für sein Buch nicht zur Verfügung standen: Es handelt sich dabei um die im Stadtarchiv Weinheim verwahrten Lebenserinnerungen des damaligen Vorsitzenden der NSDAP-Landtagsfraktion und späteren badischen Ministerpräsidenten Walter Köhler, die für unsere Projektbelange allgemein eine wichtige Quelle darstellen, und um ein undatiertes, aber offenkundig ganz zeitnah entstandenes Protokoll der Verhandlungen, das sich im Nachlass des damaligen Vorsitzenden der Landtagsfraktion des Zentrums Ernst Föhr im Erzbischöflichen Archiv in Freiburg erhalten hat – dort entdeckte es vor kurzem der Heidelberger Student Viktor Fichtenau im Zuge der Recherchen für seine Masterarbeit über die badische DNVP.

Dass die Gespräche über eine Neubildung der Regierung überhaupt stattfanden, war eine direkte Folge der Reichstagswahlen vom 5. März 1933, bei denen die Nationalsozialisten in Baden mit knapp über 45 Prozent der Wählerstimmen ein besseres Ergebnis erzielten als im Reichsdurchschnitt. Für die landespolitischen Verhältnisse hatte dies insofern indirekte, aber wichtige Auswirkungen, als damit eine große Diskrepanz zwischen der Zusammensetzung des letztmals 1929 gewählten Landtags, in dem die NSDAP nur acht von 88 Mandaten besaß, und der aktuellen politischen Stimmungslage im Lande zum Ausdruck kam. Bereits nach den beiden Reichstagswahlen des Vorjahres und auch nach der Einsetzung der Regierung Hitler am 30. Januar 1933 hatten die badischen Nationalsozialisten die Auflösung des Landtags und Neuwahlen gefordert, was von der Landesregierung, die bis zum November 1932 von Zentrum, Deutscher Volkspartei (DVP) und SPD und seitdem nur noch von den beiden erstgenannten Parteien getragen wurde, aber jeweils abgelehnt worden war. Am 6. März verschärften die Nationalsozialisten ihr Vorgehen und forderten „angesichts der politischen Situation“ den „sofortigen Rücktritt“ der Regierung „und die Bildung einer neuen Badischen Regierung unter nationalsozialistischer Führung entsprechend dem Ausgang der gestrigen Reichstagswahl“. Ein weiteres dilatorisches Verhalten meinte die Landesregierung sich nun nicht mehr leisten zu können und trat deshalb in die erwähnten Verhandlungen ein, mit denen der Staatspräsident Josef Schmitt für die Zentrumspartei Ernst Föhr beauftragte.

Walter Köhler, 1929 (GLA 231 2937 (980)) | Klicken zum Vergrößern

Über sein erstes Treffen mit Föhr, ein  Vieraugengespräch am 7. März 1933, hielt Walter Köhler in seinen Lebenserinnerungen fest, dass er „Dr. Föhr als Repräsentant der stärksten politischen Kraft im Lande gegenüber“ getreten sei, aber nicht „den wilden Mann“ gespielt habe, „was auf ihn auch bestimmt keinen Eindruck gemacht hätte“. In der Sache sei man sich nicht nähergekommen, da Köhler die verfassungsrechtlichen Bedenken der Landesregierung gegen Neuwahlen für „an den Haaren herbeigezogen“ gehalten habe. Allerdings hätten auch Neuwahlen die akuten Probleme nicht lösen können, da „angesichts der Schwäche der Regierung eine Beteiligung der stärksten Partei einfach unvermeidlich“ gewesen sei. In welcher Form diese geschehen könne, sei am nächsten Tag besprochen worden, und zwar unter Hinzuziehung des Landtagsabgeordneten Paul Schmitthenner, der die Interessen der DNVP, des Koalitionspartners der NSDAP in Berlin, vertreten sollte. Gemeinsam mit Schmitthenner habe er, so Köhler, Föhr einen konkreten Vorschlag unterbreitet, nämlich „eine Regierung zu bilden, in der NSDAP und DNVP die Mehrheit hätten und in der wir den Staatspräsidenten und zwei Minister und Zentrum und DNVP je einen Minister erhalten sollten“. Personalvorschläge seien mit Ausnahme der Frage, ob der amtierende Innenminister Erwin Umhauer (DVP) mit einem Ministerium betraut werden sollte, nicht erörtert worden. Föhr habe die Vorschläge „mit Interesse, aber ohne Begeisterung entgegen“ genommen und zugesagt, „daß er Vorstand und Fraktion seiner Partei unterrichten würde, er selbst habe keine Vollmacht“. Diese Zurückhaltung sei ihm selbst, so Köhler, willkommen gewesen, „denn auch ich befand mich in einer unangenehmen Situation. Ich hatte weder von Berlin noch von München irgendwelche Orientierung, welche Absichten im Hinblick auf die notwendige Angleichung der Länder angesichts der neuen Situation bestehen“. Um sich diese Orientierung zu verschaffen, wollte sich Köhler am nächsten Tag, dem 9. März, mit Reichsinnenminister Wilhelm Frick in Frankfurt treffen. Dieses Vorhaben wurde obsolet, als am Abend des 8. März Fricks Telegramm in Karlsruhe eintraf, mit dem er die Einsetzung Robert Wagners als Reichskommissar mitteilte, wodurch der Weg zur Ausschaltung der amtierenden Landesregierung und zu einer Regierungsneubildung nach nationalsozialistischem Belieben frei wurde.

Das von Föhr angefertigte Protokoll gibt nicht nur ausführlichere, sondern auch in Details abweichende Informationen über den Verlauf der Koalitionsverhandlungen: Das erste Gespräch habe am 7. März um 11 Uhr im Landtagsgebäude begonnen und eine Dreiviertelstunde gedauert. Köhler habe ihm dabei seine Absicht erläutert, die Regierung solle zurücktreten und die Geschäfte „unter Gewährung von massgebendem Einfluss an die Nationalsozialisten“ weiterführen; ferner sei der Landtag unmittelbar aufzulösen, und Neuwahlen sollten innerhalb von 14 Tagen stattfinden. Föhr hielt fest, dass er sich klar dagegen ausgesprochen habe – wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen eine Landtagsauflösung und mit dem praktischen Hinweis, dass sich die nötigen Wahlvorbereitungen nicht binnen zweier Wochen treffen ließen. Daraufhin habe Köhler seinerseits einen Rückzieher gemacht: Wenn die Wahlen erst turnusgemäß im Herbst 1933 stattfinden sollten, „hätte seine Partei kein Interesse an der Beteiligung“ an der Regierung. Er müsse jetzt erst einmal „von der Reichsparteileitung Weisung haben, was geschehen soll“.

Ernst Föhr (GLA 231 2937 (902)) | Klicken zum Vergrößern

Nachdem man so unverrichteter Dinge auseinandergegangen sei, so Föhr, habe ihn Köhler noch am Abend des 7. März telefonisch für den nächsten Tag um ein zweites Gespräch gebeten, wiederum um 11 Uhr im Landtag, aber dieses Mal im Dabeisein Schmitthenners, da die „Deutschnationalen möglichst mit einbezogen werden“ sollten, wenn eine Koalition zustande komme. Föhrs Aufzeichnungen zufolge stand bei dem zweiten Gespräch die strittige Frage, ob der Landtag aufgelöst oder für ein halbes Jahr in unveränderter Zusammensetzung weiter tagen sollte, nicht mehr zur Debatte. Vielmehr hätten ihm Köhler und Schmitthenner sogleich einen Vorschlag zur Zusammensetzung einer neuen Regierung präsentiert: Zentrum, Nationalsozialisten und Deutschnationale sollten in ihr vertreten sein, nicht aber der bisherige kleine Koalitionspartner DVP. Bei der Kräfteverteilung innerhalb der Regierung dachten Köhler und Schmitthenner an „drei Ministerien für die Harzburger Front“ (das heißt: NSDAP und DNVP) und eines für das Zentrum. Dies habe er, so Föhr, kategorisch zurückgewiesen: Mit diesem Vorschlag würde er „noch nicht einmal vor die Parteiinstanzen“ treten.

Nach kurzer Beratung untereinander hätten Köhler und Schmitthenner, so das Protokoll weiter, einen modifizierten Vorschlag präsentiert: „zwei Ministerien für die Harzburger Front, eins für das Zentrum, das vierte durch einen Fachminister […], wofür sie Herrn Dr. Umhauer in Vorschlag brachten, weil sie ihm zu Dank verpflichtet seien“. Eine Erläuterung für diese Volte – denn der amtierende Innenminister Umhauer war im Dezember 1932 als Abgeordneter der DVP, die Köhler zuvor hatte ausgeschlossen wissen wollen, in die Regierung gelangt – gibt das Protokoll nicht. Offensichtlich sah Föhr in Umhauer keinen sicheren Kantonisten mehr, sondern einen mutmaßlichen Überläufer zur NSDAP, denn er erhob die Forderung, dass „zwischen der Harzburger Front und den übrigen Mitgliedern der Regierung“ Parität bestehen müsse, „so dass eine gegenseitige Überstimmung ausgeschlossen sei“, und dass das Zentrum deshalb zwei Ministerien erhalten müsse. Auf die Frage, welches Ministerium das Zentrum in erster Linie anstrebe, habe er das Innenministerium genannt, das Köhler allerdings für die Nationalsozialisten gefordert habe. Als letztes Zugeständnis habe Köhler dann vorgeschlagen: „Zwei Ministerien Harzburger Front, ein Ministerium Zentrum und zwar Unterrichtsministerium; viertes Ministerium Dr. Umhauer und zwar wohl Justizministerium“. Welcher der vier Minister Staatspräsident – „vielleicht Dr. Umhauer“ – werden solle, könne später geklärt werden. Föhr selbst wollte, so sein Protokoll, zu diesem Vorschlag keine Stellung nehmen, versprach aber, die Parteiinstanzen damit zu befassen. Dies sollte, obwohl Köhler ihn zu einer rascheren Entscheidung zu drängen versuchte, erst am Sonntag, den 12. März, geschehen.

Wovon Köhler in seinen Lebenserinnerungen gar nicht berichtet und was auch nicht recht zu den von Föhr festgehaltenen eigenen starken Vorbehalten gegen eine Koalitionsbildung mit der NSDAP passt: Seinem Protokoll zufolge präsentierte er Köhler und Schmitthenner am 8. März noch ein in neun Punkte gefasstes Programm, „welches etwa die Linie der zu verfolgenden Politik in Baden sein müsse“. Es umfasste Bestandsgarantien wie die „Einhaltung der Verfassung des Reiches und des Landes“, das „Festhalten an der Eigenstaatlichkeit der Länder“ oder „keinerlei Veränderung der kirchenpolitischen Gesetzgebung zu Ungunsten der Kirchen“, neben diesen defensiven Punkten aber auch wirtschaftspolitische Zielvorgaben wie die „Förderung der Landwirtschaft“, die „Erhaltung des Mittelstandes“ oder über die Bemühungen des Reiches hinausgehende Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung. Dies deutet darauf hin, dass Föhr das von ihm skeptisch beurteilte Koalitionsprojekt vielleicht doch nicht nur als eine Not- und Übergangslösung betrachtete. Dieses Programm, so hielt er am Schluss des Protokolls fest, habe „in allen Punkten die Zustimmung“ Köhlers und Schmitthenners gefunden – nur bezüglich der Kulturpolitik habe Köhler den Vorbehalt geäußert, dass den Nationalsozialisten die „Staatsnotwendigkeiten“ wichtiger seien, wenn diese sie „in die Unmöglichkeit versetzen, die Leistungen gegenüber den Kirchen einzuhalten“.

Bericht der Karlsruher Zeitung über den Abbruch der Verhandlungen, 9. März | Klicken zum Vergrößern

Welche Einsichten lassen sich nun aus dem detaillierten Protokoll der wegen der Einsetzung eines Reichskommissars folgenlos gebliebenen Koalitionsverhandlungen gewinnen? Zum einen wird aus den Aufzeichnungen Föhrs deutlich, dass die Führung der badischen Nationalsozialisten knapp anderthalb Monate nach der Einsetzung der Regierung Hitler noch keine klare Handlungsstrategie für eine „Machtübernahme“ in Baden besaß und dass sie auch auf den Wahlerfolg vom 5. März nur situativ reagierte. Dass Köhler im Gespräch mit Föhr im Viertelstundentakt seine Verhandlungsposition revidierte, mag eine Überzeichnung des Protokollanten sein – Köhlers Entscheidungsunfähigkeit in dieser Situation gestehen jedoch auch seine Lebenserinnerungen ein. Zum anderen wirft das Protokoll ein Schlaglicht auf die politische Orientierungslosigkeit der Zentrumspartei am Vorabend ihrer erzwungenen Entmachtung: Das maximale Verhandlungsziel, das Föhr verfolgte, nämlich als gleichberechtigter oder vielleicht sogar als tonangebender Partner in einer Koalitionsregierung maßgeblich die Geschicke der Landespolitik mit einer Perspektive von einem halben Jahr lenken zu können, lässt sich wohl kaum als Ausdruck guten politischen Augenmaßes, sondern eher als Indiz dafür werten, dass der badischen Zentrumspartei nach 14 Jahren in ununterbrochener Regierungsverantwortung diese zum Selbstzweck geworden war. Schließlich unterstreicht das Protokoll ganz allgemein die Binsenweisheit, dass den retrospektiven Aussagen von Politikern grundsätzlich misstraut werden sollte. Noch deutlicher als Köhlers die Koalitionsverhandlungen bagatellisierende Ausführungen zeigen dies die Erinnerungen der dritten an ihnen beteiligten Person: In Schmitthenners Autobiographie nämlich werden sie gar nicht erwähnt, da sie nicht in das Narrativ passen, das er sich für die Nachwelt und sich selbst zurechtgelegt hatte. Diesem zufolge sei er erst am 11. März, nachdem sich die „badische Revolution […] ohne deutschnationale Mitwirkung auf kaltem Wege und ohne Widerstand“ vollzogen habe, zur eigenen Überraschung von Reichskommissar Wagner zu Gesprächen über die Bildung einer kommissarischen Regierung gebeten worden, denen er sich aus Gründen der Parteiräson nicht habe entziehen können und die schließlich dazu geführt hätten, dass er in sie „als Deutschnationaler Staatskommissar abgeordnet“ worden sei.

Quelle: Erzbischöfliches Archiv Freiburg Na 73/1

 

weitere Quellen:

Stadtarchiv Weinheim Rep. 36/4298 (Köhler)
Landeskirchliches Archiv Karlsruhe 150/028 (Schmitthenner)

Hinterlassen Sie einen Kommentar