Ministerialbeamte als Gesinnungsschnüffler: Das Dienststrafverfahren gegen den Konstanzer Lehrer Josef Hecht
Auch nach den weitgreifenden personellen „Säuberungen“ im Zuständigkeitsbereich des badischen Ministeriums des Kultus und Unterrichts in den Jahren 1933/34 waren sich die Nationalsozialisten der politischen Loyalität der Lehrerschaft nicht sicher. Deshalb hielten sie insbesondere Lehrer, die früher der Zentrumspartei angehört oder nahegestanden hatten, unter scharfer Beobachtung. Das Kultusministerium als Aufsichtsbehörde musste dabei nicht selbst aktiv werden, konnte es sich doch auf die Denunziationsbereitschaft frisch installierter regimetreuer Schulleiter und anderer beflissener NSDAP-Parteimitglieder vor Ort verlassen, die Kenntnisse anstößigen politischen Verhaltens in der Lehrerschaft nach Karlsruhe weitertrugen. Wie wenig es bedurfte, um das Kultusministerium in solchen Fällen zur Einleitung von Disziplinarmaßnahmen zu bewegen, illustriert das 1938/39 durchgeführte Dienststrafverfahren gegen den Konstanzer Lehrer Josef Hecht.
Hecht, Lehrer seit 1917, ehemaliges Mitglied der Zentrumspartei sowie des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, namhafter Kunsthistoriker, der für seine Arbeiten über den romanischen Kirchenbau am Bodensee eine Freiburger Ehrendoktorwürde erhalten hatte, unterrichtete an der Zeppelin-Oberschule für Jungen in Konstanz. Er wurde für Äußerungen zur Rechenschaft gezogen, die er im November 1937 und im März 1938 in einer Gaststätte im Schweizer Kreuzlingen gemacht haben sollte. Ohrenzeuge und Denunziant war ein Kollege Hechts, der Studienassessor Heinrich Seeber, seinerseits tätig an der Heeresfachschule Konstanz. Von einem Nachbartisch in der Gaststätte „Zum Bären“ aus habe er, so versicherte Seeber zunächst gegenüber dem Rektor der Zeppelin-Schule und später gegenüber der Aufsichtsbehörde, mehrere anstößige Äußerungen Hechts gehört: Er habe bedauert, dass sich der Schweizer Dichter Jakob Schaffner, ein Sympathisant der nationalsozialistischen Ideologie, in Deutschland feiern lasse, ferner dass der Ton der Schweizer Presse gegenüber Deutschland in den letzten Jahren „sehr verwässert“ sei. Hecht habe sein Unverständnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass in der Schweiz die Kommunisten verhaftet würden, und er habe konstatiert, dass man in Deutschland „krumm angesehen“ werde, wenn man, wie er selbst, regelmäßig in die Schweiz gehe. Politisch brisanter waren zwei weitere kolportierte Aussagen Hechts: Er habe prognostiziert, dass der politische Druck in Deutschland fortdauern werde, „bis sich das Volk Luft macht“, und es für bewundernswert erklärt, dass es noch Männer gebe, „die nicht vor Hitler kuschen“. Augenzeugenschaft machte Seeber schließlich für die Übergabe eines Mussolini lächerlich machenden Artikels aus der „Weltbühne“ durch Hecht an einen „jüdisch aussehenden Herrn“ geltend.
Nach einer Vernehmung des Zeugen und des Beschuldigten in Konstanz durch einen Juristen des Kultusministeriums beantragte Ministerialdirektor Paul Frank in Vertretung des in Berlin weilenden Ministers Otto Wacker am 23. November 1938 beim badischen Ministerpräsidenten Walter Köhler ein förmliches Dienststrafverfahren „mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst“ gegen Hecht – dieser war bereits zuvor mit der vorläufigen Dienstenthebung und dem Einbehalt eines Viertels seiner Dienstbezüge gemaßregelt worden. Für die Forderung nach dauerhafter Entfernung aus dem Dienst berief sich Frank auf den zweiten Absatz des dritten Paragraphen des Deutschen Beamtengesetzes vom 26. Januar 1937, demzufolge jeder Beamte „jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten“ habe. Für das Dienststrafverfahren nominierte Frank aus seinem Hause als „Untersuchungsführer“ Regierungsassessor Dr. Thomas Würtenberger und als „Vertreter der Einleitungsbehörde“ Oberregierungsrat Dr. Otto Mayer. Ministerpräsident Köhler stimmte dem Antrag am 22. Dezember 1938 zu, da auch ihm der Beschuldigte „der ihm zur Last gelegten Verletzung der Treuepflicht hinreichend verdächtig“ erschien.
Die Durchführung des Dienststrafverfahrens gestaltete sich langwierig, auch weil die Kreuzlinger Gaststätte in Augenschein genommen und eine Planskizze angefertigt werden musste, um zu überprüfen, ob Seeber von seinem Platz aus hatte hören können, was Hecht mit seinen Schweizer Gesprächspartnern erörtert hatte. Ausweislich des Kassenbuchs des „Bären“ war an dem fraglichen Tag im November 1937 mit 170 Gästen starker Geschäftsbetrieb, und es war zweifelhaft, ob in Anbetracht der lebhaften Unruhe durch das „Kommen und Gehen der Gäste und der Bedienung, das Hin- und Herrücken der Stühle, das Klappern der Teller und Tassen“ klare akustische Wahrnehmungen möglich waren. Hecht bestritt die ihm zur Last gelegten Äußerungen und konnte einen der Vorwürfe Seebers sogar zweifelsfrei entkräften: Der verdächtige Mussolini-Artikel entstammte nicht der Emigrantenzeitschrift „Weltbühne“, sondern der politisch unverdächtigen „Weltwoche“ und stellte auch nicht die durch eine plakative Überschrift suggerierte Verunglimpfung des italienischen Faschistenführers dar. Bei den übrigen Vorwürfen stand Aussage gegen Aussage, da sich unter den Gästen des Kreuzlinger „Bären“ niemand finden ließ, der Seebers Behauptungen bestätigte. Den Untersuchungsführer Würtenberger focht dies nicht an: Er suchte nach Ersatzbelastungsmomenten und fand diese zum Beispiel in der politischen Beurteilung Hechts durch seinen Konstanzer Schulleiter, der zu Protokoll gab, dass „es jenem gerade im Geschichtsunterricht besonders bei der Behandlung der Fragen der nationalen Entwicklung an der nötigen Wärme fehle“. Auch das Votum des Kreisamtsleiters des Nationalsozialistischen Lehrerbundes wurde zu Rate gezogen: Hecht stehe dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüber, da er immer noch „in der Gedankenwelt des politischen Katholizismus gefangen“ sei. Diese Einschätzungen zweier an den inkriminierten Vorfällen gänzlich Unbeteiligter nutzte Würtenberger im Fazit seines im Juni 1939 vorlegten Untersuchungsberichts zu der Schlussfolgerung, dass Hecht die „ihm vorgeworfenen Äußerungen im ‚Bären‘ zu Kreuzlingen immerhin zuzutrauen seien“. Diese Annahme erschien ihm dann ausreichend für die Feststellung: „Der Beamte hat somit die ihm obliegende Pflicht, jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten, auf das schwerste verletzt“.
Ministerpräsident Köhler sah über die eklatanten Inkohärenzen in der Argumentation des Untersuchungsberichts hinweg und ersuchte Würtenbergers Kollegen im Kultusministerium Mayer, der Dienststrafkammer eine Anschuldigungsschrift vorzulegen. Mayer konzedierte in ihr, dass das Verfahren mit der Glaubwürdigkeit des einzigen Zeugen „steht und fällt“; trotzdem kam er aber zu dem klaren Votum, dass schwerste Dienstpflichtverletzungen vorliegen: „Ein Beamter, der sich so aeussert, und insbesondere noch im Ausland, ist nicht mehr würdig, Beamter zu sein. Bei dieser Sachlage kann überhaupt nur eine Dienststrafe in Frage kommen: Die Entfernung aus dem Dienst“. Die Dienststrafkammer Karlsruhe sah dies in ihrer Sitzung am 20. Dezember 1939 allerdings anders und sprach Hecht mangels Beweisen frei. Somit blieb Seebers Denunziation für den weiteren beruflichen Werdegang Hechts letztlich folgenlos: Der von den Nationalsozialisten massiv bedrängte Lehrer blieb im Amt, machte sich nach 1945 als staatlicher Denkmalpfleger für die Stadt Konstanz verdient und wurde 1953 zum Professor ernannt. Auch die beiden in seinem Fall repressionseifrigen und rechtsbeugungswilligen Juristen aus dem badischen Kultusministerium machten ihren Weg: Würtenberger wurde bereits 1942 Professor für Strafrecht an der Universität Erlangen und lehrte später in Mainz und in Freiburg, wo er 1973 emeritiert wurde. Mayer setzte seine Karriere nach dem Krieg in der Ministerialbürokratie fort: zunächst in der badischen Staatskanzlei in Freiburg und dann im baden-württembergischen Staatsministerium in Stuttgart, wo ihm zum Eintritt in den Ruhestand 1956 als besondere Ehrenbezeugung die Amtsbezeichnung „Präsident“ verliehen wurde.
Quelle:
GLA 233/24071
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Online-Schilderung des politischen Verfahrens gegen meinen Großvater Josef Hecht 1938/39.
Ich habe aus dem Nachlaß die Akte des Verdeidigers. Die Überlieferung aus dem Kultusministerium im GLA habe ich – fahrlässig – nicht gesucht, denn sie galt in den 50er Jahren bei einem Widergutmachungsprozeß Hechts als Kriegsverlust.
Wenn Sie bei den beteiligten Juristen noch einen nennen wollen: Franz Beyerle, damals Ordinarius in Leipzig (später in Freiburg, zuvor u.a. in Frankfurt/M, wo er sich bei den Nazis unbeliebt machte), erfuhr von dem befreundeten Konstanzer Rechtsanwalt Paul Schleich, Hecht habe sich in der Sache an ihn gewandt und übernahm spontan die Verteidigung.
Ein Detail zur Verhandlung. Es kam nur ein Richter als Vorsitzender der Dienststrarfkammer infrage. Er erklärte Beyerle, der Mandant werde verurteilt werden. Kurz vor dem Prozeß ermöglichte ein Erlaß des Bad. Justizministeriums, den Vorsitz anders zu besetzen, und das geschah. Der Freispruch war eine Überraschung.
MinDir. Karl Gärtner vom Kultusministerium hatte 1938 noch versucht, das Verfahren abzubiegen – wie kurz vorher auch die Strafversetzung des Konstanzer Gymnasialdirektors Breithaupt. Gärtner war als Knabe in Lahr bei Hecht zur Schule gegangen; Hecht war mit den Eltern befreundet (Aussage Hechts in den 50ern).
Der Nachlaß meines Großvaters liegt z. Zt.bei mir, ich werde ihn auf die Dauer dem Stadtarchiv Konstanz anbieten.
Ich bin mit freundlichen Grüßen Ihr Ulrich Hecht