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Ein ungeschriebener Persilschein: Warum der demokratische Politiker und Psychologieprofessor Willy Hellpach dem badischen NS-Kultusminister Paul Schmitthenner eine Absage erteilte

Willy Hellpach (GLA 231 Nr. 2937 (12)) | Klicken zum Vergrößern

Wie anderen Projektmitarbeiterinnen und Projektmitarbeitern verursacht auch dem Verfasser dieser Zeilen die regelmäßige Lektüre von Spruchkammerakten inzwischen mitunter Verdruss. Einerseits sind sie unverzichtbare Quellen, um Daten und andere Informationen zu politischen Biographien zu erschließen; andererseits erweisen sich die vom Volksmund rasch zu „Persilscheinen“ deklarierten Leumundszeugnisse zugunsten Betroffener, die erhebliche Teile der Spruchkammerakten ausmachen, als nicht selten ganz unbrauchbare, in jedem Fall aber höchst problematische Dokumente, aus denen sich nur mit Mühen unter den vielfach floskelhaft apologetischen Aussagen einzelne verifizierbare Sachverhalte herausarbeiten lassen. Mehr als über die Zeit des „Dritten Reiches“, möchte man fast sagen, verraten die Spruchkammerakten über die Nachkriegsgesellschaft – im Allgemeinen über die Schlussstrichmentalität, die sich rasch ausbildete, und im Besonderen über die Netzwerke, die die einzelnen Betroffenen aufbauten, um ihrer politischen Rehabilitierung und damit verbunden auch ihrer materiellen Reintegration den Weg zu bereiten.

Unter diesen Prämissen lässt sich auch die Spruchkammerakte des Historikers Paul Schmitthenner lesen, der seit 1933 der badischen Regierung als rechtskonservativer Alibikandidat in der Funktion eines ressortlosen Staatsministers angehört und 1940, längst zum Nationalsozialisten gewandelt, die kommissarische Leitung des Kultusministeriums übernommen hatte. Ein besonderes Kennzeichen von Schmitthenners Spruchkammerverfahren war sein schleppender Gang: Nach zweijähriger Internierungshaft und anschließender Erkrankung Schmitthenners wurde das Verfahren vor der Zentralspruchkammer Karlsruhe erst am Jahresende 1949 eröffnet. Anderthalb Jahre später erfolgte die Einstellung; Schmitthenner konnte sich unter Verweis auf seine Krankheit so lange einer mündlichen Verhandlung entziehen, bis er von den Gesetzesänderungen zur Abwickelung der Entnazifizierung profitierte, die zuletzt nur noch die Durchführung von Spruchkammerverfahren gegen mutmaßliche Hauptschuldige und Belastete vorsah, zu denen die Karlsruher Kammer ihn nicht zählen wollte.

Mit Persilscheinen hatte sich Schmitthenner bereits aus seiner Internierungshaft heraus zu versorgen begonnen, und er konnte zum Schluss eine Gruppe durchaus prominenter Entlastungszeugen zusammenstellen. Für seine Karlsruher Ministertätigkeit waren dies nach dem Krähe-Augen-Prinzip unter anderem der ehemalige nationalsozialistische Ministerpräsident Walter Köhler, der frühere Ministerialdirektor im badischen Innenministerium Friedrich Karl Müller-Trefzer sowie Michel Fuhs, der unter Schmitthenner die Hochschulabteilung im Kultusministerium geleitet hatte. Als Zeugen für seine Amtsführung als Rektor der Universität Heidelberg (1938-1945) konnte Schmitthenner Eugen Fehrle – einen problematischen Kandidaten, da dieser wie er selbst zu den nach 1933 politisch avancierten Professoren gehörte – mobilisieren, aber auch den Philosophen Karl Jaspers, der Schmitthenners Interventionen zugunsten seiner als „nicht arisch“ abgestempelten Ehefrau honorierte. Prominenten Beistand erhielt Schmitthenner auch durch den (süd)badischen Staatspräsidenten Leo Wohleb, der ihn zum Gegner des Reichsstatthalters und Gauleiters Robert Wagner erklärte, obwohl er ihn persönlich erst am Jahresende 1944 kennengelernt hatte.

Welche Mühen es Schmitthenner gekostet hat, dieses Konvolut von Persilscheinen zusammenzustellen, und wie viele Absagen er bei seinem mutmaßlichen Bemühen um dessen Vergrößerung erhalten hat, ist nicht bekannt. Dass es zumindest in einem Fall eine solche Absage gegeben hat, belegt ein Zufallsfund bei der Durchsicht des Nachlasses Willy Hellpachs, eines demokratischen Politikers, der von 1921 bis 1925 als Amtsvorgänger Schmitthenners das badische Kultusministerium geleitet hatte, 1925 als Kandidat bei der Reichspräsidentenwahl gegen Paul von Hindenburg angetreten war und Schmitthenner während seiner Tätigkeit als Psychologieprofessor an der Universität Heidelberg kennengelernt hatte. Hellpach erreichte die Bitte Schmitthenners um Erstellung eines Leumundszeugnisses für sein Spruchkammerverfahren offenkundig im Frühjahr 1948. Nach einigem Zögern, das Hellpach mit einer ernsten Erkrankung seiner Frau begründete, antwortete er ihm mit einem Brief vom 5. Juni, in dem er das Ansinnen zurückwies: Was er „zu schreiben vermöchte, würde Ihnen nichts nützen, sondern eher bei den urteilenden Instanzen den Eindruck einer Gefälligkeitsbekundung machen; und reichliche Erfahrung zeigt mir, daß dies schädlicher ist, als gar nichts“.

Paul Schmitthenner (UAHD BA Pos I 01267) | Klicken zum Vergrößern

Um zu begründen, warum er zu mehr als einer phrasenhaften Gefälligkeitserklärung nicht in der Lage wäre, holte Hellpach in dem Brief etwas weiter aus und würdigte zunächst Schmitthenners politische Karriere vor 1933 als Landtagsabgeordneter der Deutschnationalen Volkspartei. Er habe ihn damals zu den „stärksten politischen Hoffnungen gezählt“ und sich von ihm maßgebliche Beiträge zu einer Umwandlung der deutschnationalen Bewegung zu einer „wahrhaft und im modernen Stile konservativen Partei“, die „unserer jungen Republik bitter Not tat“, versprochen. Auch seinen Eintritt in die badische Regierung im Jahr 1933 habe er Schmitthenner noch nachsehen können: „Sogar daß sie schließlich der Partei [der NSDAP] beitraten, machte mich darin anfangs nicht irre, da ich es als eine widerwillige, wenn auch bedauerliche Konzession taktischer Art auslegte. Später aber, gerade als sie das Rektorat antraten und Unterrichtsminister wurden, ist mir ihre betont propagandistische rednerische Haltung zur ‚Bewegung‘ immer unbegreiflicher geworden“. Hellpach konzedierte, dass Schmitthenner gute Absichten gehabt und „hinter den Kulissen mancherlei gewirkt“ haben möge, „was wir nicht wußten und was wir ihnen darum auch nicht bezeugen können; aber alles das haben Sie doch immer wieder überschattet mit Ihren rednerischen Kundgebungen, welche immer einseitiger die Überhitztheit des Konvertitentums atmeten und darum auf uns vielfach so fatal wirkten“. Als sei dies noch nicht deutlich genug, legte Hellpach nach: „Auch Ihr Uniformtausch, ihr Aufstieg in der neuen Truppengattung [der SS], Ihr offensichtliches Streben nach immer höheren Machtpositionen wirkte in der gleichen beklagenswerten Richtung. Sie ließen schließlich sogar […] die gesellschaftlichen Beziehungen zu uns der Partei nicht Genehmen fallen, was ich Ihnen nicht etwa aus gesellschaftlichem Ehrgeiz, aber aus sachlichen Gesichtspunkten heraus, sehr verübelt habe, denn stets hatte ich als einen Bestandteil aller politischen Gesittung vertreten, daß politische Gegnerschaft mit privaten Beziehungen nicht verquickt werden dürfe“.

Hellpach wiederholte den Vorwurf des NS-Konvertitentums mit dem persönlichen Hinweis, dass er es 1943 nicht gewagt haben würde, „nochmals in irgendeiner Frage Ihre Beratung zu erbitten, so radikal empfand ich Ihre Haltung in entscheidenden Ansichten gegen damals gewandelt“, bevor er am Schluss des Briefes einen versöhnlichen Ton anschlug und sein Bedauern über Schmitthenners aktuelle Situation aussprach: „Sie haben seither Schweres erduldet und nach allem menschlichen Ermessen für das, was man Ihnen zur Last legen könnte, überreichlich gebüßt. Ihnen mehr zu ersparen, würde mir (wie in zahlreichen Fällen) ein aufrichtiges Anliegen sein, aber mir fehlt die Handhabe dazu“. Auch werde er die „sehr freundlichen Erinnerungen“, die er an ihn „vor 1933“ habe, „durch alles, was dann dazwischentrat, niemals trüben lassen“. Hellpachs mit freundlichen Worten schließende, aber sachlich in schonungsloser Weise begründete Weigerung, Schmitthenner mit einem Persilschein zu versorgen, dürfte für den Verlauf seines Spruchkammerverfahrens unerheblich gewesen sein. Dass sie sich in Hellpachs Nachlass erhalten hat, ist aber ein glücklicher Umstand, da sie das Bild vom politischen Wirken Schmitthenners um einige Nuancen erhellt, die in seiner Spruchkammerakte nicht zu erkennen sind.

Quelle: GLA N Hellpach 445

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