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Die NS-Machtübernahme in den Kommunen und die Rolle der Landesverwaltungen

Am 15. Januar 2016 lud die Kommission „Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“ gemeinsam mit dem Stadtarchiv Stuttgart und der AG Archive des Städtetags Baden-Württemberg zu einem Workshop ins Stuttgarter Stadtarchiv.  Vier Vorträge und ein Kommentar sowie daran anschließende Diskussionsrunden widmeten sich der Machtübernahme der Nationalsozialisten auf kommunaler Ebene. Dabei sollten besonders die Wechselwirkungen zwischen Kommunen und Land und die Wege der Einflussnahme durch die jeweiligen Ministerialabteilungen in den Blick genommen werden.

Nach einer kurzen Begrüßung durch den Leiter des Stuttgarter Stadtarchivs Dr. Roland Müller leitete Projektkoordinator Prof. Dr. Frank Engehausen (Universität Heidelberg) in den ersten Teil der Veranstaltung über. In seiner kurzen Einführung bedankte er sich bei den Initiatoren des Workshops, Dr. Roland Müller und Projektmitarbeiterin Miriam Koch (Universität Heidelberg). Er stellte das Zusammenkommen als gute Gelegenheit dar, die Rolle und Bedeutung der Kommunen im Forschungsdiskurs über Gleich- und Umschaltung im Rahmen des Projekts „NS-Landesministerien in Baden und Württemberg“ zu vertiefen.

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Projektkoordinator Prof. Dr. Frank Engehausen (Heidelberg)

In ihrem Vortrag über die Mitwirkung der Kommunalabteilung des badischen Innenministeriums an der nationalsozialistischen Machtübernahme gab die erste Referentin Miriam Koch einen Einblick in die Verwicklung der Ministerialbürokratie in die Umsetzung der NS-Ideologie. Im Fokus stand der Referent des Innenministeriums, Rudolf Schindler, der zugleich das Amt des Leiters des badischen Gauamts für Kommunalpolitik bei der Gauleitung der NSDAP in Baden ausübte. An dieser Personalie wird die enge Verflechtung von Verwaltung und Partei besonders deutlich. Zugleich bietet Schindler ein Beispiel für Auf- und Abstieg einzelner Personen: Bereits im Herbst 1934 wurde er als Ministerialreferent aus dem Ministerium entlassen, im Frühjahr 1936 wurde er auch als Gauamtsleiter für Kommunalpolitik abgesetzt. Für die vertiefenden Forschungen zur Rolle der Ministerialabteilung bei der Umsetzung der Gleichschaltungspolitik sind regionale Beispiele unerlässlich, da die Überlieferung solcher Fälle sich nur über die Akten der Bezirksämter und Stadtverwaltungen erschließen lässt.

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Miriam Koch

 

Der darauf folgende Beitrag von Prof. Dr. Jürgen Klöckler (Universität Konstanz, Stadtarchiv Konstanz) thematisierte am Beispiel der Stadt Konstanz die Personal- und Kommunalpolitik in den frühen Jahren des nationalsozialistischen Regimes. Dabei stellte er besonders die Rolle der administrativen Eliten hervor: Im Fall der städtischen Verwaltung von Konstanz konnte der Referent klar eine Adaption ideologischer Zielvorgaben in der Verwaltung nachzeichnen. Gleichzeitig blieben in der Konstanzer Gemeinde einschneidende personelle Eingriffe aus. Die schrittweise Radikalisierung fand also im Rahmen einer „Selbstgleichschaltung“ und somit überwiegend als ein „Überleben im Amt“ statt. Klöckler bestärkte diese These, indem er die Kontinuität dieser Selbstbehauptungsstrategie der Stadtverwaltung über das Kriegsende hinaus darlegte. In der Funktionselite wurden unter französischer Besatzung lediglich zwei Leitungsposten mit neuem Personal besetzt. Die Kommunalverwaltung war demnach nicht nur widerspruchsloser Vollstrecker der nationalsozialistischen Herrschaft sondern aktiver Teil des Machtgefüges im sogenannten „Dritten Reich“.

In der anschließenden Diskussion wurde unter anderem auf die Rolle des Gemeinderats bei der Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie eingegangen. Im Fall der Gemeinde Konstanz bestätigte der Referent die Annahme, dass beispielsweise in der kommunalen Judenpolitik wichtige Akzente aus dem Bürgergremium heraus durchgesetzt wurden. Auf die Nachfrage aus dem Plenum, wer denn die treibenden Kräfte der schrittweisen Radikalisierung in den Kommunen gewesen wären, waren sich die Experten Koch und Klöckler einig, den sogenannten „Alten Kämpfern“ der NSDAP eine zentrale Rolle zuzusprechen.

Durch den zweiten Teil der Veranstaltung führte Projektmitarbeiter Dr. Michael Matthiesen (Universität Stuttgart).

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Joachim Braun und Dr. Michael Matthiesen

Diesen Abschnitt eröffnete Joachim Braun aus Würzburg, der am Beispiel des badischen Amtsbezirks Tauberbischofsheim die Machtübernahme der NSDAP und die Gleichschaltung der Kommunalverwaltung exemplarisch erörterte. Wie auch sein Vorredner am Fallbeispiel Konstanz gezeigt hatte, arbeitete Braun in seinem Fallbeispiel eine überwiegende Loyalität des Verwaltungsapparates gegenüber den neuen Machthabern heraus. Gleichzeitig kam es in der Zeit der Machtübernahme im untersuchten Amtsbezirk kaum zu nachweisbar politisch motivierten Personalveränderungen. Die Gleichschaltung der Kommunalverwaltung beschrieb Braun als weitgehend geräuschlos, in den bearbeiteten Akten fanden sich keine Verweise auf Protest oder Widerstand. Als Grund dafür nannte der Referent die einschüchternde Wirkung der Verhaftungen von politischen Gegnern, sprach der Bevölkerung aber auch „eine gehörige Portion an Opportunismus“ zu.

Im Vergleich dazu schilderte Dr. Peter Poguntke aus Stuttgart die Gleichschaltung der sogenannten städtischen „Gefolgschaft“. Am Fallbeispiel der Stadt Stuttgart zeichnete er die Anwendung des Gesetzes zur Widerherstellung des Berufsbeamtentums vom April 1933 auf Angestellte und Arbeiter nach. Damit machte er deutlich, wie die Infiltration der neuen Machthaber nicht nur durch einen Austausch der obersten Machteliten und Verwaltungsebenen vonstattenging, sondern besonders auch ein Austausch von Angestellten und Arbeitern als Maßnahme zur Installation der Macht in Kauf genommen wurde. Der Grund dafür war, dem Referenten zur Folge, der Fachpersonalmangel in den eigenen Reihen der Partei. So war es nicht etwa das erklärte Ziel der Gleichschaltungs- und Infiltrationspolitik, verstärkt auf Ebene der Arbeiter und Angestellten Personal auszuwechseln. Es gab schlichtweg mehr ideologisch konforme Parteigenossen, die sich als einfache Arbeiter einsetzen ließen, als solche, die in höheren Verwaltungsebenen Führungspositionen einnehmen hätten können. Poguntke kam abschließend auf rund 1500 Parteigenossen, darunter 418 politische Leiter, in der städtischen Gefolgschaft (was einem Anteil von circa 10% entspricht). Seine Beobachtung, dass diese Veränderungen nur in wenigen Fällen die Verwaltungsspitzen betrafen, geht konform mit den Schilderungen seiner Vorredner.

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von links nach rechts: Dr. Peter Poguntke, Dr. Roland Müller, Joachim Braun, Dr. Michael Matthiesen

 

Der abschließende Kommentar des Gastgebers Roland Müller lieferte einen an den Vortrag von Dr. Poguntke anknüpfenden Einblick in die Verschränkungen der Politik auf städtischer- und auf Landesebene. Dabei beschrieb er die Stadtverwaltung in Stuttgart als tüchtig, technokratisch und erfolgreich gleichgeschaltet, die es verstand, richtungsweisend in die Politik auf Landesebene einzuwirken.

In der Abschlussdiskussion wurde das Interesse des Auditoriums an den genaueren Abläufen der politisch motivierten Verdrängungen von Teilen des Personals aus der Verwaltung deutlich. Wortbeiträge von Frank Engehausen und Michael Matthiesen verdeutlichten, dass die Entlassungen im Rahmen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom April 1933 nur einen kleinen Teil der Verdrängungen ausmachten und dass die Maßnahme der Versetzung ein wichtiges Instrument in der Säuberung des Personalstammes der Verwaltungen darstellte.

 

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