„Entwelschung“ – „Entschwabung“: Von gallischen Hähnen, Reichsadlern und dem Straßburger Münster
Das Elsass gehört zu jenen Grenzregionen, die ständig ihre staatliche Zugehörigkeit wechselten: allein zwischen 1870 und 1945 wurde es viermal zwischen Frankreich und Deutschland hin- und hergeschoben: Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 musste Frankreich Elsass-Lothringen abtreten. Nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg ging es wiederum zurück an Frankreich. Im Juni 1940 besetzte die deutsche Wehrmacht das Gebiet. Das Elsass wurde im Anschluss an diese Besetzung faktisch, wenngleich niemals offiziell, annektiert. Seit 1945 gehört es abermals zu Frankreich.
„Hinaus mit dem welschen Plunder“
Seit Beginn des Projekts beschäftige ich mich nun mit der Geschichte der nationalsozialistischen Herrschaft – und hier besonders der Rolle der badischen Landesministerien – im Elsass. Dabei begegnet mir ein Bild immer wieder: es ist ein deutsches Propaganda-Plakat, das ab 1941 im Elsass aushing, und das – soweit ich dies bisher beurteilen kann – bis heute vielen Elsässerinnen und Elsässern gut im Gedächtnis geblieben ist. Indiz hierfür ist allein die Häufigkeit, mit der das Plakat in Publikationen, Ausstellungen und Interneteinträgen zum Thema deutsche Besatzung im Elsass zu finden ist.
Bedauerlicherweise erfährt man in diesen Veröffentlichungen aber nur wenig über das Plakat selbst. Weder über seinen Urheber, Alfred Spaety, noch über Entstehungskontext, Auflage oder Rezeption des Plakats habe ich etwas herausfinden können. Hierüber werden wohl die Akten des aus Baden nach Straßburg entsandten Gaupropagandaleiters Adolf Schmid und seiner Gaupropagandaleitung (Gau Baden-Elsass) Auskunft geben können, die womöglich im Generallandesarchiv in Karlsruhe oder aber auch im Nationalarchiv in Paris lagern. Die dort liegenden Informationen können sich als durchaus spannend erweisen: Es kann nämlich gut sein, dass das Plakat beispielsweise erst in der Nachkriegsphase eine so große Popularität erlangte, unter anderem, weil die französische Resistance gegen Kriegsende das Bild in zahlreichen Plakaten und Postkarten nachahmte.
Das Plakat zeigt einen großen Besen, der vor der Kulisse des Straßburger Münsters diverse französische Kulturgüter und nationale Symbole hinwegfegt. Eine Büste der Marianne, eine Baskenmütze, ein französischer Stahlhelm und ein Polizeikäppi, französische Zeitungen und ein Werk des pro-französischen elsässischen Karikaturisten Hansi (Jean-Jacques Waltz). Prominent in der Mitte des Bildes wird das Nationalsymbol der Franzosen, der gallische Hahn, verscheucht.
Das Plakat verbildlicht recht eindringlich die anti-französische Volkstumspolitik, welche der Gauleiter und Reichsstatthalter für Baden-Elsass, Robert Wagner, ab der ersten Stunde mit Nachdruck verfolgte: von den Deportationen unerwünschter Frankophiler in die unbesetzte Zone, über die Umbenennung von Straßen-, Vor- und Familiennamen und die Einführung der deutschen „Muttersprache“ als Amtssprache bis hin zum zeitweisen Verbot des Tragens von Baskenmützen. Inwiefern auch die badischen Bediensteten der Landesministerien in diese NS-Politik involviert waren und mit welcher Stoßrichtung, ist bisher noch nicht genügend ergründet. Auch darum soll es in meinem Projektbereich gehen.
Wiederkehrende Ikonen
Nun ließe sich einiges über die einzelnen Objekte im Bild schreiben. Ich möchte mich auf zwei Elemente beschränken, die mir besonders aufgefallen sind: das Wappentier und das Straßburger Münster. Und schließlich fällt noch etwas auf: die fehlende elsässische Symbolik.
Zunächst einmal wäre dort das Münster zu nennen. Mit seiner asymmetrischen Fassade (der Südturm wurde nie errichtet) sind seine Konturen leicht wiedererkennbar. Nach der Recherche einiger Bildquellen wird deutlich, dass zahlreiche andere Abbildungen der NS-Propaganda das Münster zum Wahrzeichen eines „deutschen“ mittelalterlichen Zentrums am Oberrhein stilisieren und mit dieser jahrhundertalten Tradition die deutsche Präsenz zu legitimieren versuchen. Die immer wiederkehrende Darstellung des Münsters in der NS-Propaganda zeugt aber auch von der Bedeutung, die Straßburg als geopolitischem Ort und als Verwaltungszentrum für die deutschen Besatzer zukam. Dass dies auch für die Gegenseite galt, zeigt sich in General Leclercs bekannter Aussage, er werde erst dann die Waffen ruhen lassen, wenn auf dem Straßburger Münster wieder die französischen Farben wehen.
Doch während im eingangs gezeigten Plakat der bedrängte, gallische Hahn einen Großteil des Bildes einnimmt, prangt in diesen zwei Beispielen ein gigantischer Reichsadler über dem Münster. Und auch in den mannigfachen, von der französischen Propaganda produzierten Plakaten, die bereits ab 1941 entstanden, finden sich der gallischer Hahn beziehungsweise der Reichsadler, als auch das Münster wieder – nun aber mit umgekehrten Vorzeichen. Diesmal aus der anderen Richtung kehrend (aus dem Westen nach Osten), fegt wahlweise ein trikolorer Besen einen bedrängten Adler über den Rhein, oder es ist der gallische Hahn, der beim Fegen hilft und dabei auch noch die Hakenkreuzfahne zerbricht.
Gemeinsam haben das deutsche Original und die französischen, karikierenden Repliken, dass ausschließlich auf nationale Symbole – mal vom Münster abgesehen – rekurriert wird. Das Elsass und seine regionalen Besonderheiten werden nicht thematisiert. Nirgends sind sein Wahrzeichen, der Storch, oder auch die elsässischen Trachten mit den so markanten schwarzen Hauben zu sehen. Die Propagandisten auf beiden Seiten scheinen vor der Bekräftigung einer zu starken regionalen Identität zurückgeschreckt zu haben. Elsässer und Elsässerinnen sollten sich in erster Linie zum deutschen Reich beziehungsweise zur französischen Republik zugehörig fühlen. Eine Ausnahme ist in dieser Hinsicht das Plakat des bereits erwähnten Karikaturisten Hansi, in dessen äußerst detaillierter Darstellung zwei junge Paare in elsässischer Tracht auftauchen.
Der Eindruck, ständig „von außen“ bestimmt zu werden, hat wohl auch dazu beigetragen, dass sich viele Elsässerinnen und Elsässer weder als deutsch noch als französisch verstehen, wie beispielsweise Simone Arnold, eine Überlebende des deutschen Besatzungsregimes im Elsass. Doch die besonders drastische anti-französische NS-Politik, ganz zu schweigen von der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gegen Jüdinnen, Juden und andere „Gemeinschaftsfremde“, die dort zwischen 1940 und 1945 herrschte, hat die Abwendung dieser Region von Deutschland deutlich verstärkt.
Trotz des bitterernsten Hintergrunds kann man auch als nachgeborener Deutscher darüber lachen ! Bei dem letzten Plakat ist mir nicht klar wohin nun die Deutschen über den Damm fliehen, denn, da das Straßburger Münster zu sehen ist, muss dieser ja nach Westen.führen….War das Elsaß denn Baden bzw, dem entsprechenden „“Reichsgau“ unterstellt ? Und 1945 nicht bereits befreit ?
Mit freundlichen Grüßen,
Harald Knobloch , Nürnberg
Ein sehr interessanter Beitrag. Ich finde es gut, die Geschichte auch in ihren Details zu untersuchen und darzustellen. Gab es denn inzwischen Antworten zu den o.g. Fragen, was Auftrag, Nutzung und Aufnahme dieser Plakate betrifft. Ich würde die hier gezeigten Abbildungen 8, 12 und 13 gern für einen Vortrag und eine eventuelle Veröffentlichung zu Wappentieren in Satire und Propaganda nutzen. Kann ich diese Abbildungen in etwas höherer Auflösung erhalten?
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Geike