Workshop „Bausteine einer Verwaltungsgeschichte des Nationalsozialismus im Reich und in den Ländern“
Am 16. April 2015 lud die Kommission „Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“ zu ihrem ersten Workshop ein. 55 Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten dabei über das Thema „Verwalten im Nationalsozialismus“ sowohl auf der Ebene des Reichs als auch am Beispiel Badens und Württembergs auf der Ebene der Länder.
Ziel der Veranstaltung war es, den Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern Gelegenheit nicht nur zur Präsentation erster Ergebnisse, sondern vor allem auch zum Austausch mit externen Referentinnen und Referenten zu geben. Deren Fachexpertise eröffnete neue Einblicke und Zugänge für die verwaltungsgeschichtlichen Fragestellungen des Projekts. In insgesamt vier Sektionen folgten einem Expertenvortrag zur Reichsebene jeweils Kurzvorträge aus dem Projektzusammenhang, die dann gemeinsam diskutiert wurden. Inhaltlich war der Workshop in zwei Blöcke unterteilt, in denen zunächst der Fokus auf die Ministerialbeamten und anschließend auf das Verhältnis von Reich und Ländern, Zentrum und Peripherie, gelegt wurde.
Dr. Martin Münzel und Dr. Ulrike Schulz (Universität Berlin), beide Mitarbeiter der unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus, eröffneten das erste Panel mit ihrem Vortrag „Das Führungspersonal des Reichsarbeitsministeriums 1919–1960: Konzeption und erste Ergebnisse“. Dr. Ulrike Schulz stellte hierbei fest, dass bis 1938/39 im Reichsarbeitsministerium kein umfassender Personalaustausch, abgesehen von jüdischen und weiblichen Mitarbeiterinnen, stattfand und die Fachexpertise noch immer eine Bedeutung bei der Personalauswahl spielte. Darüber hinaus betonte sie die Wichtigkeit, keine Konstruktion der Beamtenschaft als homogene Gruppe vorzunehmen, sondern charakteristische Karriereverläufe zu untersuchen. Dr. Martin Münzel nahm in seinem Part die Entwicklung nach dem Jahre 1945 in den Blick und stellte die Frage nach der personellen Kontinuität bzw. Diskontinuität in den Fokus.
Anschließend befasste sich Projektmitarbeiterin Miriam Koch (Universität Heidelberg) mit personellen Umbrüchen in der höheren Beamtenschaft des badischen Innenministeriums nach der Machtübernahme. Für diese Gruppe konnte als ein erstes Ergebnis festgehalten werden, dass das Personalrevirement 1933 in den Spitzenpositionen dort erfolgte, wo es sich um Positionen handelte, die mit der Personalpolitik oder der Umsetzung nationalsozialistischer Ideologie in die Praxis betraut waren. Zugleich war auch bei der Besetzung der Abteilungsleitungen die Expertise der Fachbeamten ausschlaggebend.
Andere Entwicklungen weist das württembergische Innenministerium auf, dem sich Projektmitarbeiter Dr. Michael Matthiesen (Universität Stuttgart) widmete. Es handelte sich um ein Ministerium mit komplexer Organisationsstruktur, dessen organisatorischer Aufbau durch häufige Wechsel gekennzeichnet war. Laut seiner Forschung blieb das Fachbeamtentum weitgehend sachorientiert, allerdings weise die Bildung einer Doppelspitze für die Position der Ministerialdirektoren in Württemberg darauf hin, dass bedeutende Stellen mit Nationalsozialisten besetzt wurden.
Den Leitbildern des Beamtentums im Nationalsozialismus wandte sich Projektmitarbeiter Tobias Sowade (Universität Erfurt) zu. Mittels einer Untersuchung der Verwaltungsakademien diskutierte er das Bild des „neuen Beamten“ des „Dritten Reiches“.
Im zweiten Panel zeigte Prof. Dr. Wolfgang Seibel (Universität Konstanz) anhand der Typen deutscher Besatzungsregime im Zweiten Weltkrieg sowohl den Stabilisierungsfaktor von Bürokratie als auch inner- und interinstitutionelle Zuständigkeitskonflikte auf. Darüber hinaus stellte er die wichtige Rolle politisch agierender Bürokraten für die Durchsetzung politischer Entscheidungen heraus.
Projektmitarbeiterin Dr. Marie Muschalek (Universität Freiburg) betrachtete in ihrem Vortrag die Beamtinnen und Beamten im besetzten Elsass und konnte aufzeigen, dass badische Beamte hierbei eine beträchtliche Gruppe darstellten, deren dienstlicher Alltag und Netzwerke im Projektverlauf eingehender untersucht werden sollen. Neben der herausragenden Rolle des badischen Reichsstatthalters Robert Wagner, der zugleich Chef der Zivilverwaltung im Elsass war, wurde das Selbstbewusstsein der dort eingesetzten badischen Beamten betont. Dieses habe dafür gesorgt, dass sie die gänzlich ungeklärte staatsrechtliche Problematik der Stellung des Elsass im Gesamtgefüge des nationalsozialistischen Staats nicht weiter reflektierten, sondern sich auf ihre Arbeit im Elsass konzentrierten.
Der Nachmittagsblock mit Fokus auf Zentrum und Peripherie begann mit einem Vortrag von Dr. Stefanie Anna Middendorf (Universität Halle-Wittenberg) zum Reichsfinanzministerium. Dabei wurde deutlich, dass sich dort bereits vor 1933 ein polykratisches Machtgefüge feststellen lässt, das auch zeitgenössisch so wahrgenommen wurde. Das Reichsfinanzministerium sei sowohl in der Weimarer Zeit als auch während des Nationalsozialismus vor allem als „flexible Krisenbewältigungsbehörde“ aufgetreten.
Projektmitarbeiterin Katrin Hammerstein ging am Beispiel des badischen Versuchs, die Synagogen zu besteuern, der Frage nach, inwieweit der Machtwechsel politische Spuren im laut zeitgenössischen Aussagen „von jeher unpolitischen“ badischen Finanz- und Wirtschaftsministerium hinterlassen hat.
Prof. Dr. Joachim Scholtyseck (Universität Bonn) kam in seinem Vortrag zum Reichswirtschaftsministerium und den Problemen der wissenschaftlichen Bearbeitung zu dem Schluss, dass die von der Forschung konstatierte „vergleichsweise Bedeutungslosigkeit“ des Ministeriums nicht zu halten sein werde, auch wenn dieses keine Traditionsbehörde gewesen sei.
Der vierte externe Expertenvortrag von Prof. Dr. Anne Christine Nagel (Universität Gießen) verdeutlichte die zentrale Bedeutung von Wissenschaft und Bildung im „Dritten Reich“. Sie stellte den Prozess der Zentralisierung von Wissenschaft und Bildung anhand des 1934 gegründeten Reichserziehungsministeriums vor, indem sie auch die Rolle des zuständigen Reichsministers Bernhard Rust verdeutlichte.
Projektmitarbeiterin Dr. Jutta Braun (Universität Stuttgart/Berlin) thematisierte aktuelle Forschungsfelder zum Kultministerium in Württemberg und zeigte exemplarisch an schulpolitischen Plänen von Minister Christian Mergenthaler und Ministerialdirektor Robert Meyding, dass die Entfaltung persönlicher Handschriften des Regierungshandelns möglich war. Meyding erweist sich auch insofern als interessanter Fall, als er sich als Beamter nicht, wie von den Parteispitzen und dem NS-Führungspersonal gefordert, eindeutig zum Nationalsozialismus positionierte, dennoch aber als Baustein im System funktionierte.
Prof. Dr. Frank Engehausen (Universität Heidelberg) machte anhand der politischen Entwicklungen im badischen Kultusministerium auf Spannungen zwischen dem Autonomiebestreben der Länder und dem Zentralisierungsdruck durch das Reich aufmerksam. Badische Eigeninitiativen wie z.B. das Erlassen verschärfter Gesetze zur Schulpolitik stießen auf Kritik des Reichs und führten zu Konflikten. Gleichzeitig verblieben den Landesministerien gewisse Spielräume, die durch die erst allmähliche Umsetzung der Reformen im Bildungsbereich durch das Reich entstanden.
In der den Workshop zusammenfassenden Abschlussdiskussion wurden verschiedene Aspekte und Fragen festgehalten, die es bei der weiteren Bearbeitung von Forschungsprojekten zur Verwaltungsgeschichte des Nationalsozialismus im Blick zu behalten gelte. Außer grundsätzlichen Definitionen wie z.B. „Was ist ein Ministerium als Forschungsobjekt“ betrifft dies unter anderem die Frage nach der Polykratie-These und ihrer Differenzierung, nach den Zäsursetzungen (1933 auf Länder-Ebene, 1938/39 auf Reichsebene) und den Traditionslinien, insbesondere wenn es sich um Neugründungen von Ministerien handelt. Auch die Frage nach Netzwerken zwischen den Beamtinnen und Beamten innerhalb der Länder als auch zwischen Ländern und Reich seien zu beachten.