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Der badische Aktenknoten – im Elsass

Badischer Aktenknoten in den Akten der Zivilverwaltung im Elsass (ADBR)

„Jetzt google ich schon über eine Stunde und kann nirgends im I[nter]net eine Anleitung finden, wie man diesen doofen Badischen Knoten macht…,“ kann man 2010 im Forum von FoReNo, einem Internetportal für Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte sowie andere Angehörige juristischer Berufe lesen. Die Akten, welche die hier klagende Kanzleiangestellte aus Heidelberg erhalten hatte, waren mit einem eigenartigen Knoten zugebunden gewesen, den sie aber zum Kopieren der Akten hatte öffnen müssen. Und jetzt bekam sie ihn nicht mehr zu. Kein Beitrag im Thread des Forums kann ihr helfen. Die Kommentierenden beschweren sich vor allem über die „Zumutung“ der ungewöhnlichen Heftung aus dem „Badner Land“ und über deren Antiquiertheit.

Tatsächlich ist diese Art der Aktenheftung schon über zwei Jahrhunderte alt. Sie stammt aus der napoleonischen Zeit, in der ein hoher Staatsdiener des Großherzogtums Baden, Geheimrat Friedrich Brauer, 1803 die Archivierung der Staatsverwaltung vereinheitlichen wollte. Wie Helmut Rothermel kürzlich in der Badischen Zeitung schrieb, ging es nicht nur um eine formale Vereinheitlichung, der Anspruch des Geheimrats war ein weitaus höherer: Die Normierung der Aktensortierung sollte auch „zum Instrument systematischer Verwaltungsarbeit und herrschaftlicher Durchdringung der Gesellschaft“ werden.

Vor ein paar Tagen bin ich ebenfalls über das „Herrschaftsinstrument“ badischer Knoten gestolpert – aber nicht in Baden, sondern im Elsass. Im Departementalarchiv Bas-Rhin (Archives Départementales du Bas-Rhin, ADBR) in Straßburg lagert ein Großteil der Akten der deutschen Zivilverwaltung im Elsass und des Reichsstatthalters für den Gau Baden-Elsass, der zu einer verwaltungstechnischen Einheit Gau Oberrhein verschmelzen sollte, wozu es aber nicht mehr kam. Und diese Akten sind allesamt mit dem badischen Knoten geheftet. Ich habe mir ein paar Akten aus der Zeit des Reichslands Elsass-Lothringen, das heißt aus der Epoche des Kaiserreichs (1871-1918), als das Elsass auch unter deutscher Verwaltung stand, bringen lassen, um zu sehen, ob zu dieser Zeit auch so geknotet wurden. Aber nein, im Reichsland wurde „preußisch“ gebunden: Die losen Blätter der Staatsverwaltung wurden zur Archivierung in Bündeln zusammengenäht und dann nochmals in einer großen Akte zusammengeführt.

Bindung der Akten in der Zeit des Reichslands Elsass (ADBR)

Das Schnüren des badischen Aktenknotens ist wahrlich kein Zauberstück: Ich habe es mir von den Archivaren des Universitätsarchivs und des Staatsarchivs in Freiburg zeigen lassen. Vielleicht kann dieser Blogeintrag ja den verzweifelten Kanzleiangestellten außerhalb Badens in Zukunft eine kleine Hilfe sein: Zunächst werden mit einem Aktenlocher zwei kleine, etwa  vier Zentimeter auseinander liegende Löcher am linken oberen Rand der Akte gestanzt. Dann wird eine kleine rechteckige Verstärkung aus Karton auf die Lochung gelegt. Nun fädelt man mit Hilfe des metallenen Aktenstechers eine Schnur durch die Löcher. Schließlich wird geknotet: eine einfache Schleife – ähnlich wie beim Schnüren der Schnürsenkel –, aber nur eine der zwei Schlaufen bleibt stehen. Die beiden Schnurenden werden zusammengezwirbelt und in die Mitte des Aktenstapels gesteckt.

Der badische Knoten im Archiv in Straßburg ist ein äußerst greifbares Zeugnis dafür, dass die Besetzung des Elsass während des Zweiten Weltkriegs eine fast ausschließlich badische Angelegenheit war. Das Elsass wurde aus Baden regiert – vom Gauleiter, der gleichzeitig auch Chef der Zivilverwaltung war, aber auch von der badischen Landesregierung, denn diese stellte das Personal. Bereits im ersten Jahr der Besetzung wurden über 4500 Beamte und Angestellte vornehmlich aus der badischen Landesregierung ins Elsass abgeordnet. Diese brachten wiederum ihren Verwaltungsstil und ihre Verwaltungstechniken, so auch den badischen Aktenknoten, mit. Wie ausschlaggebend diese regionale Prägung des Verwaltens  für die Wahrnehmungen und Erfahrungen derjenigen, die im Elsass verwaltet wurden, war – verglichen mit dem Einfluss, den die zwei verschiedenen politischen Systeme des Kaiserreichs und des „Dritten Reichs“ auf die Bevölkerung hatten –,  ist auch eine Frage, die das Forschungsprojekt beantworten möchte.

 

Quellen:

Helmut Rothermel, “In Baden wird geknotet. Die ‚Badische Aktenheftung‘ – Badens origineller Beitrag zur Technik der Archivierung,” Badische Zeitung, 12.07.2013.
Bericht des Einsatzkommandos der SiPo in Straßburg über statistische Erfassungen vom 15.11.1941. Zit. in Kettenacker, Lothar: Nationalsozialistische Volkstumspolitik im Elsaß, Stuttgart 1973, 325. Vgl. auch „Tätigkeits- und Leistungsbericht des Personalamtes beim Chef der Zivilverwaltung im Elsass für die Zeit vom 15.7.1940 bis 1.6.1941.“ ADBR, 125 AL/ 345.

  • Karl-Heinz Kull sagt:

    Hallo, können Sie mir helfen.
    Frage: Wozu führte man eine offizielle Art der Aktenheftung ein?
    was war einer der Gründe dafür?:

    A: gegen „wandelbare Willkür der Beamten“ vorzugehen
    B: dem Schwager eines korrupten Beamten Aufträge zu verschaffen
    C: sich von den „unordentlichen Württembergern“ abzugrenzen
    D: unterforderten Beamten „tagesfüllende Beschäftigung zu bieten“.

    Für Ihre Rückantwort im voraus vielen Dank!!

    Mit den freundlichsten Grüße aus Bad Herrenalb -Rotensol- (dem Mittelpunkt der Welt und das Herz Europas!)
    Karl-Heinz Kull

  • Karl-Heinz Kull sagt:

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