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Die Überleitung der Justiz auf das Reich: Rede von Eduard Kern, Rektor der Universität Freiburg

 

In seiner Antrittsrede am 29. Mai 1934 als Nachfolger Martin Heideggers im Amt des Rektors der Universität Freiburg thematisierte Eduard Kern unter anderem auch die Überleitung der Justiz auf das Reich. Der 1887 in Stuttgart geborene Jurist war seit 1920 Professor in Freiburg und ab Oktober 1935 in Tübingen. Auch nach Kriegsende war der als „entlastet“ eingestufte Kern unter anderem als Dekan der Juristischen Fakultät tätig und trat als Gutachter und Verfasser zahlreicher rechtswissenschaftlicher Studien in Erscheinung. Kerns Rolle im „Dritten Reich“ wird in der Forschung von seinem Biografen Bernd Grün ambivalent skizziert: So lässt er sich nicht als glühender Nationalsozialist darstellen. Kern war durchaus Anhänger des Rechtsstaates, begleitete in rechtswissenschaftlichen Aufsätzen die Entwicklung des Staates betont deskriptiv und in den 1940er Jahren auch kritisch und trug während seiner Freiburger Rektorenzeit manche unbequemen Konflikte mit Nationalsozialisten aus. Dennoch vermochte er im neuen diktatorischen Regime Interessenschnittfelder zu erkennen, bewegte sich erfolgreich und war durchaus auch bereit, mit dem Regime zu kollaborieren.

In seiner Antrittsrede im Mai 1934 definierte Kern die Aufgabe einer jeden Forschung darin, dass diese „unmittelbar oder mittelbar Volk und Reich zum Gegenstand hat oder jedenfalls dem Volk und dem Reich zu dienen bestimmt ist.“ Hier kommt nicht nur der den NS-Prinzipien angelehnte Gedanke einer nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ zum Vorschein, sondern ebenso die Vorstellung eines einheitlichen Reiches. In seinen – für jene Tage durchaus bemerkenswert abwägenden und wissenschaftlich akribischen – Ausführungen zur bereits weit vor 1933 debattierten Frage der „Verreichlichung“ der Justiz skizzierte der angehende Universitätsrektor pointiert den Stand der Debatte. Dass dieses Thema ihn als Rechtswissenschaftler besonders berührte, kam nicht von ungefähr, hatten die Nationalsozialisten mit der Verabschiedung des ersten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16. Februar 1934 doch wenige Monate zuvor die Kompetenzen der Länderjustiz auf das Reichsjustizministerium zu überführen begonnen. Zwei weitere Gesetze sollten 1934 bzw. 1935 folgen, bevor die „Verreichlichung“ der Justiz am 2. April 1935 in einem Staatsakt feierlich für beendet erklärt wurde. Damit gingen sämtliche Länderkompetenzen auf das Reich über und auch die Landesjustizministerien verschwanden aus dem deutschen Behördenapparat.

In seinen Ausführungen liegt der Schwerpunkt auf der historischen Entwicklung der Justizverwaltung und bündelt sämtliche vorgebrachte Argumente verschiedenster Seiten für und gegen die „Verreichlichung“ der Justiz. Im Schlussteil liegt die Betonung darauf, sich auf eine „reine Darstellung beschränkt“ zu haben, „ohne zu dem großen Geschehen, das sich vor unseren Augen abspielt, selbst wertend Stellung zu nehmen.“ Kerns Rede mag sich auf dem ersten Blick als neutrale Position darstellen, jene vor allem mit historischen Argumenten geführte Diskussion einer „Verreichlichung“ der Justiz aber folgt einem sehr wohl Stellung beziehenden und hoch politischen Narrativ, welches, in seiner unausweichlichen Konsequenz die „Verreichlichung“ als zwangsläufig, fast als „natürlich“ und alternativlos zu bezeichnen, die Übernahme der Justiz durch das Reich nach sich zieht – denn genau vom Gedanken eines „einheitlichen Reiches“ als Idealform des Staates gehen Kerns Ausführungen aus. Diese positive Bewertung der „Verreichlichungspolitik“ der Nationalsozialisten wird besonders vor dem Hintergrund deutlich, dass Kerns Argumentation im Wesentlichen auf einer mehrseitigen und abschätzig formulierten Fundamentalkritik am föderalen Weimarer System aufbaut. Der Jurist steht damit in einer Reihe mit zahlreichen Zeitgenossen, die in ihren Darlegungen genau jenes Narrativ konstruierten und damit nicht zuletzt der nationalsozialistischen Leseart eines geeinten „Dritten Reiches“ in die Hände spielten. Den Akt der Justizüberleitung konnten die Nationalsozialisten im April 1935 feierlich als historisch notwendige Aufgabe und außerordentliche „Erfolgsgeschichte“ präsentieren, die in der Schnelle von nur zwei Jahren seit der Machtübernahme zum Abschluss gebracht worden war.

Auch wenn Kern noch vorsichtig im Frühjahr 1934 prognostizierte, dass sich wohl die „Übertragung der Justiz auf das Reich […] praktisch [und ideell] günstig auswirken“ würde – im Sinne der neuen Machthaber sollte er zweifelsohne Recht behalten –, so zeigen seine abschließenden Bekenntnisse deutlich die Begeisterung für den NS-Staat und belegen seine Positionierung in der „Verreichlichungsfrage“ explizit: „Der künftige deutsche Jurist wird in Zukunft nicht mehr einem Einzelstaat, sondern dem ganzen deutschen Volk und Reich dienen. Daß die deutsche Kleinstaaterei und Ohnmacht endlich überwunden ist, und daß wir uns alle wie vor 1000 Jahren wieder eines einheitlichen Reiches erfreuen dürfen, das danken wir unserem großen Führer Adolf Hitler […].“

 

Literatur:

Bernd Grün: Der Rektor als Führer. Die Universität Freiburg i. Br. Von 1933 bis 1945, Freiburg / München 2010, S. 268-348, 625-659, 722-730.

 

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