Hans Gerber: Politische Erziehung des Beamtentums im Nationalsozialistischen Staat, Eröffnungsvortrag als Studienleiter der Verwaltungsakademie Stuttgart am 30. Oktober 1933
1933 fungiert der prominente Rechtswissenschaftler Hans Gerber (1889-1981) als Studienleiter der Württembergischen Verwaltungsakademie in Stuttgart. Gerber, der sich 1923 in Marburg habilitierte und Professuren in Tübingen, Leipzig und Freiburg innegehabt hatte, vertrat in Schrift und Wort bereits vor 1933 betont konservativ-nationale Positionen. Seine Staats- und Wertevorstellungen waren mit denen der Weimarer Verfassung unvereinbar – vor allem in seiner Publikations- und Lehrtätigkeit zeigt sich in großen Teilen die Nähe zur nationalsozialistischen Ideologie. Nach 1945 war Gerber weiterhin wissenschaftlich tätig und gestaltete in verschiedenen Funktionen wesentlich die westdeutsche Hochschulpolitik mit.
Die vorliegende Rede Hans Gerbers eröffnete das Wintersemester 1933/34 an der Stuttgarter Verwaltungsakademie, einer jener bereits in der Weimarer Republik gegründeten Fortbildungsstätten für Beamte. Gerber bricht offen mit dem Prinzip des unpolitischen Beamtentums und fordert eine „politische Erziehung“, die den Beamten und sein Handeln an die nationalsozialistische Ideologie bindet.
Diesen Bruch mit dem traditionellen Beamtenverständnis zu rechtfertigen, stellte den Rechtswissenschaftler vor erhebliche Schwierigkeiten: Den unsicheren Gesamteindruck der Rede mit im Detail widersprüchlichen Argumenten bezeichnete der Historiker Hans Mommsen als „Eiertanz“ (Mommsen: Beamtentum, S. 67).
Gerber versteht das Beamtentum als elitären Träger von Staatlichkeit und weist ihm seinen Platz in dem ideologischen Konstrukt der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ zu:
„Sie [die politische Erziehung] muss ihm [dem Beamten] e r s t e n s seine besondere Stellung im Staate deutlich werden lassen. Die schon angesichts des Staatsverfalls mit Nachdruck erhobene Forderung nach einer eindrucksvollen Berufsethik des Beamtentums muss heute doppelt ernst wiederholt werden. Was mit ihr zu erreichen ist, läßt sich in das eine Wort zusammenfassen: der verantwortungsbewußte Diener am Volksrecht. Rechtspflege ist nicht nur die Angelegenheit der Justiz, sondern in den mannigfachsten Formen die Aufgabe des gesamten Beamtentums, wie ich bereits gezeigt habe. In dieser Rechtspflegefunktion sind die Beamten ein Berufsstand im Volksganzen. Ihnen das nicht nur als Tatsache, sondern als ethische Verpflichtung zum Bewußtsein zu bringen, das ist die erste Aufgabe, die eine politische Erziehung der Beamten im nationalsozialistischen Staat zu erfüllen hat. Sie muß zugleich das Nebenergebnis erreichen: die radikale Austilgung alles Gewerkschaftsgeistes unter den Beamten. Dieser Gedanke einer Beamtengewerkschaft war das zersetzende Gift, das im Zwischenreich der Beamtenschaft eingeimpft wurde und sie an den Rand des gänzlichen Verfalls gebracht hat. Heute gilt es gerade auch für die Beamten an die Stelle des Gewerkschaftsgedankens den Ständegedanken zu setzen, anstatt Eigennutz und Klassengeist die Tugenden der Hingabe an das Volksganze, der Einsatzbereitschaft bis zum Letzten, der absoluten Uneigennützigkeit und Unantastbarkeit und eines vorbildlichen Verantwortungsbewußtseins zu pflegen. Der Beamtenstand muß den Ehrgeiz haben, wieder der erste Stand im Staate zu sein: nicht auf Grund äußerer Vorzüge, sondern auf Grund seiner Gemeinschaftsgesinnung.“
Die Beamten hatten die nationalsozialistische Ideologie in der öffentlichen Ausführung ihres Amtes aktiv zu vertreten. Voraussetzung hierfür sollte die persönliche Überzeugung jedes Einzelnen sein:
„Damit hängt die z w e i t e A u f g a b e der politischen Erziehung des Beamtentums unmittelbar zusammen. Wir sahen, im scharfen Gegensatz zu der Voraussetzungslosigkeit des Staatslebens im Weimarer Staat gründet sich der nationalsozialistische Staat bewußt auf gewichtige Grundvoraussetzungen. Das bedeutet aber, daß er nur dann festen Bestand hat, wenn diese Voraussetzungen ständig im Bewußtsein und Gewissen des ganzen Volkes lebendig sind und lebendig bleiben. Soll das erreicht werden, dann müssen vor allem diejenigen Volksgenossen, in denen kraft ihrer beruflichen Wirksamkeit der Staat in jedem Augenblicke öffentlich in die Erscheinung tritt, die ferner auch bei ihrem Wirken ständig der Öffentlichkeit gegenüber den staatlichen Anspruch aus Gemeinschaftsgesinnung zu vertreten haben, selbst erst einmal diese Grundvoraussetzungen des staatlichen Lebens in sich verkörpern. Um es scharf zu sagen: Die Beamten müssen aus einem lebenden Inventar der Behörden zu Priestern des Staates und seiner Weltanschauung werden. Der Gedanke der Beamtenhierarchie, aus dem kirchlich-religiösen Bereich in den staatlich-weltlichen übernommen, muß aus seiner Veräußerlichung herausgegriffen und wieder geläutert werden. Die Vorstellung muß fallen, als ob es sich dabei nur um ein abgestuftes Rang- und Befehlsverhältnis handele. Es geht um die persönliche Verkörperung einer Weltanschauung in ihren besonders berufenen Repräsentanten. Wenn so oft gesagt wird, der Staat steht und fällt mit seiner Beamtenschaft, so muß uns das in dem Sinne im Gewissen lebendig sein: Staatsgesinnung als das innere Band staatlicher Gemeinschaft wird nur dann im breiten Volke leben, wenn die verordneten Diener des Staates leuchtende Vorbilder dieser Gesinnung sind.“
„Der Beamte (…) muß bis zur Persönlichkeit des politischen Führers vordringen.“
Gerber schließt mit der Forderung, nach welchen Maximen der Beamte im NS-Staat handeln solle. In nahezu ekstatischer Begeisterung erklärt er die Bindung an den „Führer“ zum obersten Prinzip, an dem sich der Beamte in seiner Amtsausübung orientieren müsse.
„Die d r i t t e A u f g a b e der politischen Erziehung der Beamten knüpft unmittelbar wieder an deren rechtspflegerische Tätigkeiten an. Wir erkannten in früherem Zusammenhange, daß die Aufgabe der Rechtsanwendung, die der Beamte zu erfüllen hat, erst dann wahrhaft erkannt ist, wenn sie dahin gedeutet wird: das recht aus der Stummheit seiner Schriftform zu erlösen, es in der Person des Beamten zum Sprechen zu bringen. Das ist nun gewiß keine einfach technische Frage. Es geht dabei nicht darum, daß der Beamte die stumme Gesetzesnorm nur in menschliche Laute umsetzt. Es handelt sich um einen geistigen Prozeß. Aber dieser ist nun wiederum nicht etwa nur logisch-grammatikalische Interpretation. Es muß vielmehr eine nach- und mitschöpferische politische Leistung sein.
(…)
Heute ist der Wille des Führers und seiner Regierung das oberste Gesetz der Nation und in ihm gründet alle politische Dynamik der Gesetzgebung.
Daraus folgt ein neues unmittelbares Verhältnis der Beamten zu der politischen Führung des Staates.
(…)
Heute haben wir wieder einen persönlichen politischen Mittelpunkt im Führer-Kanzler. Zwar ist das Gesetz geblieben und muß bleiben. Aber es ersetzt nicht mehr künstlich einen natürlichen Führungswillen, sondern ist nur dessen normative Äußerung. Also darf, vor allem wenn es sich um die Gesetzesauslegung zum Zwecke der Wahrung der politischen Einheit des Staates handelt, der Beamte nicht mehr im Gesetz stehen bleiben. Er muß bis zur Persönlichkeit des politischen Führers vordringen. Deswegen hat es heute wieder Sinn, von einer Treuepflicht des Beamten zu sprechen; und ich könnte mir sogar einen Eid auf die Person des Kanzlers denken. Das Bewußtsein dieses Zusammenhanges hat in der Einrichtung der Reichstatthalter und in deren Zuständigkeit zur Beamtenernennung Gestalt gewonnen. Auch die Ausmerzung von Beamten, deren Gesinnung eine solche enge persönliche Beziehung nicht zuläßt, bekommt daher ihren Sinn. Denn bei der durch den Treueeid gesicherten politischen Abhängigkeit kommt es nicht darauf an, daß der Beamte die Pflicht auf sich nimmt, die Gesetze treulich zu beobachten; das ist eine Selbstverständlichkeit. Vielmehr geht es darum, daß der Beamte innerlich mit dem Führer als dem politischen Mittelpunkte des Staates lebt. (…) Da er aber keine tote Maschine, sondern eine freie Persönlichkeit ist, so kann das nur heißen: der Beamte muß sich der politischen Gesinnung des Führers innerlich so verbunden halten, daß dieser sich darauf verlassen kann, es werde in seinem Sinne gehandelt, auch wo es an einer besonderen deutenden und erklärenden Anweisung fehlt.“
Literatur:
Uwe Dietrich Adam: Hochschule und Nationalsozialismus. Die Universität Tübingen im Dritten Reich, Tübingen 1977.
Martin Bullinger: Nachruf. Hans Gerber, in: Archiv des öffentlichen Rechts (106), Tübingen 1981, S. 651-654.
Michael Kißener, Joachim Scholtyseck (Hg.): Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg (Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus Bd. 2), Konstanz 1997.
Roland Kunz: 75 Jahre Württembergische Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie (VWA), in: Landkreisnachrichten (42. Jahrgang), Stuttgart 2003, S. 122-125.
Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Historisches Seminar der Universität Leipzig (Hg.): Hans Gerber, in: Professorenkatalog der Universität Leipzig / Catalogus Professorum Lipsiensium (https://www.uni-leipzig.de/unigeschichte/professorenkatalog/leipzig/Gerber_457)
Hans Mommsen: Beamtentum im Dritten Reich. Mit ausgewählten Quellen zur nationalsozialistischen Beamtenpolitik, Stuttgart 1966.
Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Dritter Band: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914-1945, München 1999.