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Wie ein badischer Ministerialbeamter die Amtskette des Rektors der Universität Straßburg heim ins Reich holte. Ein Beitrag zum 75. Jahrestag der Eröffnung der Reichsuniversität Straßburg

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Übergabe der Rektorenkette durch Herbert Kraft an Staatsminister Paul Schmitthenner (aus: Der Führer, 14.05.1941) | Klicken zum Vergrößern

Ein Prestigeprojekt der deutschen Besatzungspolitik im Elsass im Zweiten Weltkrieg war der Aufbau der Universität Straßburg zu einer „Reichsuniversität“, die an die Tradition der dort von 1872 bis 1918 existierenden „Kaiser-Wilhelms-Universität“ anknüpfen und damit den Anspruch bekräftigen sollte, das Elsass wie zu Zeiten Kaiser Wilhelms I. wieder dem Reich anzuschließen. Um die Bedeutung der „Wiedereröffnung“ der Universität zu unterstreichen, wurde diese mit einem aufwändigen Festakt am 23. November 1941 begangen, an dem neben Reichserziehungsminister Bernhard Rust, dem Chef der Präsidialkanzlei des „Führers“ Staatsminister Otto Meißner und dem Chef der Zivilverwaltung im Elsass Robert Wagner auch zahlreiche Rektoren deutscher Universitäten teilnahmen. Erster Hauptredner vor dem Reichserziehungsminister war der frisch gekürte Rektor der Reichsuniversität, der aus Bonn nach Straßburg berufene Ophthalmologe Karl Schmidt. Er trug bei dieser Gelegenheit die für die damalige „Kaiser-Wilhelms-Universität“ gefertigte Rektorenkette, die erst wenige Tage zuvor aus Karlsruhe nach Straßburg gebracht worden war.

Die von Kaiser Wilhelm II. gestiftete Rektorenkette wurde 1897 von dem aus Württemberg stammenden und damals in Straßburg tätigen Goldschmied Walther Eberbach ausgeführt nach einem Entwurf des Direktors der dortigen Kunstgewerbeschule Anton Seder. Die Emblematik der Kette spiegelte den engeren zeitgeschichtlichen Entstehungskontext deutlich wider: Neben dem Anhänger, der einem Straßburger Akademiesiegel aus dem 16. Jahrhundert nachempfunden war, dem Wappen der Stadt und figürlichen Darstellungen der fünf Fakultäten bot der Bildschmuck auch den Wappen des Elsass und Lothringens sowie den Porträts der drei deutschen Kaiser Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. Platz. Mit der dadurch transportierten politischen Aussage wurde die Rektorenkette bei der Wiedereröffnung der Universität Straßburg als französische Hochschule im November 1919 unbrauchbar. Immerhin wurde sie aufbewahrt und gelangte knapp 20 Jahre später, Anfang September 1939, nach Clermont-Ferrand, wohin die Universität Straßburg bei Kriegsbeginn mit ihrem mobilen Besitz evakuiert wurde.

Mit der militärischen Niederlage Frankreichs und dem Aufbau einer Zivilverwaltung im Elsass seit dem Sommer 1940, für die maßgeblich Personal aus der badischen Ministerialbürokratie herangezogen wurde, fiel die Verantwortung für den rasch in Aussicht genommenen „Wiederaufbau“ der Universität Straßburg zunächst der Abteilung Kultus und Unterricht beim Chef der Zivilverwaltung zu. Geleitet wurde diese Abteilung von dem kommissarischen badischen Kultusminister Paul Schmitthenner, der sich auch wegen seiner Erfahrungen als Rektor der Universität Heidelberg (seit 1938) für diese Aufgabe gut gerüstet sah und sich über den Tagesmühen, wie der Suche nach einem Gründungsrektor, der Vision hingab, Straßburg zu einer badisch-elsässischen Landesuniversität machen zu können. Bevor dieser Vision bald durch die Entscheidung Adolf Hitlers, Straßburg als „Reichsuniversität“ dem Reichserziehungsministerium zu unterstellen, der Boden entzogen wurde, unternahm die Abteilung Kultus und Unterricht beim Chef der Zivilverwaltung im Elsass erhebliche Anstrengungen, um die materiellen Grundlagen für die „Wiedereröffnung“ zu schaffen. Dazu gehörte in erster Linie die Rückführung der Mobilien der Universität, hauptsächlich Bibliotheks- und Sammlungsbestände, mit der Ministerialrat Herbert Kraft betraut wurde, ein Veteran der badischen NSDAP, der bei der Verteilung lukrativer Posten 1933 mit der Leitung der Abteilung für Höhere Schulen im Kultusministerium abgefunden worden war.

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Schreiben des Stadtrats Peter Ludwig Riedner vom 8. August 1941 (aus: GLA 235 5243) | Klicken zum Vergrößern

Als Sonderbeauftragter für die „Rückführung“ von Kunst und Kulturgütern ins Elsass bereiste Kraft am Jahresende 1940 das unbesetzte Frankreich und führte Gespräche mit der Vichy-Regierung auch über den in Clermont-Ferrand sowie in den Schlössern Des Quayres, Teix und Cordes befindlichen Straßburger Universitätsbesitz, der am Jahresanfang 1941 – auf französische Kosten – mit zwei Güterzügen (33 und 42 Waggons) und 20 Lastkraftwagen ins Elsass verbracht wurde. Bei dieser Mission entdeckte Kraft auch die Straßburger Rektorenkette, deren „Rückführung“ Mitte Mai 1941 von dem Parteiblatt der badischen NSDAP „Der Führer“ öffentlich gemacht wurde. Mit Blick auf die näher rückende Eröffnung der Universität Straßburg ließ Kraft die Rektorenkette von einem Karlsruher Juwelier restaurieren, was einiges Interesse weckte: So bat der Karlsruher Stadtrat Peter Ludwig Riedner im August das Kultusministerium darum, dass die „äußerst seltene und divisille Arbeit von großem künstlerischen Wert“ im Schaufenster des Juweliers Heinrich Paar ausgestellt werden dürfe – in der irrigen Annahme, die Kette sei 1897 in Karlsruhe gefertigt worden, versprach sich Riedner davon auch einen Werbeeffekt für die „Wertarbeit Karlsruher Handwerker“. Die Genehmigung zur Ausstellung wurde erteilt, und in der Presse wurde auf die Möglichkeit einer Inaugenscheinnahme des wertvollen Stückes in dem Ladengeschäft am Karlsruher „Adolf-Hitler-Platz“ hingewiesen.

Nachdem inzwischen klar war, dass die badischen Kultusverantwortlichen an den Geschicken der Universität Straßburg nicht mehr würden mitwirken können, scheint auch das Interesse Schmitthenners und Krafts an dem wiederaufgefundenen Schmuckstück abgeebbt zu sein. Zwar ließ Kraft die Rektorenkette rechtzeitig nach Straßburg bringen, zeigte sich aber ziemlich ungehalten, als der Kurator der nun eröffneten „Reichsuniversität“ die Frage aufbrachte, wer die Restaurierung der Kette angeordnet habe und wer die Kosten tragen solle. In seinem Antwortschreiben vom 12. Dezember 1941 machte Kraft deutlich, dass er die Kette der Universität nicht in dem Zustand habe überreichen können, „in dem sie mir von den Franzosen übergeben wurde“. Er habe „durch einen Fachmann die Beschädigungen ausbessern lassen“ und außerdem ein Lederetui angeschafft, da er die Kette ja nicht „in Zeitungspapier und Servietten eingewickelt“ habe liegen lassen können. Für die Kosten, „die durch die Beschädigung der Kette und abhanden gekommene Etui entstanden sind“, müsse selbstverständlich die französische Regierung aufkommen. Wenn der Kurator nicht bereit sei, hierfür in Vorleistung zu treten, so bitte er darum, „dass die Kette wieder in den Zustand verbracht wird, in dem sie sich befand, und dass man mir das Etui zur Verfügung stellt“.

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Die Rektorenkette (aus: Der Führer, 02.09.1941) | Klicken zum Vergrößern

Wie der Streit um die Kosten gelöst wurde, ist den badischen Ministerialakten nicht zu entnehmen. Jedenfalls verblieb die Rektorenkette im restaurierten Zustand bis zur Befreiung der Stadt durch die Alliierten am 23. November 1944 in Straßburg. Nach dem Krieg wurde sie dort „in den Tiefen einer Schublade“ des Universitätspalastes, in ihrem neuen Etui, entdeckt, wie Daniel Bornemann in einem knappen instruktiven Artikel in der Revue de la BNU über die Rektoratskette schreibt. Die Universitätsbibliothek Straßburgs inventarisierte die Kette im Juli 1950 unter der Nummer 14 308. Ab diesem Zeitpunkt geriet die Kette vollkommen in Vergessenheit – bis zu diesem Jahr.

Denn anlässlich der feierlichen Eröffnung des europäischen Campus EUCOR am 11. Mai 2016, der die fünf Universitäten Karlsruhe, Freiburg, Straßburg, Haut-Alsace und Basel in einem Kooperationsverbund zusammenbringt, trug der amtierende Präsident der Universität Straßburg Alain Beretz die 1,7 kg schwere, auffällige Kette (dort auch Fotografien des Universitätspräsidenten mit Kette). Das Tragen der Ehrenkette der Universität sei eine weithin gepflegte Tradition in den Universitäten Zentral- und Nordeuropas entgegnete Beretz dem langjährigen Le Monde-Kolumnisten und Blogger Pierre Dubois, der sich über dessen Intentionen Fragen stellte. Die politische Ikonografie der Angliederungs- und Annexionspolitik des Kaiserreichs und des „Dritten Reichs“ gegenüber dem Elsass umdeutend oder sich aneignend, erklärte Beretz weiterhin: „Die Kette tragen, das hieß einem starken Symbol Gestalt geben, nämlich das einer Universität, die sich ihrer Vergangenheit stellt, um sich der Zukunft zuzuwenden, und die Grenzen überwinden kann.“ («Porter ce collier, c’était justement concrétiser un symbole fort, celui d’une université qui assume son passé pour se tourner vers l’avenir, qui sait transcender les frontières.») Und so ist die Kette wieder einmal zu einem starken, medial aufbereiteten symbolischen Objekt geworden. Diesmal jedoch stand sie nicht für den deutschen Herrschaftsanspruch im Elsass, sondern für die Idee einer grenzüberschreitenden, europäischen Verständigung – trotz deutsch-imperialer Bildsprache.

Quellen: GLA 235 5243

 

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