„Französische Schminke weicht altem deutschem Kulturgut“ – Die „Germanisierung“ Straßburgs am Beispiel der Umbenennung von Straßen und Plätzen
Ein Teil unseres Forschungsprojekts widmet sich der nationalsozialistischen Herrschaft im Elsass, die vornehmlich aus dem angrenzenden Baden durch die dortigen Landesministerien organisiert wurde. In einem Hauptseminar, das Prof. Sylvia Paleletschek und Dr. Marie Muschalek im Wintersemester 2016/17 anboten, beschäftigten sich Studierende der Universität Freiburg mit dieser Grenzgeschichte. Der folgende Beitrag ist Teil einer Reihe von Artikeln, die im Rahmen des Seminars entstanden sind.
Nach der deutschen Eroberung Frankreichs begann im de facto annektierten Elsass rasch ein strikter Germanisierungsprozess. Durch das Verbot des Französischen im Privaten wie Öffentlichen sollte der deutsche Charakter des Elsass unterstrichen werden und dieses mit dem mittlerweile vierten Wechsel der Staatszugehörigkeit in 75 Jahren endgültig deutsch werden und bleiben. Eine der ersten Handlungen in der Re-Germanifizierung war die Umbenennung von Straßen und Plätzen, denn „[d]ie Namen von Straßen und Plätzen spiegeln nicht nur die Inhalte des kulturellen Gedächtnisses einer Stadt, sie bestimmen aufgrund ihrer Orientierungsfunktion auch das Alltagsleben ihrer Bewohner in erheblichem Maße“ (Wemhoff, S.401). Die neuen deutschen Machthaber waren daran interessiert, die Straßburger „Stadtlandschaft symbolisch zu überschreiben“ (Wemhoff, S. 400), da die Großstadt ein ‚Schaufenster’ für das gesamte Elsass darstellte und auch als spätere Hauptstadt eines Gaues Oberrhein vorgesehen war. Die deutsche Stadtverwaltung legte sehr großen Wert auf die Öffentlichkeitswirkung der Umbenennungen, was unter anderem an der großen Zahl von Artikeln in den Straßburger Neuesten Nachrichten sowie der öffentlichen Publikationen wie Verzeichnissen und Stadtführern ersichtlich wird.
Für die Straßburger war es nicht das erste Mal, dass sie sich an neue Straßen- und Platzbezeichnungen zu gewöhnen hatten. In der wechselvollen jüngeren Geschichte der Stadt und des Landesteils war es bei jedem Nationalitätswechsel zu Umbenennungen gekommen. Zuletzt war es nach der Angliederung Straßburgs und des Elsass an Frankreich im Juni 1919 zu Umbenennungen gekommen. Straßen ohne explizit politischen Charakter erhielten entweder ihren ehemaligen französischen Namen aus der Zeit vor 1870 zurück oder ihr deutscher Name wurde übersetzt. 1925 kam die Stadtverwaltung den elsässischen Regionalisten für die damalige Zeit sehr weit entgegen und begann, die Straßenschilder bilingual umzugestalten, wie es auch heute wieder der Fall ist.
Im Juli 1940, also nur einen Monat nach Beginn der deutschen Besatzung des Elsass, gab es eine Aufforderung des badischen Gauleiters Robert Wagner und Chefs der Zivilverwaltung im Elsass (CdZ), welche die unverzügliche Ersetzung französischer Bezeichnungen durch deutschsprachige forderte. Bei einer Ansprache Ende August desselben Jahres sagte Wagner, dass die Fehler der Germanisierungspolitik der Reichslandzeit nicht wiederholt und die französischen Einflüsse im Gegensatz zu 1871 endgültig beseitigt würden. Die Straßburger Neuesten Nachrichten kommentierten bissig: „Der französische Geist, der all die Jahre in Straßburg spukte, wird ausgefegt und niemand wird ihm eine Träne nachweinen.“
Auf die Einführung der Deutschen Gemeindeordnung, welche die Benennung von Straßen, Plätzen und Brücken regelte, folgte im gleichen Zeitraum der „[e]rste […] Erlass zur Wiedereinführung der Muttersprache für Ortsnamen, Ortstafeln, Straßen-, Platz und Gebäudebezeichnungen“. In Straßburg war Stadtarchivar Dr. Joseph Brauner für die Vorschläge von neuen Straßennamen zuständig. Die neuen Namen waren in vielen Fällen jene aus der Reichslandzeit vor 1918, auf zu eindeutige Rückbezüge auf die Kaiserzeit, zum Beispiel Königsplatz, wurde aber verzichtet. Einige wenige unverfängliche Namen wurden aus dem Französischen übersetzt und weiterverwendet, beispielsweise Schwarzwaldstraße oder Gutenbergplatz. Auch rassistische Gründe spielten eine Rolle, so dass aus der rue de Juifs die Maurerzunftgasse wurde. Weitere Namensgeber waren unter anderem elsässische Orte und Burgen, bedeutende Elsässer, Bezeichnungen aus der lokalen Geschichte, deutsche Städte oder Personen aus der neueren deutschen Zeitgeschichte. Natürlich fehlten auch zahlreiche NS-Größen wie Hitler und Göring nicht, wobei sich Gauleiter Wagner verbat, Straßen und Plätze nach ihm und seinen Mitarbeitern zu benennen.
Prestigeträchtig begannen die Umbenennungen am 21. August 1940 mit den drei größten Plätzen der Stadt: Die place Broglie wurde zum Adolf-Hitler-Platz, die place de la République zum Bismarckplatz und die place Kléber zum Karl-Roos-Platz. Dazu fand eine feierliche Zeremonie des CdZ im Rathaus statt. In den folgenden Wochen erhielten auch die meisten anderen Straßen und Plätze im Stadtgebiet deutsche Namen. Zunächst gab es größere Schwierigkeiten in der praktischen Durchführung, da in dieser kurzen Zeit bei weitem nicht alle Straßenschilder ausgetauscht werden konnten; Provisorien aus Holz verschafften kurzfristig Abhilfe. Erst 1941 waren alle 3434 metallenen Straßenschilder ersetzt. Bei der Stadtverwaltung sorgten die Kosten der Umbenennungen allerdings für Besorgnis.
In der Folgezeit gab es bis 1942 weitere Umbenennungen, zum Beispiel zu besonderen Anlässen wie der „Straßburger Tagung des Bundes der Elsaß-Lothringer im Reich“ im September 1941 oder nach dem Flug des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess nach England (aus der Rudolf-Hess-Straße wurde die Bismarckstraße). Im Dezember 1942 erfolgten die letzten größeren Umbenennungsmaßnahmen, da nach Eingemeindungen zahlreicher Umlandgemeinden nun Doppelungen von Straßburger Straßennamen vorkamen.
Bereits knapp zwei Jahre später sollte es wieder zu umfangreichen Änderungen kommen, als Straßburg von den Franzosen befreit wurde.
Quelle (Theodor Ellgering: „Bekanntmachung. Umbenennung von Strassen und Plätzen“, in: Straßburger Neueste Nachrichten (24.08.1940), S. 12.):
Verwendete Quellen
A .S.: „Wieder deutsche Strassennamen in Strassburg. Feierlicher Auftakt zur Umbenennung – Stadtkommissar Dr. Ernst sprach beim Festakt im Rathaus“, in: Straßburger Neueste Nachrichten (05.09.1940), S. 5-6.
E. H. D..: „Der deutsche Charakter kehrt wieder. Zur Umbenennung der drei Straßburger Plätze“, in: Straßburger Neueste Nachrichten (21.08.1940), S. 5.
Ellgering, Theodor: „Bekanntmachung. Umbenennung von Strassen und Plätzen“, in: Straßburger Neueste Nachrichten (24.08.1940), S. 12.
o. A.: „Strassburgs Strassen und Plätze deutsch!“, in: Straßburger Neueste Nachrichten (05.09.1940), S. 7.
o. A.: „Unsere neuen Straßennamen. Französische Schminke weicht altem deutschem Kulturgut“, in: Straßburger Neueste Nachrichten (06.09.1940), S. 5.
o. A.: „450 Straßen und Plätze erhalten neue Namen. Umbenennungen im Geister deutscher Vergangenheit“, in: Straßburger Neueste Nachrichten (04.12.1942), S. 6.
Stadtkommissar (Hrsg.): Amtliches Verzeichnis der Straßen und Plätze der Stadt Straßburg, Straßburg 1940.
„Verordnung über die Benennung von Straßen, Plätzen und Brücke“ in der Fassung vom 01. April 1939 (RGBl. I 1939, S. 703).
Verwendete und weiterführende Literatur
Ellgering, Theodor: Der Aufbau der Stadtverwaltung Strassburg 1940, Straßburg 1941.
Ernst, Robert: Zur Umbenennung der Plätze in Straßburg, in: Friedrich Spieser (Hrsg.): Straßburger Monatshefte. Zeitschrift für das deutsche Volkstum am Oberrhein (Oktober 1940), Hünenburg im Elsass, S. 156-159.
Kettenacker, Lothar: Nationalsozialistische Volkstumspolitik im Elsaß, Stuttgart 1973.
Moszberger, Maurice: Dictionnaire historique des rues de Strasbourg, Straßburg 2012.
Riedweg, Eugène: Strasbourg, ville occupée 1939-1945. La vie quotidienne dans la capitale de l’Alsace durant la Seconde Guerre Mondiale, Steinbrunn-Le-Haut 1982.
Stachel, Peter: Stadtpläne als politische Zeichensysteme. Symbolische Einschreibungen in den öffentlichen Raum, in: Rudolf Jaworski/Ders. (Hrsg.): Die Besetzung des öffentlichen Raumes. Politische Plätze, Denkmäler und Straßennamen im europäischen Vergleich, Berlin 2007, S. 13-60.
Voigt, Wolfgang: Deutsche Architekten im Elsass 1940-1944. Planen und Bauen im annektierten Grenzland, Tübingen/Berlin 2012.
Volz, Hans: Der Kampf gegen den Westen 1940 (Das Reich Adolf Hitlers. Dokumente der deutschen Politik, 8.2), Berlin 1943.
Wemhoff, Sebastian: Geschichtskultur im Grenzraum. Denkmäler und Straßennamen in Straßburg von 1871 bis 1945, in: Burkhard Olschowsky (Hrsg.): Geteilte Regionen, geteilte Geschichtskulturen? Muster der Identitätsbildung im europäischen Vergleich (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 47, Schriften des Europäischen Netzwerkes Erinnerung und Solidarität 6, Regionen des östlichen Europas im 20. Jahrhundert Bd. 1), München 2013, S. 399-417.